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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Während dieses Krieges waren sämmtliche deutsche Staaten darin einig,
daß man Oestreich zu Hilfe kommen müßte; auch darin waren alle einig,
daß ein Angriff aus die außerdeutschen Provinzen Oestreichs an sich den Bund
zur unmittelbaren Betheiligung nicht verpflichte, wie ja auch die Bundesacte
ausdrücklich besagt. Die Uneinigkeit zwischen Preußen und den Mittelstaatcn
bezog sich nur auf den Paragraphen, welcher die Frage: ob Gesahr sür das
Bundesgebiet vorhanden sei? der Bundesmajorität anheimgibt. Wenn
Preußen damals erklärte, sich nicht majorisiren lassen zu wollen, so meinte es
damit natürlich nur: die Gefahr für das Bundesgebiet muß wirklich vorhan¬
den sein, nicht blos formell constatirt, sonst konnte ja einmal eine Majorität
entscheiden, daß ein Krieg zwischen China und Japan eine Gefahr sür das
deutsche Bundesgebiet enthalte. Wenn also jetzt die Mittelstaaten darauf antragen,
jenen bisher unbestimmten Paragraphen dahin auszulegen, daß die subjective
Ansicht der einzelnen Bundesglieder, salls sie die Mehrheit gewinnen, aus
dem nomineller Vcrtheidigungskrieg einen realen Angriffskrieg machen kann, so
würde damit Preußen aufhören eine Großmacht zu sein, es könnte seine
Diplomaten entlassen und sich von Wien aus Gesetze und Vorschriften erbitten.

Denn so steht die Sache: nicht in Frankfurt, sondern in Wien wird die
Majorität gebildet; das wiener Cabinet kann nie und nimmermehr seine aus"
wärtige Politik, die eine consequente Diplomatie und unter Umständen schnelle
Entschlüsse erheischt, dem Bundestag zur Begutachtung unterbreiten. Welche
Verfassung auch in Oestreich eingeführt werde, in seiner auswärtigen und
innern Politik muß es souverän sein, wenn es nicht untergehn will. Wenn
nun die Folgen dieser souveränen östreichischen Politik einen Krieg nach sich
ziehn, und Oestreichs Freunde am Bundestag durch Majoritätsbeschluß Preußen
zwingen tonnen, an diesem Kriege Theil zu nehmen, so ist Preußen mediati-
sirt und ein östreichisches Nebenland geworden.

Wir bestreiten nicht die Berechtigung derer, die auf ein solches Resultat
wirklich ausgehn und es als ein Heil sür Deutschland betrachten; nur Auf¬
richtigkeit fordern wir von ihnen! Wir selber sind der entgegengesetzten Ueber¬
zeugung. Wir halten einen Fortschritt Deutschlands nur dann für möglich,
wenn es sich von Oestreichs auswärtiger und innerer Politik vollständig frei¬
macht, und weil diese Befreiung nur unter der Führung Preußens geschehn
kann, dessen Particularinteressen es ohnehin auf denselben Weg weisen, nur
darum halten wir den innigen Anschluß aller Liberalen an Preußen für die
Lebensfrage der Bewegung, für eine so wesentliche Frage, daß ihr gegen¬
über alle andern Interessen gar nicht in Betracht kommen.

Was aber die rechtliche Seite der Sache betrifft, so sind wir sest über¬
zeugt, daß diese Tendenz mit der Bundesverfassung und mit dem Staatsrecht
aller deutschen Länder vollkommen vereinbar ist. daß eine Bundesreform nach


Während dieses Krieges waren sämmtliche deutsche Staaten darin einig,
daß man Oestreich zu Hilfe kommen müßte; auch darin waren alle einig,
daß ein Angriff aus die außerdeutschen Provinzen Oestreichs an sich den Bund
zur unmittelbaren Betheiligung nicht verpflichte, wie ja auch die Bundesacte
ausdrücklich besagt. Die Uneinigkeit zwischen Preußen und den Mittelstaatcn
bezog sich nur auf den Paragraphen, welcher die Frage: ob Gesahr sür das
Bundesgebiet vorhanden sei? der Bundesmajorität anheimgibt. Wenn
Preußen damals erklärte, sich nicht majorisiren lassen zu wollen, so meinte es
damit natürlich nur: die Gefahr für das Bundesgebiet muß wirklich vorhan¬
den sein, nicht blos formell constatirt, sonst konnte ja einmal eine Majorität
entscheiden, daß ein Krieg zwischen China und Japan eine Gefahr sür das
deutsche Bundesgebiet enthalte. Wenn also jetzt die Mittelstaaten darauf antragen,
jenen bisher unbestimmten Paragraphen dahin auszulegen, daß die subjective
Ansicht der einzelnen Bundesglieder, salls sie die Mehrheit gewinnen, aus
dem nomineller Vcrtheidigungskrieg einen realen Angriffskrieg machen kann, so
würde damit Preußen aufhören eine Großmacht zu sein, es könnte seine
Diplomaten entlassen und sich von Wien aus Gesetze und Vorschriften erbitten.

