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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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ähnlichen Inhalts. Ganz Piemont und sogar Sardinien theilten diesen patrio¬
tischen Aufschwung des Fortschritts. Derselbe stützte sich aber vornehmlich
auf das edle Versprechen Karl Alberts. seinem Volk eine Constitution zu ge¬
ben, so wie auf die liberalen Reformen, welche der neue Papst. Plus der
Neunte, in seinen eigenen Staaten damals einleitete.

Das Statut, oder die "constitutionelle Charte" des Königreichs Sar¬
dinien wurde am 8. Februar 1848 publicirt. Sie setzte eine Wahlkammer und
sehr freisinnige Bedingungen der Wählbarkeit ihrer Mitglieder fest. Der En¬
thusiasmus war ein allgemeiner, und die Waldenser theilten ihn. obgleich sie
immer noch, gemäß den alten Edicten. nur eine geduldete Partei waren.

Die Freiheit der Presse gestattete indeß der öffentlichen Meinung, sich für
deren Emancipation allgemein auszusprechen, und bald verbreitete sich in der
Hauptstadt das Gerücht, daß ein Edict in diesem Sinn erlassen werden würde.
Dies geschah den 16. Februar 1848 gegen Abend. Sogleich strömten Tausende
unter den Fenstern des Repräsentanten der Waldenserthäler. Amadeus Berl.
Pfarrers der Gemeinde zu Turin, zusammen und sangen die patriotische
Hymne: "Brüder Italiens. Italien ist erwacht u. s. w." ^ratelli ä'Itiüia
-- I/Iwlia s' s clestg. ete.) Die Freudenbezeugungen dauerten bis tief in
die Nacht hinein. Am andern Morgen erschien folgendes Edict:

"In Betracht der Treue und guten Gesinnung der Waldenserbevölkerung
haben Unsere königlichen Vorfahren sich in Gnaden bewogen gefunden, durch
mehre von Zeit zu Zeit getroffene Maßregeln die alten Beschränkungen zum
Theil ganz abzuschaffen, zum Theil zu andern. welche die Waldenser in ihren
bürgerlichen Rechten beeinträchtigten, und Wir selbst haben in gleicher Weise
denselben neue ausgedehntere Privilegien bewilligt.

Jetzt, wo die Beweggründe der alten Beschränkungen nicht mehr statt"
finden und wo das Verfahren, nur schrittweise in ihrem Zustande Verbesse¬
rungen eintreten zu lassen, sein Ziel gesunden haben muß. ist es Unser gnä¬
diger Wille, daß die Waldenser an allen Wohlthaten Theil haben sollen, welche
aus den allgemeinen Grundsätzen unserer Gesetzgebung entspringen.

Infolge dessen haben Wir durch Gegenwärtiges mit gutem Gewissen,
in königlicher Machtvollkommenheit, nachdem Wir die Meinung Unseres Con¬
seils darüber vernommen haben, befohlen und befehlen wie folgt:

"1.) Die Waldenser treten hinfort in alle bürgerliche und politische Rechte
gleich allen anderen Unserer Unterthanen; sie dürfen in voller Freiheit alle
Schulen und die Universität besuchen und akademische Grade erwerben.

2) In Hinsicht auf ihre Religionsübung und ihre bestehenden Schulen
findet keine Neuerung statt.

3) Durch Gegenwärtiges sind alle zuwiderlaufende Verordnungen auf¬
gehoben, und Wir befehlen dem Senate und der Rechnungskammer, dieses


ähnlichen Inhalts. Ganz Piemont und sogar Sardinien theilten diesen patrio¬
tischen Aufschwung des Fortschritts. Derselbe stützte sich aber vornehmlich
auf das edle Versprechen Karl Alberts. seinem Volk eine Constitution zu ge¬
ben, so wie auf die liberalen Reformen, welche der neue Papst. Plus der
Neunte, in seinen eigenen Staaten damals einleitete.

Das Statut, oder die „constitutionelle Charte" des Königreichs Sar¬
dinien wurde am 8. Februar 1848 publicirt. Sie setzte eine Wahlkammer und
sehr freisinnige Bedingungen der Wählbarkeit ihrer Mitglieder fest. Der En¬
thusiasmus war ein allgemeiner, und die Waldenser theilten ihn. obgleich sie
immer noch, gemäß den alten Edicten. nur eine geduldete Partei waren.

Die Freiheit der Presse gestattete indeß der öffentlichen Meinung, sich für
deren Emancipation allgemein auszusprechen, und bald verbreitete sich in der
Hauptstadt das Gerücht, daß ein Edict in diesem Sinn erlassen werden würde.
Dies geschah den 16. Februar 1848 gegen Abend. Sogleich strömten Tausende
unter den Fenstern des Repräsentanten der Waldenserthäler. Amadeus Berl.
Pfarrers der Gemeinde zu Turin, zusammen und sangen die patriotische
Hymne: „Brüder Italiens. Italien ist erwacht u. s. w." ^ratelli ä'Itiüia
— I/Iwlia s' s clestg. ete.) Die Freudenbezeugungen dauerten bis tief in
die Nacht hinein. Am andern Morgen erschien folgendes Edict:

„In Betracht der Treue und guten Gesinnung der Waldenserbevölkerung
haben Unsere königlichen Vorfahren sich in Gnaden bewogen gefunden, durch
mehre von Zeit zu Zeit getroffene Maßregeln die alten Beschränkungen zum
Theil ganz abzuschaffen, zum Theil zu andern. welche die Waldenser in ihren
bürgerlichen Rechten beeinträchtigten, und Wir selbst haben in gleicher Weise
denselben neue ausgedehntere Privilegien bewilligt.

