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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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konnte man mit dem Geschichtschreiber rechten. In die Weltgeschichte tritt
Preußen erst mit dem großen Kurfürsten; vor dieser Periode Hütte man ein
"ut übernatürlichen Kräften ausgestatteter Prophet sein müssen, um dem be¬
sinnenden Staat seine Zukunft voraussagen zu können. Bei der allgemeinen
Zerrüttung Deutschlands, der Brandenburg ebenso anheim gefallen war, wie
""e übrigen Territorien, und bei der schwachen und widerspruchsvollen Regie¬
rung der letzten Jahrzehnte hätte dieser Staat weltgeschichtlich ebensogut unter-
üehn können, als seine Rivalen. Erst der große Kurfürst hat den Organis-
'"us aufgebaut, welcher den großen König möglich machte. Darum gibt
Wenzel in seiner preußischen Geschichte die Periode, die dem großen Kur¬
fürsten vorangeht, nur ganz übersichtlich und wird immer ausführlicher, je näher
er der Gegenwart kommt, wobei er freilich die Grenzen des künstlerisch er¬
laubten mitunter um ein Erhebliches überschreitet.

Freilich Hütte auch der große Kurfürst, trotz seiner mächtigen Persönlich¬
st, aus dem Nichts einen Staat nicht schaffen können; es mußte er den histori¬
schen Voraussetzungen etwas vorhanden sein, was ihn zu seinem Unternehmen
berechtigte und befähigte, und dieses quellenmäßig festzustellen, war es gerade,
^>as Droysen reizte.

Es war kein Zufall, daß grade die beiden Ostmarken, die nördliche und
übliche, die hauptsächlichen Träger des modernen Staatslebens wurden, denn
ihren Nachbarn unaufhörlich bedroht und, bei der allgemeinen Anarchie,
dem Reichsoberhaupt wenig gefördert, mußten sie auf eine selbstständige
"Ad konsequente Politik nach Außen und Innen bedacht sein. Es war mehr
^ ein bloßer Zufall, wenn die äußerste deutsche Kolonie im Osten mit der
l"rk Brandenburg unter demselben Herrscherhause vereinigt wurde; denn
^"n man sie nicht in derselben Weise verloren geben wollte, wie Liefland,
^° Mußte sie durch Verbindung mit einer benachbarten und militärischen Regie¬
rung gekräftigt werden. In demselben Jahrzehnt, wo die Mark Brandenburg
"u Hohenzollern füllt, beginnt der Verzweiflungskampf des Ordenslandes
^3en Polen; ein Brandenburger secularisirt den Orden, und bald darauf,
U'Mut auch die Mark die Reformation an. Gemeinschaftlichkeit der Interessen,
es Bekenntnisses, geographischer Zusammenhang. Verwandtschaft des Herrscher¬
hauses, das Alles bereitet die vollständige Vereinigung vor. Wenn das neue
"uigthunr den Namen Preußen empfängt, so ist auch das kein bloßer Zufall;
°"n wenn die eigentliche Kraft des Staats aus der Mark hervorgeht, so ist
^ vornehmste Schauplatz seiner Thätigkeit das Ordensland. Hier, bald in
'u Kampf, bald in den diplomatischen Beziehungen zu den übermächtigen
^'schen Nachbarn, ist der Punkt, wo sich entscheidet, ob aus der Markgraf,
"n. aus dem Kurfürstenthum ein freies Königreich sich erheben sott,

begrifflich ist dieser Zusammenhang nicht schwer darzustellen; der kunst-


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konnte man mit dem Geschichtschreiber rechten. In die Weltgeschichte tritt
Preußen erst mit dem großen Kurfürsten; vor dieser Periode Hütte man ein
"ut übernatürlichen Kräften ausgestatteter Prophet sein müssen, um dem be¬
sinnenden Staat seine Zukunft voraussagen zu können. Bei der allgemeinen
Zerrüttung Deutschlands, der Brandenburg ebenso anheim gefallen war, wie
""e übrigen Territorien, und bei der schwachen und widerspruchsvollen Regie¬
rung der letzten Jahrzehnte hätte dieser Staat weltgeschichtlich ebensogut unter-
üehn können, als seine Rivalen. Erst der große Kurfürst hat den Organis-
'"us aufgebaut, welcher den großen König möglich machte. Darum gibt
Wenzel in seiner preußischen Geschichte die Periode, die dem großen Kur¬
fürsten vorangeht, nur ganz übersichtlich und wird immer ausführlicher, je näher
er der Gegenwart kommt, wobei er freilich die Grenzen des künstlerisch er¬
laubten mitunter um ein Erhebliches überschreitet.

Freilich Hütte auch der große Kurfürst, trotz seiner mächtigen Persönlich¬
st, aus dem Nichts einen Staat nicht schaffen können; es mußte er den histori¬
schen Voraussetzungen etwas vorhanden sein, was ihn zu seinem Unternehmen
berechtigte und befähigte, und dieses quellenmäßig festzustellen, war es gerade,
^>as Droysen reizte.

