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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Krischen Ausführung der Aufgabe stellen sich aber unübersehbare Schwierig'
leiten entgegen. Die Geschichte der Hohenzollern ist nicht bloß mit der all¬
gemeinen Reichsgeschichte, sondern mit der Spccialgeschichte aller möglichen
Territorien so enge verflochten, daß sie kaum davon gelöst werden kann; der
Staat wird aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, bei deren jedem
man eine neue Erzählung anfangen möchte. Freilich, wer nur auf eine Fa-
"ülieuchronik des Hauses Hohenzollern ausgeht, hat es bequemer; aber so hat
Droysen seine Aufgabe nicht gefaßt, er geht vom kultur-historischen Stand¬
punkte aus, nicht eine Familie, sondern ein Volk will er individualisiren.

Künstlerisch ist ihm diese Aufgabe nicht ganz gelungen; sie konnte nicht
ganz gelingen. Selbst die Eigenthümlichkeit seines Talents erschwerte ihm
diese Aufgabe: aus der einen Seite bemüht er sich, die ideelle Bewegung so
tief und allgemein zu begründen als möglich, auf der andern Seite vertieft
er sich so sehr in's Detail, daß man mitunter den Faden verliert.

Seine unglaublich umfangreiche Quellenkenntniß benutzt er häusig
einer Wendung, die eher geistreich als torrent genannt werden könnte: er läßt
nämlich seine eignen Ideen über den Fortschritt der Handlung von den Zeit'
genossen vortragen, deren Worte er freilich treu anführt, doch so, daß die
Auswahl derselben mehr nach seinem eignen Begriff, als nach der innern
Wichtigkeit der Urkunde bestimmt wird. Auf der andern Seite charakterisirt
er die große Culturbewegung, z. B. der Reformation, nicht bloß nach der in¬
dividuellen Eigenthümlichkeit des Landes, das sein Gegenstand ist, oder se>'
ner Helden, sondern in ihren allgemeinsten Beziehungen und nach der ganzen
ethischen Tiefe, die unser modernes Bewußtsein durchforscht hat. Jede einzelne
seiner Deductionen ist voller Gehalt, aber trotz der Bewunderung des geiht'
vollen Schriftstellers kaun man sich der Bemerkung nicht erwehren, da"
er nicht selten aus seinem Rahmen heraustritt, und daß seine Reflexionen
das voraussetzen, was er doch erst geben sollte, nämlich die Erzählung d^'
Thatsachen. Denn man darf sich durch den Anschein der Chronik, durch d^
zahlreichen Details und durch die Lokalfarbe nicht täuschen lassen: sein Buch
ist nichts weniger als eine Chronik, und um es richtig zu verstehen, müßte
man eigentlich eine andere Geschichte, die denselben Gegenstand behandelt,
bei der Hand haben. Auch die Deutlichkeit der Portraits leidet nicht wenig
unter der Vielseitigkeit des Gesichtspunktes, und mitunter wechselt das Licht
schnell und blendend, daß man wenig oder nichts sieht.

Eine gewisse Verwandtschaft mit Ranke stellt sich augenscheinlich heraus,
obgleich die ganze Gemüthsnnlage der beiden Schriftsteller eher einen Comte^
bildet. Gemeinsam haben sie das Pointirte und springende der Darstellung-
die glänzende Virtuosität in den Farben und die Unruhe in der Zeichnung'
aber Droysen ist durchweg auf das Allgemeine und Bleibende, auf den ")


Krischen Ausführung der Aufgabe stellen sich aber unübersehbare Schwierig'
leiten entgegen. Die Geschichte der Hohenzollern ist nicht bloß mit der all¬
gemeinen Reichsgeschichte, sondern mit der Spccialgeschichte aller möglichen
Territorien so enge verflochten, daß sie kaum davon gelöst werden kann; der
Staat wird aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, bei deren jedem
man eine neue Erzählung anfangen möchte. Freilich, wer nur auf eine Fa-
ȟlieuchronik des Hauses Hohenzollern ausgeht, hat es bequemer; aber so hat
Droysen seine Aufgabe nicht gefaßt, er geht vom kultur-historischen Stand¬
punkte aus, nicht eine Familie, sondern ein Volk will er individualisiren.

Künstlerisch ist ihm diese Aufgabe nicht ganz gelungen; sie konnte nicht
ganz gelingen. Selbst die Eigenthümlichkeit seines Talents erschwerte ihm
diese Aufgabe: aus der einen Seite bemüht er sich, die ideelle Bewegung so
tief und allgemein zu begründen als möglich, auf der andern Seite vertieft
er sich so sehr in's Detail, daß man mitunter den Faden verliert.

