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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Auch in dieser sollte er erscheinen; und bald machte sich ein leises fernes
Rollen hörbar, welches in schnellem Crescendo rasselnd näher kam und schnell
abbrach: Das mußte Goethes Wagen sein. Denn in den Gesprächen des
Schauspielerpersonals, das sich nach und nach auf der Bühne eingefunden
hatte, trat plötzlich eine Generalpause ein und die Mimen verzogen sich still
in die Koulissen. Nur der alte Regisseur Gemahl, der Vater des jetzigen
berühmten Künstlers, blieb auf der Bühne zurück. Kurz darauf trat Goethe
in die Loge. Auf den ehrerbietigen Gruß und die Frage Gemahls, ob Excellenz
befehle, daß die Probe beginne, erwiederte Goethe mit seiner vollen sonoren
Stimme freundlich: "Wenns beliebt." Er setzte sich, die Theaterklingel er¬
tönte und die Probe begann.

In dem ersten Act von Turandot treten bekanntlich nur Männer und
ein altes Weib auf. -- Die gingen mich nichts an. Ich rührte mich daher
auch nicht in meinem Versteck. Zwar klopfte mein Herz unaufhörlich höchst
ungestüm in mir, aber ich blieb fest.

Im vierten Austritt des zweiten Acts erschien endlich Turandot. Diese
Rolle spielte die junge Theaternovize zwar noch nicht, aber eine der zwölf
Sklavinnen der Prinzessin darzustellen, war ihrem Talente bereits anvertraut
worden. So wie dieser Sklavinnenzug die Bühne betrat, wurde mein dra¬
matisches Interesse augenblicklich rege und ich fühlte mich mächtig von der
Handlung angezogen. Unglücklicherweise wurden die Sklavinnen, je sechs an
beiden Seiten der Bühne, ganz nahe den Koulissen, aufgestellt und meine
specielle Sklavin kam grade an die Seite, wo ich stand. Hierdurch wurde sie
natürlich meinen Blicken gänzlich entzogen. Ich wollte aber sehen und nicht blos
sie sehen, ich fühlte auch den unwiderstehlichen Drang, ihr meine Gegenwart be¬
merklich zu machen. Um beide Zwecke zu erreichen, mußte ich aus meinem Hinter¬
halt hervor. Ich versuchte es zunächst mit einem schüchternen Schritt; der half nicht;
ich wagte einen zweiten zuzugeben -- die Mädchenrcihe kam mir etwas ins
Gesicht, aber die Eine und Eirizige konnte mich noch immer nicht bemerken.
So rückte ich denn allmälig in süßer Selbstvergessenheit, mein ganzes Wesen
nur auf einen Punkt fixirend, weiter und weiter vor, bis ich endlich mitten
im Parterre zu jedermanns Ansicht dastand! Wol erreichte ich meine Absicht,
sie erblickte mich wirklich -- sie neigte ihr reizendes Köpfchen mir alsobald leise
grüßend zu. wurde aber auch gleich nach dieser schönen That mit Purpur ganz
Übergossen und stand, ihre langen, schwarzen Wimpern über ihre blitzenden
schwarzen Aeuglein eilig herabfallen lassend, da, wie ein schlafendes, aber süß'
träumendes Kind.

Dies sehend vergaß ich den letzten Nest der Welt, den ich bis dahin,
wenn auch wie von einem starken Nebel umhüllt, um mich herum bemerkt
hatte, und ohne mich weiter an etwas zu kehren, begann ich ihr so oft und


Auch in dieser sollte er erscheinen; und bald machte sich ein leises fernes
Rollen hörbar, welches in schnellem Crescendo rasselnd näher kam und schnell
abbrach: Das mußte Goethes Wagen sein. Denn in den Gesprächen des
Schauspielerpersonals, das sich nach und nach auf der Bühne eingefunden
hatte, trat plötzlich eine Generalpause ein und die Mimen verzogen sich still
in die Koulissen. Nur der alte Regisseur Gemahl, der Vater des jetzigen
berühmten Künstlers, blieb auf der Bühne zurück. Kurz darauf trat Goethe
in die Loge. Auf den ehrerbietigen Gruß und die Frage Gemahls, ob Excellenz
befehle, daß die Probe beginne, erwiederte Goethe mit seiner vollen sonoren
Stimme freundlich: „Wenns beliebt." Er setzte sich, die Theaterklingel er¬
tönte und die Probe begann.

In dem ersten Act von Turandot treten bekanntlich nur Männer und
ein altes Weib auf. — Die gingen mich nichts an. Ich rührte mich daher
auch nicht in meinem Versteck. Zwar klopfte mein Herz unaufhörlich höchst
ungestüm in mir, aber ich blieb fest.