Es war kein Zufall, daß grade die beiden Ostmarken, die nördliche und
übliche, die hauptsächlichen Träger des modernen Staatslebens wurden, denn
ihren Nachbarn unaufhörlich bedroht und, bei der allgemeinen Anarchie,
dem Reichsoberhaupt wenig gefördert, mußten sie auf eine selbstständige
"Ad konsequente Politik nach Außen und Innen bedacht sein. Es war mehr
^ ein bloßer Zufall, wenn die äußerste deutsche Kolonie im Osten mit der
l"rk Brandenburg unter demselben Herrscherhause vereinigt wurde; denn
^»n man sie nicht in derselben Weise verloren geben wollte, wie Liefland,
^° Mußte sie durch Verbindung mit einer benachbarten und militärischen Regie¬
rung gekräftigt werden. In demselben Jahrzehnt, wo die Mark Brandenburg
"u Hohenzollern füllt, beginnt der Verzweiflungskampf des Ordenslandes
^3en Polen; ein Brandenburger secularisirt den Orden, und bald darauf,
U'Mut auch die Mark die Reformation an. Gemeinschaftlichkeit der Interessen,
es Bekenntnisses, geographischer Zusammenhang. Verwandtschaft des Herrscher¬
hauses, das Alles bereitet die vollständige Vereinigung vor. Wenn das neue
"uigthunr den Namen Preußen empfängt, so ist auch das kein bloßer Zufall;
°"n wenn die eigentliche Kraft des Staats aus der Mark hervorgeht, so ist
^ vornehmste Schauplatz seiner Thätigkeit das Ordensland. Hier, bald in
'u Kampf, bald in den diplomatischen Beziehungen zu den übermächtigen
^'schen Nachbarn, ist der Punkt, wo sich entscheidet, ob aus der Markgraf,
"n. aus dem Kurfürstenthum ein freies Königreich sich erheben sott,

begrifflich ist dieser Zusammenhang nicht schwer darzustellen; der kunst-


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[0245] konnte man mit dem Geschichtschreiber rechten. In die Weltgeschichte tritt Preußen erst mit dem großen Kurfürsten; vor dieser Periode Hütte man ein "ut übernatürlichen Kräften ausgestatteter Prophet sein müssen, um dem be¬ sinnenden Staat seine Zukunft voraussagen zu können. Bei der allgemeinen Zerrüttung Deutschlands, der Brandenburg ebenso anheim gefallen war, wie ""e übrigen Territorien, und bei der schwachen und widerspruchsvollen Regie¬ rung der letzten Jahrzehnte hätte dieser Staat weltgeschichtlich ebensogut unter- üehn können, als seine Rivalen. Erst der große Kurfürst hat den Organis- '"us aufgebaut, welcher den großen König möglich machte. Darum gibt Wenzel in seiner preußischen Geschichte die Periode, die dem großen Kur¬ fürsten vorangeht, nur ganz übersichtlich und wird immer ausführlicher, je näher er der Gegenwart kommt, wobei er freilich die Grenzen des künstlerisch er¬ laubten mitunter um ein Erhebliches überschreitet. Freilich Hütte auch der große Kurfürst, trotz seiner mächtigen Persönlich¬ st, aus dem Nichts einen Staat nicht schaffen können; es mußte er den histori¬ schen Voraussetzungen etwas vorhanden sein, was ihn zu seinem Unternehmen berechtigte und befähigte, und dieses quellenmäßig festzustellen, war es gerade, ^>as Droysen reizte. Es war kein Zufall, daß grade die beiden Ostmarken, die nördliche und übliche, die hauptsächlichen Träger des modernen Staatslebens wurden, denn ihren Nachbarn unaufhörlich bedroht und, bei der allgemeinen Anarchie, dem Reichsoberhaupt wenig gefördert, mußten sie auf eine selbstständige "Ad konsequente Politik nach Außen und Innen bedacht sein. Es war mehr ^ ein bloßer Zufall, wenn die äußerste deutsche Kolonie im Osten mit der l"rk Brandenburg unter demselben Herrscherhause vereinigt wurde; denn ^»n man sie nicht in derselben Weise verloren geben wollte, wie Liefland, ^° Mußte sie durch Verbindung mit einer benachbarten und militärischen Regie¬ rung gekräftigt werden. In demselben Jahrzehnt, wo die Mark Brandenburg "u Hohenzollern füllt, beginnt der Verzweiflungskampf des Ordenslandes ^3en Polen; ein Brandenburger secularisirt den Orden, und bald darauf, U'Mut auch die Mark die Reformation an. Gemeinschaftlichkeit der Interessen, es Bekenntnisses, geographischer Zusammenhang. Verwandtschaft des Herrscher¬ hauses, das Alles bereitet die vollständige Vereinigung vor. Wenn das neue "uigthunr den Namen Preußen empfängt, so ist auch das kein bloßer Zufall; °"n wenn die eigentliche Kraft des Staats aus der Mark hervorgeht, so ist ^ vornehmste Schauplatz seiner Thätigkeit das Ordensland. Hier, bald in 'u Kampf, bald in den diplomatischen Beziehungen zu den übermächtigen ^'schen Nachbarn, ist der Punkt, wo sich entscheidet, ob aus der Markgraf, "n. aus dem Kurfürstenthum ein freies Königreich sich erheben sott, begrifflich ist dieser Zusammenhang nicht schwer darzustellen; der kunst- ^enzboten IV. 1359. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/245>, abgerufen am 28.09.2024.