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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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"Wenn eine schwache Armee, in Erwartung äußerer Hülfe sich mit Aufgebung
von Terrain vor dem übermächtigen Feinde zurückzieht, so muß sie sich --
fügt man -- demjenigen Punkte zu nähern suchen, von welchem her die Hülf
erwartet wird." Von diesem Gesichtspunkte aus ist es klar, daß die Belgier
von Süden her. von Frankreich, ihren Feind erwarten, wenn sie Antwerpen
in ihrem centralen Nückzugspunkte wählen. Jedenfalls nähern sie sich dabei
Frankreich nicht. Aber wem nähern sie sich am meisten? England offenbar.
Der Deputirte Hymans sagte dies auch gradezu in der belgischen Kammer.
"Suche ich nach dein entscheidenden Punkte der Discussion -- sagte er -- so
finde ich. abgesehen von den strategischen Fragen, einen politischen Grund.
Antwerpen zum Nückzugsplatz zu wählen. Es ist dieser: England hat niemals
Belgien angegriffen, es ist für alle frei regierten Staaten gut gestimmt, es hat in
Lesern Sinne in Holland, der Schweiz, Sardinien gearbeitet, und wenn wir
Antwerpen wählen, nähern wir uns also soweit möglich unserem wahren Ver¬
bündeten. Belgien hat das Interesse, daß die Politik Frankreichs nicht Herr
über die Politik Englands wird." Dies ist sehr verständlich. Bekanntlich haben
u> neuerer Zeit die französischen offiziellen und offiziösen Blätter die Autwcr-
vnffrage eifrig studirt. Dieselben geben nicht undeutlich zu verstehen, daß
Belgien bei der Wahl eines Rückzugplatzes für seine Armee besser gethan
!>nlle. statt Antwerpen und die Annäherung an England, einen andern Platz
"ut die Annäherung an Preußen zu suchen. Angenommen, daß dies sich so
^hält. so hatten unseres Erachtens die Belgier nur die Wahl zwischen zwei
Nützen, Lüttich und Namur. Namur ist eine Stadt ova nur 22000 Einwohnern,
"Nßcrdem der französischen Grenze einen starken Tagemnrsch nahe. Man
^urbe also wohl Lüttich vorziehen müssen, welches 70000 Einwohner hat,
Namur an der nächsten Eisenbahnverbindung zwischen Belgien und Preu-
^n liegt, ja letzterem noch näher ist, und außerdem in Bezug auf die taktischen
Verhältnisse der Befestigung bei seiner Lage an der Mündung der Ourthe in
Maas nicht geringere Vortheile bietet als Namur an der Mündung der
^rendre in die Maas. Wir gestehen, wenn wir annehmen dürften, daß Preu-
^n niemals einen Angriff auf Belgien dulden würde ohne einzuschreiten, selbst
'v dem Falle, daß es Belgiens einziger Bundesgenosse wäre, und ans Hollands
stritt zum Bündnisse nicht gerechnet werden könnte, vielmehr dessen Neutral-
leiben gefürchtet werden müßte, wir würden unbedingt Lüttich den Vorzug vor
Ntwerpen geben. Indessen scheint jene Annahme uns unerlaubt, und wir
werden wol endlich dahin kommen, den gesunden praktischen Sinn der Belgier
^'erkennen zu müssen, wenn wir Alles zusammenstellen, was für Antwerpen
. " ehe. Die Franzosen haben hie und da die Meinung geäußert, die Belgier
"dem besser gethan, Brüssel zum Centralplatz zu wählen; es sei die Haupt-
r des Landes, und habe außerdem eine viel centralere Lage als Antwer-


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»Wenn eine schwache Armee, in Erwartung äußerer Hülfe sich mit Aufgebung
von Terrain vor dem übermächtigen Feinde zurückzieht, so muß sie sich —
fügt man — demjenigen Punkte zu nähern suchen, von welchem her die Hülf
erwartet wird." Von diesem Gesichtspunkte aus ist es klar, daß die Belgier
von Süden her. von Frankreich, ihren Feind erwarten, wenn sie Antwerpen
in ihrem centralen Nückzugspunkte wählen. Jedenfalls nähern sie sich dabei
Frankreich nicht. Aber wem nähern sie sich am meisten? England offenbar.
Der Deputirte Hymans sagte dies auch gradezu in der belgischen Kammer.
"Suche ich nach dein entscheidenden Punkte der Discussion — sagte er — so
finde ich. abgesehen von den strategischen Fragen, einen politischen Grund.