Seine unglaublich umfangreiche Quellenkenntniß benutzt er häusig
einer Wendung, die eher geistreich als torrent genannt werden könnte: er läßt
nämlich seine eignen Ideen über den Fortschritt der Handlung von den Zeit'
genossen vortragen, deren Worte er freilich treu anführt, doch so, daß die
Auswahl derselben mehr nach seinem eignen Begriff, als nach der innern
Wichtigkeit der Urkunde bestimmt wird. Auf der andern Seite charakterisirt
er die große Culturbewegung, z. B. der Reformation, nicht bloß nach der in¬
dividuellen Eigenthümlichkeit des Landes, das sein Gegenstand ist, oder se>'
ner Helden, sondern in ihren allgemeinsten Beziehungen und nach der ganzen
ethischen Tiefe, die unser modernes Bewußtsein durchforscht hat. Jede einzelne
seiner Deductionen ist voller Gehalt, aber trotz der Bewunderung des geiht'
vollen Schriftstellers kaun man sich der Bemerkung nicht erwehren, da»
er nicht selten aus seinem Rahmen heraustritt, und daß seine Reflexionen
das voraussetzen, was er doch erst geben sollte, nämlich die Erzählung d^'
Thatsachen. Denn man darf sich durch den Anschein der Chronik, durch d^
zahlreichen Details und durch die Lokalfarbe nicht täuschen lassen: sein Buch
ist nichts weniger als eine Chronik, und um es richtig zu verstehen, müßte
man eigentlich eine andere Geschichte, die denselben Gegenstand behandelt,
bei der Hand haben. Auch die Deutlichkeit der Portraits leidet nicht wenig
unter der Vielseitigkeit des Gesichtspunktes, und mitunter wechselt das Licht
schnell und blendend, daß man wenig oder nichts sieht.

Eine gewisse Verwandtschaft mit Ranke stellt sich augenscheinlich heraus,
obgleich die ganze Gemüthsnnlage der beiden Schriftsteller eher einen Comte^
bildet. Gemeinsam haben sie das Pointirte und springende der Darstellung-
die glänzende Virtuosität in den Farben und die Unruhe in der Zeichnung'
aber Droysen ist durchweg auf das Allgemeine und Bleibende, auf den ")


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[0246] Krischen Ausführung der Aufgabe stellen sich aber unübersehbare Schwierig' leiten entgegen. Die Geschichte der Hohenzollern ist nicht bloß mit der all¬ gemeinen Reichsgeschichte, sondern mit der Spccialgeschichte aller möglichen Territorien so enge verflochten, daß sie kaum davon gelöst werden kann; der Staat wird aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, bei deren jedem man eine neue Erzählung anfangen möchte. Freilich, wer nur auf eine Fa- »ülieuchronik des Hauses Hohenzollern ausgeht, hat es bequemer; aber so hat Droysen seine Aufgabe nicht gefaßt, er geht vom kultur-historischen Stand¬ punkte aus, nicht eine Familie, sondern ein Volk will er individualisiren. Künstlerisch ist ihm diese Aufgabe nicht ganz gelungen; sie konnte nicht ganz gelingen. Selbst die Eigenthümlichkeit seines Talents erschwerte ihm diese Aufgabe: aus der einen Seite bemüht er sich, die ideelle Bewegung so tief und allgemein zu begründen als möglich, auf der andern Seite vertieft er sich so sehr in's Detail, daß man mitunter den Faden verliert. Seine unglaublich umfangreiche Quellenkenntniß benutzt er häusig einer Wendung, die eher geistreich als torrent genannt werden könnte: er läßt nämlich seine eignen Ideen über den Fortschritt der Handlung von den Zeit' genossen vortragen, deren Worte er freilich treu anführt, doch so, daß die Auswahl derselben mehr nach seinem eignen Begriff, als nach der innern Wichtigkeit der Urkunde bestimmt wird. Auf der andern Seite charakterisirt er die große Culturbewegung, z. B. der Reformation, nicht bloß nach der in¬ dividuellen Eigenthümlichkeit des Landes, das sein Gegenstand ist, oder se>' ner Helden, sondern in ihren allgemeinsten Beziehungen und nach der ganzen ethischen Tiefe, die unser modernes Bewußtsein durchforscht hat. Jede einzelne seiner Deductionen ist voller Gehalt, aber trotz der Bewunderung des geiht' vollen Schriftstellers kaun man sich der Bemerkung nicht erwehren, da» er nicht selten aus seinem Rahmen heraustritt, und daß seine Reflexionen das voraussetzen, was er doch erst geben sollte, nämlich die Erzählung d^' Thatsachen. Denn man darf sich durch den Anschein der Chronik, durch d^ zahlreichen Details und durch die Lokalfarbe nicht täuschen lassen: sein Buch ist nichts weniger als eine Chronik, und um es richtig zu verstehen, müßte man eigentlich eine andere Geschichte, die denselben Gegenstand behandelt, bei der Hand haben. Auch die Deutlichkeit der Portraits leidet nicht wenig unter der Vielseitigkeit des Gesichtspunktes, und mitunter wechselt das Licht schnell und blendend, daß man wenig oder nichts sieht. Eine gewisse Verwandtschaft mit Ranke stellt sich augenscheinlich heraus, obgleich die ganze Gemüthsnnlage der beiden Schriftsteller eher einen Comte^ bildet. Gemeinsam haben sie das Pointirte und springende der Darstellung- die glänzende Virtuosität in den Farben und die Unruhe in der Zeichnung' aber Droysen ist durchweg auf das Allgemeine und Bleibende, auf den ")

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/246>, abgerufen am 29.06.2024.