Im vierten Austritt des zweiten Acts erschien endlich Turandot. Diese
Rolle spielte die junge Theaternovize zwar noch nicht, aber eine der zwölf
Sklavinnen der Prinzessin darzustellen, war ihrem Talente bereits anvertraut
worden. So wie dieser Sklavinnenzug die Bühne betrat, wurde mein dra¬
matisches Interesse augenblicklich rege und ich fühlte mich mächtig von der
Handlung angezogen. Unglücklicherweise wurden die Sklavinnen, je sechs an
beiden Seiten der Bühne, ganz nahe den Koulissen, aufgestellt und meine
specielle Sklavin kam grade an die Seite, wo ich stand. Hierdurch wurde sie
natürlich meinen Blicken gänzlich entzogen. Ich wollte aber sehen und nicht blos
sie sehen, ich fühlte auch den unwiderstehlichen Drang, ihr meine Gegenwart be¬
merklich zu machen. Um beide Zwecke zu erreichen, mußte ich aus meinem Hinter¬
halt hervor. Ich versuchte es zunächst mit einem schüchternen Schritt; der half nicht;
ich wagte einen zweiten zuzugeben — die Mädchenrcihe kam mir etwas ins
Gesicht, aber die Eine und Eirizige konnte mich noch immer nicht bemerken.
So rückte ich denn allmälig in süßer Selbstvergessenheit, mein ganzes Wesen
nur auf einen Punkt fixirend, weiter und weiter vor, bis ich endlich mitten
im Parterre zu jedermanns Ansicht dastand! Wol erreichte ich meine Absicht,
sie erblickte mich wirklich — sie neigte ihr reizendes Köpfchen mir alsobald leise
grüßend zu. wurde aber auch gleich nach dieser schönen That mit Purpur ganz
Übergossen und stand, ihre langen, schwarzen Wimpern über ihre blitzenden
schwarzen Aeuglein eilig herabfallen lassend, da, wie ein schlafendes, aber süß'
träumendes Kind.

Dies sehend vergaß ich den letzten Nest der Welt, den ich bis dahin,
wenn auch wie von einem starken Nebel umhüllt, um mich herum bemerkt
hatte, und ohne mich weiter an etwas zu kehren, begann ich ihr so oft und


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[0208] Auch in dieser sollte er erscheinen; und bald machte sich ein leises fernes Rollen hörbar, welches in schnellem Crescendo rasselnd näher kam und schnell abbrach: Das mußte Goethes Wagen sein. Denn in den Gesprächen des Schauspielerpersonals, das sich nach und nach auf der Bühne eingefunden hatte, trat plötzlich eine Generalpause ein und die Mimen verzogen sich still in die Koulissen. Nur der alte Regisseur Gemahl, der Vater des jetzigen berühmten Künstlers, blieb auf der Bühne zurück. Kurz darauf trat Goethe in die Loge. Auf den ehrerbietigen Gruß und die Frage Gemahls, ob Excellenz befehle, daß die Probe beginne, erwiederte Goethe mit seiner vollen sonoren Stimme freundlich: „Wenns beliebt." Er setzte sich, die Theaterklingel er¬ tönte und die Probe begann. In dem ersten Act von Turandot treten bekanntlich nur Männer und ein altes Weib auf. — Die gingen mich nichts an. Ich rührte mich daher auch nicht in meinem Versteck. Zwar klopfte mein Herz unaufhörlich höchst ungestüm in mir, aber ich blieb fest. Im vierten Austritt des zweiten Acts erschien endlich Turandot. Diese Rolle spielte die junge Theaternovize zwar noch nicht, aber eine der zwölf Sklavinnen der Prinzessin darzustellen, war ihrem Talente bereits anvertraut worden. So wie dieser Sklavinnenzug die Bühne betrat, wurde mein dra¬ matisches Interesse augenblicklich rege und ich fühlte mich mächtig von der Handlung angezogen. Unglücklicherweise wurden die Sklavinnen, je sechs an beiden Seiten der Bühne, ganz nahe den Koulissen, aufgestellt und meine specielle Sklavin kam grade an die Seite, wo ich stand. Hierdurch wurde sie natürlich meinen Blicken gänzlich entzogen. Ich wollte aber sehen und nicht blos sie sehen, ich fühlte auch den unwiderstehlichen Drang, ihr meine Gegenwart be¬ merklich zu machen. Um beide Zwecke zu erreichen, mußte ich aus meinem Hinter¬ halt hervor. Ich versuchte es zunächst mit einem schüchternen Schritt; der half nicht; ich wagte einen zweiten zuzugeben — die Mädchenrcihe kam mir etwas ins Gesicht, aber die Eine und Eirizige konnte mich noch immer nicht bemerken. So rückte ich denn allmälig in süßer Selbstvergessenheit, mein ganzes Wesen nur auf einen Punkt fixirend, weiter und weiter vor, bis ich endlich mitten im Parterre zu jedermanns Ansicht dastand! Wol erreichte ich meine Absicht, sie erblickte mich wirklich — sie neigte ihr reizendes Köpfchen mir alsobald leise grüßend zu. wurde aber auch gleich nach dieser schönen That mit Purpur ganz Übergossen und stand, ihre langen, schwarzen Wimpern über ihre blitzenden schwarzen Aeuglein eilig herabfallen lassend, da, wie ein schlafendes, aber süß' träumendes Kind. Dies sehend vergaß ich den letzten Nest der Welt, den ich bis dahin, wenn auch wie von einem starken Nebel umhüllt, um mich herum bemerkt hatte, und ohne mich weiter an etwas zu kehren, begann ich ihr so oft und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/208>, abgerufen am 29.06.2024.