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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Beckwith, ein Wohlthäter der Waldenser, ein Invalid, welcher mehr als ein¬
mal in Gefahr stand, durch niedrige Kabalen aus dem Lande verwiesen zu
werden, weil er Aufklärung verbreitete und den ein Bischof in einem Journal¬
artikel "den Abenteurer mit dem hölzernen Beine" nannte, vom König den
Orden des heiligen Mauritius und Lazarus erhielt.

Die Waldenser, unter welchen dieser Oberst Beckwith ein Engel des
Segens war, feierten seinen Namen unter anderem durch eine Inschrift über
einer der vielen durch seinen Edelmut!) gegründeten Schulen, welche lautet
"Der Name des Obersten Beckwith werde von allen, welche hier eintreten,
gesegnet! -- Das ganze Land wiederholte in seinem Herzen diese Worte.

Was der König bisher gleichsam nur privatim für die Waldenser gethan
hatte, das gewann im Jahre 1847 öffentliche, gesetzliche Gestalt. Denn ge¬
gen das Ende dieses Jahres begannen die lange schon von Karl Albert er¬
wogenen socialen und politischen Reformen ins Werk gesetzt zu werden: die
Reform des gerichtlichen Verfahrens, bei welchem statt der bisherigen schrift¬
lichen Procedur das mündliche Verfahren eintrat; die Bildung von Geschwo¬
renengerichten und die Aushebung der exceptionellen Gerichtsbarkeit; und am
22. November 1847 wurde das Gesetz über die Gemeinde- und Provinzialräthe
erlassen, durch welches die Wahl der Waldenser nicht weiter beschränkt war.
Die Bildung der Nationalgarde ging unmittelbar daraus vor sich.

Der Marquis von Azeglio, welcher später Minister wurde, setzte damals
seinen Namen an die Spitze einer Petition, welche die vollständige Emanci¬
pation der Waldenser und der Juden bezweckte. Er wendete sich deshalb in
einem Rundschreiben an alle Bischöfe des Königreichs, um sie für diese Ma߬
regel zu gewinnen; und man muß lobend anerkennen, daß mehre derselben
sich nicht abgeneigt zeigten.

Später richtete der edelmüthige Marquis seine Bitte an den König selbst,
welcher sich einige Tage nachher eine Petition der Waldenser anschloß. Der
öffentliche Geist unterstützte diese Schritte. Denn bei einem patriotischen Fest¬
mahl am 12. December zu Pignerol erhob sich der Advocat Audostredi und
sprach: "An dem Fuße dieser auf uns herabschauenden Gebirge leben zwanzig¬
tausend unserer Brüder, welche des Bürgerrechts beraubt sind und gleichwol
sind sie gebildete, arbeitsame Männer, stark an Armen und Herzen wie alle
andere Italiener. An uns ist es, unsere Stimme zu ihren Gunsten zu er¬
heben; an uns, ihren nächsten Brüdern, zu verlangen, daß das Vaterland für
sie eine echte und keine Stiefmutter sei; an uns, zuerst zu rufen: "Es lebe
die Emancipation der Waldenser!" Mit Enthusiasmus wiederholte die
ganze Versammlung diesen Ruf.

Zwei Wochen später fand ein ähnliches Festmahl zu Turin statt. Der
Kapellan der protestantischen Gesandtschaften hielt auf demselben eine Rede


Beckwith, ein Wohlthäter der Waldenser, ein Invalid, welcher mehr als ein¬
mal in Gefahr stand, durch niedrige Kabalen aus dem Lande verwiesen zu
werden, weil er Aufklärung verbreitete und den ein Bischof in einem Journal¬
artikel „den Abenteurer mit dem hölzernen Beine" nannte, vom König den
Orden des heiligen Mauritius und Lazarus erhielt.

Die Waldenser, unter welchen dieser Oberst Beckwith ein Engel des
Segens war, feierten seinen Namen unter anderem durch eine Inschrift über
einer der vielen durch seinen Edelmut!) gegründeten Schulen, welche lautet
„Der Name des Obersten Beckwith werde von allen, welche hier eintreten,
gesegnet! — Das ganze Land wiederholte in seinem Herzen diese Worte.

Was der König bisher gleichsam nur privatim für die Waldenser gethan
hatte, das gewann im Jahre 1847 öffentliche, gesetzliche Gestalt. Denn ge¬
gen das Ende dieses Jahres begannen die lange schon von Karl Albert er¬
wogenen socialen und politischen Reformen ins Werk gesetzt zu werden: die
Reform des gerichtlichen Verfahrens, bei welchem statt der bisherigen schrift¬
lichen Procedur das mündliche Verfahren eintrat; die Bildung von Geschwo¬
renengerichten und die Aushebung der exceptionellen Gerichtsbarkeit; und am
22. November 1847 wurde das Gesetz über die Gemeinde- und Provinzialräthe
erlassen, durch welches die Wahl der Waldenser nicht weiter beschränkt war.
Die Bildung der Nationalgarde ging unmittelbar daraus vor sich.

