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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Thor voraus. Auf sie folgten mehr als sechshundert Männer mit einer präch¬
tigen Fahne, auf welcher das königliche Wappen in Silber gestickt war und
welche die Inschrift führte: "Karl Albert die dankbaren Waldenser".

Diese wurden mit den lebhaftesten Beifallsrufen von der versammelten
Menge empfangen; Tücher wehten aus den Fenstern; von den Balconen reg¬
nete es Blumen auf die Mädchen und es erscholl der tausendstimmige Ruf:
"Es leben unsere Waldenserbrüder! Hoch die WaldenseremancipationI"

Selbst Unbekannte umarmten die Waldenser. drückten ihnen die Hände
und beglückwünschten sich und sie wegen des Friedens und der Freiheit, welche
alle italienische Herzen damals hofften. Sogar römische Priester drängten sich
durch die Reihen und umarmten die Waldenser, indem sie riefen: "Es lebe
die Freiheit! Es lebe die Brüderlichkeit!"

Als der Zug der Deputationen der Provinzen geordnet wurde, um vor
dem königlichen Palast vorüberzuziehen, wurde den Waldensern der erste Platz
angewiesen. "Sie sind -- sagte man -- lange genug die Letzten gewesen,
heute sollen sie die Ersten sein!" Kurz es ist nicht möglich, den Eifer, die
Liebe, den Enthusiasmus zu beschreiben, mit welchem die Waldenser überall
empfangen wurden. Wenn man aus der Straße einen Fremden sah. so faßte
man ihn am Arme und wenn man aus die Erkundigung: woher? erfuhr, er
wäre ein Waldenser. so siel man ihm um den Hals. Früher waren aus der¬
selben Stätte von römischen Priestern Scheiterhaufen angezündet worden und
die Volksmenge hatte sich ebenso gedrängt, Zeuge des Märtyrertodes der
Waldenser zu sein und jetzt?--

Doch auf dein Antlitz des Königs zeigten sich schon Spuren von Unruhe
und Besorgniß; denn er hatte von Frankreich her die Nachricht von dem Sturz
des Königs erhalten und bald brannte der Aufruhr in fast allen Ländern Eu¬
ropas. Die Oestreicher wurden aus Mailand und Venedig vertrieben; Sici-
lien erklärte sich von Neapel unabhängig und Rom gab sich eine demokratische
Verfassung. Nur in Sardinien herrschte -- Dank der gegebenen Constitution!
Ordnung. Allein der König, von den Wünschen der Demokratie (? d. Red.) ge¬
drängt, erneuerte den Krieg gegen Oestreich, wie man sagt gegen die Meinung
und den Willen der Chefs der Armee, da die Soldaten ungeübt waren. Der
Erfolg ist der Welt bekannt: Karl Albert dankte zu Gunsten seines ältesten Soh¬
nes, des gegenwärtigen Königs, Victor Emanuel ab. verließ sein Vaterland
und starb am 28. Juli 1849 zu Oporto. Tief war die Trauer der Waldenser
um diesen König, welcher ihnen endlich die ersehnte Erlösung aus allen Drang¬
salen gebracht hatte. Aber sein Sohn hat treu gehalten an der gegebenen
Verfassung, und gegenwärtig bilden die Waldenscrthäler mit ihren arbeitsamen,
frommen Einwohnern, im Verhältniß zu ihrer Bevölkerung den civilisirtesten
Theil des Königreichs Sardinien. Wenn das Land klein ist. so ist das Volk


Thor voraus. Auf sie folgten mehr als sechshundert Männer mit einer präch¬
tigen Fahne, auf welcher das königliche Wappen in Silber gestickt war und
welche die Inschrift führte: „Karl Albert die dankbaren Waldenser".

Diese wurden mit den lebhaftesten Beifallsrufen von der versammelten
Menge empfangen; Tücher wehten aus den Fenstern; von den Balconen reg¬
nete es Blumen auf die Mädchen und es erscholl der tausendstimmige Ruf:
„Es leben unsere Waldenserbrüder! Hoch die WaldenseremancipationI"

Selbst Unbekannte umarmten die Waldenser. drückten ihnen die Hände
und beglückwünschten sich und sie wegen des Friedens und der Freiheit, welche
alle italienische Herzen damals hofften. Sogar römische Priester drängten sich
durch die Reihen und umarmten die Waldenser, indem sie riefen: „Es lebe
die Freiheit! Es lebe die Brüderlichkeit!"

