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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Decret einzuregistriren, es zu beobachten und beobachten zu lassen, indem Wir
wollen, daß es in die Sammlung der Negierungsacten aufgenommen werde."

Als dieses Decret in den Thälern bekannt wurde, erregte es einen allge¬
meinen Jubel. In La Tour illuminirte man am 24. und 25. Februar die
ganze Stadt; die Compagnien der Waldenser mit ihren Fahnen zogen auf und
der Pastor Meille hielt in der Kirche von Des Copiers eine ergreifende Rede.
Den ganzen Tag zogen die Compagnien der Nationalgarde in der Stadt um¬
her und sangen patriotische Lieder, namentlich das:


Ocm 1'a,22urg. eoearclg, sul xstto
(non iiÄioi in euorv et<z.

(Wörtlich: Mit der blauen Cocarde auf der Brust --
mit italienischem Entzücken im Herzen u. s. w.

Darein mischt en sich die Rufe: Es lebe Italien! Es lebe die Constitution!
Es lebe Karl Albert! -- Der folgende Tag, ein Feiertag, war speciell zur
Feier der Emancipation der Waldenser bestimmt. Man hatte den Bewohnern
der Berge den Grund des Freudenfestes mitgetheilt und gegen Abend, wäh¬
rend die Stadt illuminirt wurde, leuchteten von allen Berggipfeln Hunderte
von Feuern.

Als auch nach Pignerol die freudige Nachricht gelangte, baten die daselbst
wohnenden Waldenser den Commandanten um die Erlaubniß, ihre Wohnun¬
gen illuminiren zu dürfen. Sie erfolgte, und auch alle Katholiken thaten
dasselbe. Auch an den folgenden Festen der Waldenser nahm die katholische
Bevölkerung freudigen Antheil. In Se. Jean zeichnete sich z. B. das Pres-
byterium durch seine glänzende Erleuchtung aus und der Prior ließ sogar die
Glocken läuten!

Aber alle Feste in den Thälern, bei welchen sich eine so schöne Harmonie
zwischen den Katholiken und Protestanten zeigte -- (denn nur von Fanatikern
aufgestachelt ist das Volk des Hasses fähig) -- waren nichts im Vergleich mit
dem, was in Turin geschah. Für den 28. Februar war ein Nationalfest an¬
gesagt, auf welchem alle Provinzen des Königreichs vertreten werden sollten,
um die Einführung der Constitution zu feiern. Am 27. hatten sich die Wal-
denserdeputirten aufgemacht, und wo sie vorüberzogen, rief man: "Es leben
unsere Waldenserbrüder! Es lebe die Gewissensfreiheit!" In Turin fanden
die Mitglieder der Deputation, an welche sich noch andere Waldenser ange¬
schlossen hatten, in besonders für sie eingerichteten Wohnungen Aufnahme.
Mehre Kaufleute hatten ihre Magazine geleert, um deren Räume würdig
auszuschmücken.

Am folgenden Morgen versammelten sich die Deputirten auf dem Platz
vor dem neuen Thore. Ein Zug weiß gekleideter Mädchen mit blauen Leib¬
binden, jede eine kleine Fahne tragend, schritt ihnen bei ihrem Einzug ins


Decret einzuregistriren, es zu beobachten und beobachten zu lassen, indem Wir
wollen, daß es in die Sammlung der Negierungsacten aufgenommen werde."

Als dieses Decret in den Thälern bekannt wurde, erregte es einen allge¬
meinen Jubel. In La Tour illuminirte man am 24. und 25. Februar die
ganze Stadt; die Compagnien der Waldenser mit ihren Fahnen zogen auf und
der Pastor Meille hielt in der Kirche von Des Copiers eine ergreifende Rede.
Den ganzen Tag zogen die Compagnien der Nationalgarde in der Stadt um¬
her und sangen patriotische Lieder, namentlich das:


Ocm 1'a,22urg. eoearclg, sul xstto
(non iiÄioi in euorv et<z.

(Wörtlich: Mit der blauen Cocarde auf der Brust —
mit italienischem Entzücken im Herzen u. s. w.

Darein mischt en sich die Rufe: Es lebe Italien! Es lebe die Constitution!
Es lebe Karl Albert! — Der folgende Tag, ein Feiertag, war speciell zur
Feier der Emancipation der Waldenser bestimmt. Man hatte den Bewohnern
der Berge den Grund des Freudenfestes mitgetheilt und gegen Abend, wäh¬
rend die Stadt illuminirt wurde, leuchteten von allen Berggipfeln Hunderte
von Feuern.

Als auch nach Pignerol die freudige Nachricht gelangte, baten die daselbst
wohnenden Waldenser den Commandanten um die Erlaubniß, ihre Wohnun¬
gen illuminiren zu dürfen. Sie erfolgte, und auch alle Katholiken thaten
dasselbe. Auch an den folgenden Festen der Waldenser nahm die katholische
Bevölkerung freudigen Antheil. In Se. Jean zeichnete sich z. B. das Pres-
byterium durch seine glänzende Erleuchtung aus und der Prior ließ sogar die
Glocken läuten!

Aber alle Feste in den Thälern, bei welchen sich eine so schöne Harmonie
zwischen den Katholiken und Protestanten zeigte — (denn nur von Fanatikern
aufgestachelt ist das Volk des Hasses fähig) — waren nichts im Vergleich mit
dem, was in Turin geschah. Für den 28. Februar war ein Nationalfest an¬
gesagt, auf welchem alle Provinzen des Königreichs vertreten werden sollten,
um die Einführung der Constitution zu feiern. Am 27. hatten sich die Wal-
denserdeputirten aufgemacht, und wo sie vorüberzogen, rief man: „Es leben
unsere Waldenserbrüder! Es lebe die Gewissensfreiheit!" In Turin fanden
die Mitglieder der Deputation, an welche sich noch andere Waldenser ange¬
schlossen hatten, in besonders für sie eingerichteten Wohnungen Aufnahme.
Mehre Kaufleute hatten ihre Magazine geleert, um deren Räume würdig
auszuschmücken.

Am folgenden Morgen versammelten sich die Deputirten auf dem Platz
vor dem neuen Thore. Ein Zug weiß gekleideter Mädchen mit blauen Leib¬
binden, jede eine kleine Fahne tragend, schritt ihnen bei ihrem Einzug ins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/26>, abgerufen am 29.06.2024.