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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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lange gegengrüßend zuzuwinken, bis sie es unter ihren halbgeöffneten Wimpern
hervorlugend mit zufriedener Miene bemerkte.

Nun denke mein sich, wie mir zu Muthe wurde, als in diese zarte Si¬
tuation, in diesen duftigen Zauber- und Liebestraum -- aus der großherzog¬
lichen Loge -- Goethe -- mit zürnender Stimme -- plötzlich (ich erzähle
historisch treu) donnernd und in majestätischem Rhythmus die Worte hcrab-
schmetterte:


"Schafft mir doch den Schweinhund aus den Augen!"

Wie ein tödtlich getroffener Hase that ich einige Sätze in die Luft, und
dann hinter den Pfeiler. Aber auch dort mich nicht sicher fühlend, faßte ich
in meiner totalen Geistesverwirrung den unglückseligsten Entschluß. Anstatt
auf dem Wege, auf dem ich hereingekommen, unbemerkt wieder hinauszu-
siüchten. was das Leichteste und Vernünftigste gewesen wäre, setzte ich. mich
Meiner equilibristischen Künste erinnernd, die ich mehrern Bereitergesellschaften
abgesehen und abgelernt hatte, mit beiden Händen auf der nächsten Bank an,
und schwang mich in fünf bis sechs Absätzen über die Sitze des ganzen Par¬
terre hinweg, nach der gegenüberstehenden Thür -- vor den Augen aller auf
der Bühne Anwesenden! -- Der ganze chinesische Hof, selbst Kaiser Altona
nicht ausgenommen, brach bei dem Anblick meiner Bajazzosprünge in ein ganz
gemeines deutsches Gelächter aus, und selbst Goethe soll sich eines Lächelns
nicht haben enthalten können.

Ich stürzte schamglühend in die düstere Herbstnacht hinaus, jagte wie ein
verfolgter Mörder meiner Wohnung zu und warf mich keuchend aus den ersten
Stuhl, an den ich anrannte und auf dem ich nicht nur an dem Ende meiner
Liebe, sondern auch an dem meines Lebens angelangt zu sein glaubte.

Und nun denke man sich, wie mir zu Muthe ward, als ich am andern
Tag erfuhr, daß ich mich ganz umsonst so blamirt hatte!

Im zweiten Act von Turandot werden die zweite Scene, die vierte und
der Ausgang dieses Actes mit Märschen begleitet. Diese Märsche hatte der
damalige Correpetitor Eulenstein in der Probe einstweilen am Clavier zu
spielen. Besagter Mann war zeitig an seinem Platze erschienen, hatte aber,
um der Langeweile des Wartens zu entgehen -- cairtores amant Irnmvres --
°M Fläschchen Branntwein mitgebracht, aus welchem er sich, von dem heiligen
Dunkel des Orchesters schützend umhüllt, fleißig Bescheid that. Er erfüllte bei
ersten Marsch seine Schuldigkeit vollkommen. Auch den zweiten, bei dem
Auftritt der Turandot. führte er noch gut genug aus, nur daß er hier durch
einiges Tempo rubato die wenig musikalisch ausgebildeten Beine der mar-
lchirendcn Statisten einigermaßen wegen des Takthaltens in Verlegenheit brachte.
da an aber geriet!) er durch die letzten Züge aus seiner Flasche in jenen
Zustand, in welchem der Mensch, nach Feuerbach unzurechnungsfähig wird, --


lange gegengrüßend zuzuwinken, bis sie es unter ihren halbgeöffneten Wimpern
hervorlugend mit zufriedener Miene bemerkte.

Nun denke mein sich, wie mir zu Muthe wurde, als in diese zarte Si¬
tuation, in diesen duftigen Zauber- und Liebestraum — aus der großherzog¬
lichen Loge — Goethe — mit zürnender Stimme — plötzlich (ich erzähle
historisch treu) donnernd und in majestätischem Rhythmus die Worte hcrab-
schmetterte:


„Schafft mir doch den Schweinhund aus den Augen!"

Wie ein tödtlich getroffener Hase that ich einige Sätze in die Luft, und
dann hinter den Pfeiler. Aber auch dort mich nicht sicher fühlend, faßte ich
in meiner totalen Geistesverwirrung den unglückseligsten Entschluß. Anstatt
auf dem Wege, auf dem ich hereingekommen, unbemerkt wieder hinauszu-
siüchten. was das Leichteste und Vernünftigste gewesen wäre, setzte ich. mich
Meiner equilibristischen Künste erinnernd, die ich mehrern Bereitergesellschaften
abgesehen und abgelernt hatte, mit beiden Händen auf der nächsten Bank an,
und schwang mich in fünf bis sechs Absätzen über die Sitze des ganzen Par¬
terre hinweg, nach der gegenüberstehenden Thür — vor den Augen aller auf
der Bühne Anwesenden! — Der ganze chinesische Hof, selbst Kaiser Altona
nicht ausgenommen, brach bei dem Anblick meiner Bajazzosprünge in ein ganz
gemeines deutsches Gelächter aus, und selbst Goethe soll sich eines Lächelns
nicht haben enthalten können.

Ich stürzte schamglühend in die düstere Herbstnacht hinaus, jagte wie ein
verfolgter Mörder meiner Wohnung zu und warf mich keuchend aus den ersten
Stuhl, an den ich anrannte und auf dem ich nicht nur an dem Ende meiner
Liebe, sondern auch an dem meines Lebens angelangt zu sein glaubte.

Und nun denke man sich, wie mir zu Muthe ward, als ich am andern
Tag erfuhr, daß ich mich ganz umsonst so blamirt hatte!

Im zweiten Act von Turandot werden die zweite Scene, die vierte und
der Ausgang dieses Actes mit Märschen begleitet. Diese Märsche hatte der
damalige Correpetitor Eulenstein in der Probe einstweilen am Clavier zu
spielen. Besagter Mann war zeitig an seinem Platze erschienen, hatte aber,
um der Langeweile des Wartens zu entgehen — cairtores amant Irnmvres —
°M Fläschchen Branntwein mitgebracht, aus welchem er sich, von dem heiligen
Dunkel des Orchesters schützend umhüllt, fleißig Bescheid that. Er erfüllte bei
ersten Marsch seine Schuldigkeit vollkommen. Auch den zweiten, bei dem
Auftritt der Turandot. führte er noch gut genug aus, nur daß er hier durch
einiges Tempo rubato die wenig musikalisch ausgebildeten Beine der mar-
lchirendcn Statisten einigermaßen wegen des Takthaltens in Verlegenheit brachte.
da an aber geriet!) er durch die letzten Züge aus seiner Flasche in jenen
Zustand, in welchem der Mensch, nach Feuerbach unzurechnungsfähig wird, —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/209>, abgerufen am 24.08.2024.