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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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schien; über schon hatten die Verhältnisse vorgearbeitet und gleich zu Anfang
dieses Jahrhunderts hatte sich, ohne Mitwirken der Regierung, das junge Le¬
ben der Literatur mehr und mehr nach Berlin gezogen. Seitdem haben sich
l"se aus allen Wissenschaften die Sommitäten hier zusammengefunden, und
^cum sie einige Jahrzehnte hindurch auf das geistige Leben Deutschlands nicht
Einfluß ausübten, der ihnen eigentlich zukam, so lag das hauptsächlich
der politischen Lethargie, in welche der Staat versunken war, und, was da¬
mit zusammenhängt, in dem Druck, den er auf die Literatur ausübte. Das
'se nun anders geworden, und wie in politischer Beziehung alle Theile unsers
gemeinsamen Vaterlandes ihre hauptsächliche Aufmerksamkeit nach Berlin rieb¬
en, so kann es auch in literarischer geschehn, wenn die Negierung ihr Augen¬
merk nicht blos auf das stille Reich der Gelehrsamkeit, sondern auch auf die
Mvductiven Talente richtet. München ist Berlin darin mit gutem Beispiel
vorangegangen, und trotz des undankbaren Bodens hat diese Bemühung be¬
reits gute Früchte getragen.

Die Universitäten haben nach dieser Seite hin um so freiern Spielraum,
d" die Gabe der Darstellung auch bei unsern strengern Gelehrten sich mehr
M>d nrehr einfindet. Während früher Beides scharf von einander gesondert
^r. wodurch die Entwickelung einer wirtlichen Nationalliteratur nicht wenig
^summt wurde, können wir jetzt schon mehrere Namen zählen, die nach bei¬
den Seiten hin in den ersten Rang gehören.

An Vielseitigkeit des Talents sind wenige unsrer Gelehrten mit Droysen
^ vergleichen. Die Art wie er in seinen historischen Werken durch das em-
^'ische Material die allgemeine Idee durchschimmern läßt, verräth einen reich
^gestatteten speculativen Geist, seine Nachbildungen des Aristophanes und
Miylus zeigen von einem nicht unbedeutenden poetischen Talent, wenigstens von
^'em ungewöhnlich reichen Sinn sür das Schöne in allen Gestalten. Dabei
^°pft er durchweg aus der Tiefe der historischen Forschung und seine Forschung
^streckt sich über alle Gebiete der Geschichte. Mit diesen Vorzügen ist freilich
^ Fehler verbunden, daß sein Geist in seiner lebhaften Thätigkeit mit der
°ustvuction des historischen Ganzen aus der Idee heraus zuweilen der For-
"ug voraneilt; aber diesen Fehler bat er mit großem Erfolg zu überwinden
^sucht.

. Droysen gehört um so mehr nach Berlin, da das Gefühl für den bene-
nnt europäischen Beruf des preußischen Staats vielleicht bei keinem
luftsteller mit so klarem Bewußtsein hervortritt, als bei ihm. Dies Be-
btsein sprach sich, nachdem er die Forschungen auf dein Gebiet des Alter-
krj^ beendigt, zuerst am Vernehmlichsten in seiner Geschichte der Freiheits-
uege
Punkt"us. einem Abriß der modernen Weltgeschichte nach idealen Gesichts-
^, welche die Bedeutung Preußens in sehr deutlichen Umrissen hervor-


schien; über schon hatten die Verhältnisse vorgearbeitet und gleich zu Anfang
dieses Jahrhunderts hatte sich, ohne Mitwirken der Regierung, das junge Le¬
ben der Literatur mehr und mehr nach Berlin gezogen. Seitdem haben sich
l"se aus allen Wissenschaften die Sommitäten hier zusammengefunden, und
^cum sie einige Jahrzehnte hindurch auf das geistige Leben Deutschlands nicht
Einfluß ausübten, der ihnen eigentlich zukam, so lag das hauptsächlich
der politischen Lethargie, in welche der Staat versunken war, und, was da¬
mit zusammenhängt, in dem Druck, den er auf die Literatur ausübte. Das
'se nun anders geworden, und wie in politischer Beziehung alle Theile unsers
gemeinsamen Vaterlandes ihre hauptsächliche Aufmerksamkeit nach Berlin rieb¬
en, so kann es auch in literarischer geschehn, wenn die Negierung ihr Augen¬
merk nicht blos auf das stille Reich der Gelehrsamkeit, sondern auch auf die
Mvductiven Talente richtet. München ist Berlin darin mit gutem Beispiel
vorangegangen, und trotz des undankbaren Bodens hat diese Bemühung be¬
reits gute Früchte getragen.

Die Universitäten haben nach dieser Seite hin um so freiern Spielraum,
d» die Gabe der Darstellung auch bei unsern strengern Gelehrten sich mehr
M>d nrehr einfindet. Während früher Beides scharf von einander gesondert
^r. wodurch die Entwickelung einer wirtlichen Nationalliteratur nicht wenig
^summt wurde, können wir jetzt schon mehrere Namen zählen, die nach bei¬
den Seiten hin in den ersten Rang gehören.