Antwerpen zum Nückzugsplatz zu wählen. Es ist dieser: England hat niemals
Belgien angegriffen, es ist für alle frei regierten Staaten gut gestimmt, es hat in
Lesern Sinne in Holland, der Schweiz, Sardinien gearbeitet, und wenn wir
Antwerpen wählen, nähern wir uns also soweit möglich unserem wahren Ver¬
bündeten. Belgien hat das Interesse, daß die Politik Frankreichs nicht Herr
über die Politik Englands wird." Dies ist sehr verständlich. Bekanntlich haben
u> neuerer Zeit die französischen offiziellen und offiziösen Blätter die Autwcr-
vnffrage eifrig studirt. Dieselben geben nicht undeutlich zu verstehen, daß
Belgien bei der Wahl eines Rückzugplatzes für seine Armee besser gethan
!>nlle. statt Antwerpen und die Annäherung an England, einen andern Platz
»ut die Annäherung an Preußen zu suchen. Angenommen, daß dies sich so
^hält. so hatten unseres Erachtens die Belgier nur die Wahl zwischen zwei
Nützen, Lüttich und Namur. Namur ist eine Stadt ova nur 22000 Einwohnern,
"Nßcrdem der französischen Grenze einen starken Tagemnrsch nahe. Man
^urbe also wohl Lüttich vorziehen müssen, welches 70000 Einwohner hat,
Namur an der nächsten Eisenbahnverbindung zwischen Belgien und Preu-
^n liegt, ja letzterem noch näher ist, und außerdem in Bezug auf die taktischen
Verhältnisse der Befestigung bei seiner Lage an der Mündung der Ourthe in
Maas nicht geringere Vortheile bietet als Namur an der Mündung der
^rendre in die Maas. Wir gestehen, wenn wir annehmen dürften, daß Preu-
^n niemals einen Angriff auf Belgien dulden würde ohne einzuschreiten, selbst
'v dem Falle, daß es Belgiens einziger Bundesgenosse wäre, und ans Hollands
stritt zum Bündnisse nicht gerechnet werden könnte, vielmehr dessen Neutral-
leiben gefürchtet werden müßte, wir würden unbedingt Lüttich den Vorzug vor
Ntwerpen geben. Indessen scheint jene Annahme uns unerlaubt, und wir
werden wol endlich dahin kommen, den gesunden praktischen Sinn der Belgier
^'erkennen zu müssen, wenn wir Alles zusammenstellen, was für Antwerpen
. „ ehe. Die Franzosen haben hie und da die Meinung geäußert, die Belgier
"dem besser gethan, Brüssel zum Centralplatz zu wählen; es sei die Haupt-
r des Landes, und habe außerdem eine viel centralere Lage als Antwer-


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[0231] »Wenn eine schwache Armee, in Erwartung äußerer Hülfe sich mit Aufgebung von Terrain vor dem übermächtigen Feinde zurückzieht, so muß sie sich — fügt man — demjenigen Punkte zu nähern suchen, von welchem her die Hülf erwartet wird." Von diesem Gesichtspunkte aus ist es klar, daß die Belgier von Süden her. von Frankreich, ihren Feind erwarten, wenn sie Antwerpen in ihrem centralen Nückzugspunkte wählen. Jedenfalls nähern sie sich dabei Frankreich nicht. Aber wem nähern sie sich am meisten? England offenbar. Der Deputirte Hymans sagte dies auch gradezu in der belgischen Kammer. "Suche ich nach dein entscheidenden Punkte der Discussion — sagte er — so finde ich. abgesehen von den strategischen Fragen, einen politischen Grund. Antwerpen zum Nückzugsplatz zu wählen. Es ist dieser: England hat niemals Belgien angegriffen, es ist für alle frei regierten Staaten gut gestimmt, es hat in Lesern Sinne in Holland, der Schweiz, Sardinien gearbeitet, und wenn wir Antwerpen wählen, nähern wir uns also soweit möglich unserem wahren Ver¬ bündeten. Belgien hat das Interesse, daß die Politik Frankreichs nicht Herr über die Politik Englands wird." Dies ist sehr verständlich. Bekanntlich haben u> neuerer Zeit die französischen offiziellen und offiziösen Blätter die Autwcr- vnffrage eifrig studirt. Dieselben geben nicht undeutlich zu verstehen, daß Belgien bei der Wahl eines Rückzugplatzes für seine Armee besser gethan !>nlle. statt Antwerpen und die Annäherung an England, einen andern Platz »ut die Annäherung an Preußen zu suchen. Angenommen, daß dies sich so ^hält. so hatten unseres Erachtens die Belgier nur die Wahl zwischen zwei Nützen, Lüttich und Namur. Namur ist eine Stadt ova nur 22000 Einwohnern, "Nßcrdem der französischen Grenze einen starken Tagemnrsch nahe. Man ^urbe also wohl Lüttich vorziehen müssen, welches 70000 Einwohner hat, Namur an der nächsten Eisenbahnverbindung zwischen Belgien und Preu- ^n liegt, ja letzterem noch näher ist, und außerdem in Bezug auf die taktischen Verhältnisse der Befestigung bei seiner Lage an der Mündung der Ourthe in Maas nicht geringere Vortheile bietet als Namur an der Mündung der ^rendre in die Maas. Wir gestehen, wenn wir annehmen dürften, daß Preu- ^n niemals einen Angriff auf Belgien dulden würde ohne einzuschreiten, selbst 'v dem Falle, daß es Belgiens einziger Bundesgenosse wäre, und ans Hollands stritt zum Bündnisse nicht gerechnet werden könnte, vielmehr dessen Neutral- leiben gefürchtet werden müßte, wir würden unbedingt Lüttich den Vorzug vor Ntwerpen geben. Indessen scheint jene Annahme uns unerlaubt, und wir werden wol endlich dahin kommen, den gesunden praktischen Sinn der Belgier ^'erkennen zu müssen, wenn wir Alles zusammenstellen, was für Antwerpen . „ ehe. Die Franzosen haben hie und da die Meinung geäußert, die Belgier "dem besser gethan, Brüssel zum Centralplatz zu wählen; es sei die Haupt- r des Landes, und habe außerdem eine viel centralere Lage als Antwer- 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/231>, abgerufen am 29.06.2024.