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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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per. Wir denken, dies sei eben eine französische Ansicht: die Franzosen haben
Paris befestigt, folglich sollen die Belgier Brüssel befestigen. Aber Antwerpen
ist in der That ebenso gut als eine Hauptstadt Belgiens anzusehen, wie
Brüssel. Freilich liegt letzteres näher dem geometrischen Mittelpunkt des Lan¬
des, aber die geometrischen Verhältnisse geben im Kriege keine Entscheidung,
und überdies liegt Antwerpen, wenn auch zwei Tagemarsche nördlicher als
Brüssel, doch ebenso gut als dieses auf der Meridianen Mittellinie des Landes.
Antwerpen ist taktisch viel zweckmäßiger gelegen als Brüssel, welches letztere von
keinem großen Strome, sondern nur von dem Flüßchen Senne durchflossen wird. Ant-
werpen hat auch bereits Befestigungen, welche einen Kern für das zu errichtende
verschanzte Lager abgeben. Bei Brüssel fehlt so etwas ganz; hier müßte durch'
aus aus dem Rohen heraus gearbeitet werden. Außerdem ist nun wohl zu
beachten, daß, wenn Frankreich einen Krieg gegen Belgien beginnt, die Haupt'
Ursache desselben, möge sie genannt werden oder nicht, der Wunsch sein wird,
sich Antwerpens zu bemächtigen. Insofern füllt es in sich zusammen, wenn
die Franzosen meinen, das befestigte Antwerpen könnte leicht den Dienst eines
schlechten Blitzableiters versehen, den Blitz auf das Dach ziehen, welches es
beschützen soll. Wenn die Franzosen Belgien nicht angreifen wollen, so kann
es ihnen gleich sein, ob Antwerpen befestigt ist oder nicht; wollen sie es aber
angreifen und es kommt ihnen nur auf einen Vorwand an, so werden sie
ihn finden, mag Antwerpen befestigt und mit einem verschanzten Lager versehen
sein, oder nicht, -- aber bei einem solchen Kampfe wird Antwerpen, nicht
Brüssel ihr Hauptobject sein und die starken Befestigungen und die starke Be'
Satzung grade dieses Hauptobjectes können dann den Franzosen allerdings seh^
unbequem werden. nine illav I^erima-s! Daher die eigenthümlichen Studien
der Franzosen über die Antwerpenfrage -- im wohlverstandenen Interesse
Belgiens!

So Vieles den Franzosen unter der Leitung Napoleons des Dritten scho"
gelungen ist darf man doch wol kaum voraussetzen, daß England einem Angriffe
aus Belgien ruhig zusehen würde. England müßte dann, wenn es nicht völlig
blind wäre, seine Flotte zu Gunsten Belgiens aufbrechen lassen, es müßte auf
die nächstbetheiligten Mächte, Holland und Preußen, einwirken, um diese
zur Thätigkeit für Belgien zu bestimmen, es müßte endlich selbst Land'
truppen zur Unterstützung senden. In dieser letzteren Beziehung kann England
niemals viel thun, in unserer Zeit aber weniger als früher, da es bei dew
Aufschwünge, den die französische Flotte jetzt genommen hat. keineswegs meh^
unbedingte Beherrscherin der Meere ist und eine Landung in England. "N
unlösbares Problem sür Napoleon den Ersten, für Napoleon den Dritten eme
verhältnißmäßig leichte Sache ist, deren Schwierigkeiten, wie es uns scheiß
immer noch übertrieben werden, obgleich wir keineswegs leugnen wollen, tut?


per. Wir denken, dies sei eben eine französische Ansicht: die Franzosen haben
Paris befestigt, folglich sollen die Belgier Brüssel befestigen. Aber Antwerpen
ist in der That ebenso gut als eine Hauptstadt Belgiens anzusehen, wie
Brüssel. Freilich liegt letzteres näher dem geometrischen Mittelpunkt des Lan¬
des, aber die geometrischen Verhältnisse geben im Kriege keine Entscheidung,
und überdies liegt Antwerpen, wenn auch zwei Tagemarsche nördlicher als
Brüssel, doch ebenso gut als dieses auf der Meridianen Mittellinie des Landes.
Antwerpen ist taktisch viel zweckmäßiger gelegen als Brüssel, welches letztere von
keinem großen Strome, sondern nur von dem Flüßchen Senne durchflossen wird. Ant-
werpen hat auch bereits Befestigungen, welche einen Kern für das zu errichtende
verschanzte Lager abgeben. Bei Brüssel fehlt so etwas ganz; hier müßte durch'
aus aus dem Rohen heraus gearbeitet werden. Außerdem ist nun wohl zu
beachten, daß, wenn Frankreich einen Krieg gegen Belgien beginnt, die Haupt'
Ursache desselben, möge sie genannt werden oder nicht, der Wunsch sein wird,
sich Antwerpens zu bemächtigen. Insofern füllt es in sich zusammen, wenn
die Franzosen meinen, das befestigte Antwerpen könnte leicht den Dienst eines
schlechten Blitzableiters versehen, den Blitz auf das Dach ziehen, welches es
beschützen soll. Wenn die Franzosen Belgien nicht angreifen wollen, so kann
es ihnen gleich sein, ob Antwerpen befestigt ist oder nicht; wollen sie es aber
angreifen und es kommt ihnen nur auf einen Vorwand an, so werden sie
ihn finden, mag Antwerpen befestigt und mit einem verschanzten Lager versehen
sein, oder nicht, — aber bei einem solchen Kampfe wird Antwerpen, nicht
Brüssel ihr Hauptobject sein und die starken Befestigungen und die starke Be'
Satzung grade dieses Hauptobjectes können dann den Franzosen allerdings seh^
unbequem werden. nine illav I^erima-s! Daher die eigenthümlichen Studien
der Franzosen über die Antwerpenfrage — im wohlverstandenen Interesse
Belgiens!

So Vieles den Franzosen unter der Leitung Napoleons des Dritten scho"
gelungen ist darf man doch wol kaum voraussetzen, daß England einem Angriffe
aus Belgien ruhig zusehen würde. England müßte dann, wenn es nicht völlig
blind wäre, seine Flotte zu Gunsten Belgiens aufbrechen lassen, es müßte auf
die nächstbetheiligten Mächte, Holland und Preußen, einwirken, um diese
zur Thätigkeit für Belgien zu bestimmen, es müßte endlich selbst Land'
truppen zur Unterstützung senden. In dieser letzteren Beziehung kann England
niemals viel thun, in unserer Zeit aber weniger als früher, da es bei dew
Aufschwünge, den die französische Flotte jetzt genommen hat. keineswegs meh^
unbedingte Beherrscherin der Meere ist und eine Landung in England. "N
unlösbares Problem sür Napoleon den Ersten, für Napoleon den Dritten eme
verhältnißmäßig leichte Sache ist, deren Schwierigkeiten, wie es uns scheiß
immer noch übertrieben werden, obgleich wir keineswegs leugnen wollen, tut?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/232>, abgerufen am 29.06.2024.