An Vielseitigkeit des Talents sind wenige unsrer Gelehrten mit Droysen
^ vergleichen. Die Art wie er in seinen historischen Werken durch das em-
^'ische Material die allgemeine Idee durchschimmern läßt, verräth einen reich
^gestatteten speculativen Geist, seine Nachbildungen des Aristophanes und
Miylus zeigen von einem nicht unbedeutenden poetischen Talent, wenigstens von
^'em ungewöhnlich reichen Sinn sür das Schöne in allen Gestalten. Dabei
^°pft er durchweg aus der Tiefe der historischen Forschung und seine Forschung
^streckt sich über alle Gebiete der Geschichte. Mit diesen Vorzügen ist freilich
^ Fehler verbunden, daß sein Geist in seiner lebhaften Thätigkeit mit der
°ustvuction des historischen Ganzen aus der Idee heraus zuweilen der For-
"ug voraneilt; aber diesen Fehler bat er mit großem Erfolg zu überwinden
^sucht.

. Droysen gehört um so mehr nach Berlin, da das Gefühl für den bene-
nnt europäischen Beruf des preußischen Staats vielleicht bei keinem
luftsteller mit so klarem Bewußtsein hervortritt, als bei ihm. Dies Be-
btsein sprach sich, nachdem er die Forschungen auf dein Gebiet des Alter-
krj^ beendigt, zuerst am Vernehmlichsten in seiner Geschichte der Freiheits-
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Punkt"us. einem Abriß der modernen Weltgeschichte nach idealen Gesichts-
^, welche die Bedeutung Preußens in sehr deutlichen Umrissen hervor-


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[0243] schien; über schon hatten die Verhältnisse vorgearbeitet und gleich zu Anfang dieses Jahrhunderts hatte sich, ohne Mitwirken der Regierung, das junge Le¬ ben der Literatur mehr und mehr nach Berlin gezogen. Seitdem haben sich l"se aus allen Wissenschaften die Sommitäten hier zusammengefunden, und ^cum sie einige Jahrzehnte hindurch auf das geistige Leben Deutschlands nicht Einfluß ausübten, der ihnen eigentlich zukam, so lag das hauptsächlich der politischen Lethargie, in welche der Staat versunken war, und, was da¬ mit zusammenhängt, in dem Druck, den er auf die Literatur ausübte. Das 'se nun anders geworden, und wie in politischer Beziehung alle Theile unsers gemeinsamen Vaterlandes ihre hauptsächliche Aufmerksamkeit nach Berlin rieb¬ en, so kann es auch in literarischer geschehn, wenn die Negierung ihr Augen¬ merk nicht blos auf das stille Reich der Gelehrsamkeit, sondern auch auf die Mvductiven Talente richtet. München ist Berlin darin mit gutem Beispiel vorangegangen, und trotz des undankbaren Bodens hat diese Bemühung be¬ reits gute Früchte getragen. Die Universitäten haben nach dieser Seite hin um so freiern Spielraum, d» die Gabe der Darstellung auch bei unsern strengern Gelehrten sich mehr M>d nrehr einfindet. Während früher Beides scharf von einander gesondert ^r. wodurch die Entwickelung einer wirtlichen Nationalliteratur nicht wenig ^summt wurde, können wir jetzt schon mehrere Namen zählen, die nach bei¬ den Seiten hin in den ersten Rang gehören. An Vielseitigkeit des Talents sind wenige unsrer Gelehrten mit Droysen ^ vergleichen. Die Art wie er in seinen historischen Werken durch das em- ^'ische Material die allgemeine Idee durchschimmern läßt, verräth einen reich ^gestatteten speculativen Geist, seine Nachbildungen des Aristophanes und Miylus zeigen von einem nicht unbedeutenden poetischen Talent, wenigstens von ^'em ungewöhnlich reichen Sinn sür das Schöne in allen Gestalten. Dabei ^°pft er durchweg aus der Tiefe der historischen Forschung und seine Forschung ^streckt sich über alle Gebiete der Geschichte. Mit diesen Vorzügen ist freilich ^ Fehler verbunden, daß sein Geist in seiner lebhaften Thätigkeit mit der °ustvuction des historischen Ganzen aus der Idee heraus zuweilen der For- "ug voraneilt; aber diesen Fehler bat er mit großem Erfolg zu überwinden ^sucht. . Droysen gehört um so mehr nach Berlin, da das Gefühl für den bene- nnt europäischen Beruf des preußischen Staats vielleicht bei keinem luftsteller mit so klarem Bewußtsein hervortritt, als bei ihm. Dies Be- btsein sprach sich, nachdem er die Forschungen auf dein Gebiet des Alter- krj^ beendigt, zuerst am Vernehmlichsten in seiner Geschichte der Freiheits- uege Punkt"us. einem Abriß der modernen Weltgeschichte nach idealen Gesichts- ^, welche die Bedeutung Preußens in sehr deutlichen Umrissen hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/243>, abgerufen am 29.06.2024.