Jetzt, wo die Beweggründe der alten Beschränkungen nicht mehr statt»
finden und wo das Verfahren, nur schrittweise in ihrem Zustande Verbesse¬
rungen eintreten zu lassen, sein Ziel gesunden haben muß. ist es Unser gnä¬
diger Wille, daß die Waldenser an allen Wohlthaten Theil haben sollen, welche
aus den allgemeinen Grundsätzen unserer Gesetzgebung entspringen.

Infolge dessen haben Wir durch Gegenwärtiges mit gutem Gewissen,
in königlicher Machtvollkommenheit, nachdem Wir die Meinung Unseres Con¬
seils darüber vernommen haben, befohlen und befehlen wie folgt:

„1.) Die Waldenser treten hinfort in alle bürgerliche und politische Rechte
gleich allen anderen Unserer Unterthanen; sie dürfen in voller Freiheit alle
Schulen und die Universität besuchen und akademische Grade erwerben.

2) In Hinsicht auf ihre Religionsübung und ihre bestehenden Schulen
findet keine Neuerung statt.

3) Durch Gegenwärtiges sind alle zuwiderlaufende Verordnungen auf¬
gehoben, und Wir befehlen dem Senate und der Rechnungskammer, dieses


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[0025] ähnlichen Inhalts. Ganz Piemont und sogar Sardinien theilten diesen patrio¬ tischen Aufschwung des Fortschritts. Derselbe stützte sich aber vornehmlich auf das edle Versprechen Karl Alberts. seinem Volk eine Constitution zu ge¬ ben, so wie auf die liberalen Reformen, welche der neue Papst. Plus der Neunte, in seinen eigenen Staaten damals einleitete. Das Statut, oder die „constitutionelle Charte" des Königreichs Sar¬ dinien wurde am 8. Februar 1848 publicirt. Sie setzte eine Wahlkammer und sehr freisinnige Bedingungen der Wählbarkeit ihrer Mitglieder fest. Der En¬ thusiasmus war ein allgemeiner, und die Waldenser theilten ihn. obgleich sie immer noch, gemäß den alten Edicten. nur eine geduldete Partei waren. Die Freiheit der Presse gestattete indeß der öffentlichen Meinung, sich für deren Emancipation allgemein auszusprechen, und bald verbreitete sich in der Hauptstadt das Gerücht, daß ein Edict in diesem Sinn erlassen werden würde. Dies geschah den 16. Februar 1848 gegen Abend. Sogleich strömten Tausende unter den Fenstern des Repräsentanten der Waldenserthäler. Amadeus Berl. Pfarrers der Gemeinde zu Turin, zusammen und sangen die patriotische Hymne: „Brüder Italiens. Italien ist erwacht u. s. w." ^ratelli ä'Itiüia — I/Iwlia s' s clestg. ete.) Die Freudenbezeugungen dauerten bis tief in die Nacht hinein. Am andern Morgen erschien folgendes Edict: „In Betracht der Treue und guten Gesinnung der Waldenserbevölkerung haben Unsere königlichen Vorfahren sich in Gnaden bewogen gefunden, durch mehre von Zeit zu Zeit getroffene Maßregeln die alten Beschränkungen zum Theil ganz abzuschaffen, zum Theil zu andern. welche die Waldenser in ihren bürgerlichen Rechten beeinträchtigten, und Wir selbst haben in gleicher Weise denselben neue ausgedehntere Privilegien bewilligt. Jetzt, wo die Beweggründe der alten Beschränkungen nicht mehr statt» finden und wo das Verfahren, nur schrittweise in ihrem Zustande Verbesse¬ rungen eintreten zu lassen, sein Ziel gesunden haben muß. ist es Unser gnä¬ diger Wille, daß die Waldenser an allen Wohlthaten Theil haben sollen, welche aus den allgemeinen Grundsätzen unserer Gesetzgebung entspringen. Infolge dessen haben Wir durch Gegenwärtiges mit gutem Gewissen, in königlicher Machtvollkommenheit, nachdem Wir die Meinung Unseres Con¬ seils darüber vernommen haben, befohlen und befehlen wie folgt: „1.) Die Waldenser treten hinfort in alle bürgerliche und politische Rechte gleich allen anderen Unserer Unterthanen; sie dürfen in voller Freiheit alle Schulen und die Universität besuchen und akademische Grade erwerben. 2) In Hinsicht auf ihre Religionsübung und ihre bestehenden Schulen findet keine Neuerung statt. 3) Durch Gegenwärtiges sind alle zuwiderlaufende Verordnungen auf¬ gehoben, und Wir befehlen dem Senate und der Rechnungskammer, dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/25>, abgerufen am 28.09.2024.