Der Marquis von Azeglio, welcher später Minister wurde, setzte damals
seinen Namen an die Spitze einer Petition, welche die vollständige Emanci¬
pation der Waldenser und der Juden bezweckte. Er wendete sich deshalb in
einem Rundschreiben an alle Bischöfe des Königreichs, um sie für diese Ma߬
regel zu gewinnen; und man muß lobend anerkennen, daß mehre derselben
sich nicht abgeneigt zeigten.

Später richtete der edelmüthige Marquis seine Bitte an den König selbst,
welcher sich einige Tage nachher eine Petition der Waldenser anschloß. Der
öffentliche Geist unterstützte diese Schritte. Denn bei einem patriotischen Fest¬
mahl am 12. December zu Pignerol erhob sich der Advocat Audostredi und
sprach: „An dem Fuße dieser auf uns herabschauenden Gebirge leben zwanzig¬
tausend unserer Brüder, welche des Bürgerrechts beraubt sind und gleichwol
sind sie gebildete, arbeitsame Männer, stark an Armen und Herzen wie alle
andere Italiener. An uns ist es, unsere Stimme zu ihren Gunsten zu er¬
heben; an uns, ihren nächsten Brüdern, zu verlangen, daß das Vaterland für
sie eine echte und keine Stiefmutter sei; an uns, zuerst zu rufen: „Es lebe
die Emancipation der Waldenser!" Mit Enthusiasmus wiederholte die
ganze Versammlung diesen Ruf.

Zwei Wochen später fand ein ähnliches Festmahl zu Turin statt. Der
Kapellan der protestantischen Gesandtschaften hielt auf demselben eine Rede


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[0024] Beckwith, ein Wohlthäter der Waldenser, ein Invalid, welcher mehr als ein¬ mal in Gefahr stand, durch niedrige Kabalen aus dem Lande verwiesen zu werden, weil er Aufklärung verbreitete und den ein Bischof in einem Journal¬ artikel „den Abenteurer mit dem hölzernen Beine" nannte, vom König den Orden des heiligen Mauritius und Lazarus erhielt. Die Waldenser, unter welchen dieser Oberst Beckwith ein Engel des Segens war, feierten seinen Namen unter anderem durch eine Inschrift über einer der vielen durch seinen Edelmut!) gegründeten Schulen, welche lautet „Der Name des Obersten Beckwith werde von allen, welche hier eintreten, gesegnet! — Das ganze Land wiederholte in seinem Herzen diese Worte. Was der König bisher gleichsam nur privatim für die Waldenser gethan hatte, das gewann im Jahre 1847 öffentliche, gesetzliche Gestalt. Denn ge¬ gen das Ende dieses Jahres begannen die lange schon von Karl Albert er¬ wogenen socialen und politischen Reformen ins Werk gesetzt zu werden: die Reform des gerichtlichen Verfahrens, bei welchem statt der bisherigen schrift¬ lichen Procedur das mündliche Verfahren eintrat; die Bildung von Geschwo¬ renengerichten und die Aushebung der exceptionellen Gerichtsbarkeit; und am 22. November 1847 wurde das Gesetz über die Gemeinde- und Provinzialräthe erlassen, durch welches die Wahl der Waldenser nicht weiter beschränkt war. Die Bildung der Nationalgarde ging unmittelbar daraus vor sich. Der Marquis von Azeglio, welcher später Minister wurde, setzte damals seinen Namen an die Spitze einer Petition, welche die vollständige Emanci¬ pation der Waldenser und der Juden bezweckte. Er wendete sich deshalb in einem Rundschreiben an alle Bischöfe des Königreichs, um sie für diese Ma߬ regel zu gewinnen; und man muß lobend anerkennen, daß mehre derselben sich nicht abgeneigt zeigten. Später richtete der edelmüthige Marquis seine Bitte an den König selbst, welcher sich einige Tage nachher eine Petition der Waldenser anschloß. Der öffentliche Geist unterstützte diese Schritte. Denn bei einem patriotischen Fest¬ mahl am 12. December zu Pignerol erhob sich der Advocat Audostredi und sprach: „An dem Fuße dieser auf uns herabschauenden Gebirge leben zwanzig¬ tausend unserer Brüder, welche des Bürgerrechts beraubt sind und gleichwol sind sie gebildete, arbeitsame Männer, stark an Armen und Herzen wie alle andere Italiener. An uns ist es, unsere Stimme zu ihren Gunsten zu er¬ heben; an uns, ihren nächsten Brüdern, zu verlangen, daß das Vaterland für sie eine echte und keine Stiefmutter sei; an uns, zuerst zu rufen: „Es lebe die Emancipation der Waldenser!" Mit Enthusiasmus wiederholte die ganze Versammlung diesen Ruf. Zwei Wochen später fand ein ähnliches Festmahl zu Turin statt. Der Kapellan der protestantischen Gesandtschaften hielt auf demselben eine Rede

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/24>, abgerufen am 29.06.2024.