Als der Zug der Deputationen der Provinzen geordnet wurde, um vor
dem königlichen Palast vorüberzuziehen, wurde den Waldensern der erste Platz
angewiesen. „Sie sind — sagte man — lange genug die Letzten gewesen,
heute sollen sie die Ersten sein!" Kurz es ist nicht möglich, den Eifer, die
Liebe, den Enthusiasmus zu beschreiben, mit welchem die Waldenser überall
empfangen wurden. Wenn man aus der Straße einen Fremden sah. so faßte
man ihn am Arme und wenn man aus die Erkundigung: woher? erfuhr, er
wäre ein Waldenser. so siel man ihm um den Hals. Früher waren aus der¬
selben Stätte von römischen Priestern Scheiterhaufen angezündet worden und
die Volksmenge hatte sich ebenso gedrängt, Zeuge des Märtyrertodes der
Waldenser zu sein und jetzt?--

Doch auf dein Antlitz des Königs zeigten sich schon Spuren von Unruhe
und Besorgniß; denn er hatte von Frankreich her die Nachricht von dem Sturz
des Königs erhalten und bald brannte der Aufruhr in fast allen Ländern Eu¬
ropas. Die Oestreicher wurden aus Mailand und Venedig vertrieben; Sici-
lien erklärte sich von Neapel unabhängig und Rom gab sich eine demokratische
Verfassung. Nur in Sardinien herrschte — Dank der gegebenen Constitution!
Ordnung. Allein der König, von den Wünschen der Demokratie (? d. Red.) ge¬
drängt, erneuerte den Krieg gegen Oestreich, wie man sagt gegen die Meinung
und den Willen der Chefs der Armee, da die Soldaten ungeübt waren. Der
Erfolg ist der Welt bekannt: Karl Albert dankte zu Gunsten seines ältesten Soh¬
nes, des gegenwärtigen Königs, Victor Emanuel ab. verließ sein Vaterland
und starb am 28. Juli 1849 zu Oporto. Tief war die Trauer der Waldenser
um diesen König, welcher ihnen endlich die ersehnte Erlösung aus allen Drang¬
salen gebracht hatte. Aber sein Sohn hat treu gehalten an der gegebenen
Verfassung, und gegenwärtig bilden die Waldenscrthäler mit ihren arbeitsamen,
frommen Einwohnern, im Verhältniß zu ihrer Bevölkerung den civilisirtesten
Theil des Königreichs Sardinien. Wenn das Land klein ist. so ist das Volk


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[0027] Thor voraus. Auf sie folgten mehr als sechshundert Männer mit einer präch¬ tigen Fahne, auf welcher das königliche Wappen in Silber gestickt war und welche die Inschrift führte: „Karl Albert die dankbaren Waldenser". Diese wurden mit den lebhaftesten Beifallsrufen von der versammelten Menge empfangen; Tücher wehten aus den Fenstern; von den Balconen reg¬ nete es Blumen auf die Mädchen und es erscholl der tausendstimmige Ruf: „Es leben unsere Waldenserbrüder! Hoch die WaldenseremancipationI" Selbst Unbekannte umarmten die Waldenser. drückten ihnen die Hände und beglückwünschten sich und sie wegen des Friedens und der Freiheit, welche alle italienische Herzen damals hofften. Sogar römische Priester drängten sich durch die Reihen und umarmten die Waldenser, indem sie riefen: „Es lebe die Freiheit! Es lebe die Brüderlichkeit!" Als der Zug der Deputationen der Provinzen geordnet wurde, um vor dem königlichen Palast vorüberzuziehen, wurde den Waldensern der erste Platz angewiesen. „Sie sind — sagte man — lange genug die Letzten gewesen, heute sollen sie die Ersten sein!" Kurz es ist nicht möglich, den Eifer, die Liebe, den Enthusiasmus zu beschreiben, mit welchem die Waldenser überall empfangen wurden. Wenn man aus der Straße einen Fremden sah. so faßte man ihn am Arme und wenn man aus die Erkundigung: woher? erfuhr, er wäre ein Waldenser. so siel man ihm um den Hals. Früher waren aus der¬ selben Stätte von römischen Priestern Scheiterhaufen angezündet worden und die Volksmenge hatte sich ebenso gedrängt, Zeuge des Märtyrertodes der Waldenser zu sein und jetzt?-- Doch auf dein Antlitz des Königs zeigten sich schon Spuren von Unruhe und Besorgniß; denn er hatte von Frankreich her die Nachricht von dem Sturz des Königs erhalten und bald brannte der Aufruhr in fast allen Ländern Eu¬ ropas. Die Oestreicher wurden aus Mailand und Venedig vertrieben; Sici- lien erklärte sich von Neapel unabhängig und Rom gab sich eine demokratische Verfassung. Nur in Sardinien herrschte — Dank der gegebenen Constitution! Ordnung. Allein der König, von den Wünschen der Demokratie (? d. Red.) ge¬ drängt, erneuerte den Krieg gegen Oestreich, wie man sagt gegen die Meinung und den Willen der Chefs der Armee, da die Soldaten ungeübt waren. Der Erfolg ist der Welt bekannt: Karl Albert dankte zu Gunsten seines ältesten Soh¬ nes, des gegenwärtigen Königs, Victor Emanuel ab. verließ sein Vaterland und starb am 28. Juli 1849 zu Oporto. Tief war die Trauer der Waldenser um diesen König, welcher ihnen endlich die ersehnte Erlösung aus allen Drang¬ salen gebracht hatte. Aber sein Sohn hat treu gehalten an der gegebenen Verfassung, und gegenwärtig bilden die Waldenscrthäler mit ihren arbeitsamen, frommen Einwohnern, im Verhältniß zu ihrer Bevölkerung den civilisirtesten Theil des Königreichs Sardinien. Wenn das Land klein ist. so ist das Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/27>, abgerufen am 29.06.2024.