Denn so steht die Sache: nicht in Frankfurt, sondern in Wien wird die
Majorität gebildet; das wiener Cabinet kann nie und nimmermehr seine aus»
wärtige Politik, die eine consequente Diplomatie und unter Umständen schnelle
Entschlüsse erheischt, dem Bundestag zur Begutachtung unterbreiten. Welche
Verfassung auch in Oestreich eingeführt werde, in seiner auswärtigen und
innern Politik muß es souverän sein, wenn es nicht untergehn will. Wenn
nun die Folgen dieser souveränen östreichischen Politik einen Krieg nach sich
ziehn, und Oestreichs Freunde am Bundestag durch Majoritätsbeschluß Preußen
zwingen tonnen, an diesem Kriege Theil zu nehmen, so ist Preußen mediati-
sirt und ein östreichisches Nebenland geworden.

Wir bestreiten nicht die Berechtigung derer, die auf ein solches Resultat
wirklich ausgehn und es als ein Heil sür Deutschland betrachten; nur Auf¬
richtigkeit fordern wir von ihnen! Wir selber sind der entgegengesetzten Ueber¬
zeugung. Wir halten einen Fortschritt Deutschlands nur dann für möglich,
wenn es sich von Oestreichs auswärtiger und innerer Politik vollständig frei¬
macht, und weil diese Befreiung nur unter der Führung Preußens geschehn
kann, dessen Particularinteressen es ohnehin auf denselben Weg weisen, nur
darum halten wir den innigen Anschluß aller Liberalen an Preußen für die
Lebensfrage der Bewegung, für eine so wesentliche Frage, daß ihr gegen¬
über alle andern Interessen gar nicht in Betracht kommen.

Was aber die rechtliche Seite der Sache betrifft, so sind wir sest über¬
zeugt, daß diese Tendenz mit der Bundesverfassung und mit dem Staatsrecht
aller deutschen Länder vollkommen vereinbar ist. daß eine Bundesreform nach


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[0206] Während dieses Krieges waren sämmtliche deutsche Staaten darin einig, daß man Oestreich zu Hilfe kommen müßte; auch darin waren alle einig, daß ein Angriff aus die außerdeutschen Provinzen Oestreichs an sich den Bund zur unmittelbaren Betheiligung nicht verpflichte, wie ja auch die Bundesacte ausdrücklich besagt. Die Uneinigkeit zwischen Preußen und den Mittelstaatcn bezog sich nur auf den Paragraphen, welcher die Frage: ob Gesahr sür das Bundesgebiet vorhanden sei? der Bundesmajorität anheimgibt. Wenn Preußen damals erklärte, sich nicht majorisiren lassen zu wollen, so meinte es damit natürlich nur: die Gefahr für das Bundesgebiet muß wirklich vorhan¬ den sein, nicht blos formell constatirt, sonst konnte ja einmal eine Majorität entscheiden, daß ein Krieg zwischen China und Japan eine Gefahr sür das deutsche Bundesgebiet enthalte. Wenn also jetzt die Mittelstaaten darauf antragen, jenen bisher unbestimmten Paragraphen dahin auszulegen, daß die subjective Ansicht der einzelnen Bundesglieder, salls sie die Mehrheit gewinnen, aus dem nomineller Vcrtheidigungskrieg einen realen Angriffskrieg machen kann, so würde damit Preußen aufhören eine Großmacht zu sein, es könnte seine Diplomaten entlassen und sich von Wien aus Gesetze und Vorschriften erbitten. Denn so steht die Sache: nicht in Frankfurt, sondern in Wien wird die Majorität gebildet; das wiener Cabinet kann nie und nimmermehr seine aus» wärtige Politik, die eine consequente Diplomatie und unter Umständen schnelle Entschlüsse erheischt, dem Bundestag zur Begutachtung unterbreiten. Welche Verfassung auch in Oestreich eingeführt werde, in seiner auswärtigen und innern Politik muß es souverän sein, wenn es nicht untergehn will. Wenn nun die Folgen dieser souveränen östreichischen Politik einen Krieg nach sich ziehn, und Oestreichs Freunde am Bundestag durch Majoritätsbeschluß Preußen zwingen tonnen, an diesem Kriege Theil zu nehmen, so ist Preußen mediati- sirt und ein östreichisches Nebenland geworden. Wir bestreiten nicht die Berechtigung derer, die auf ein solches Resultat wirklich ausgehn und es als ein Heil sür Deutschland betrachten; nur Auf¬ richtigkeit fordern wir von ihnen! Wir selber sind der entgegengesetzten Ueber¬ zeugung. Wir halten einen Fortschritt Deutschlands nur dann für möglich, wenn es sich von Oestreichs auswärtiger und innerer Politik vollständig frei¬ macht, und weil diese Befreiung nur unter der Führung Preußens geschehn kann, dessen Particularinteressen es ohnehin auf denselben Weg weisen, nur darum halten wir den innigen Anschluß aller Liberalen an Preußen für die Lebensfrage der Bewegung, für eine so wesentliche Frage, daß ihr gegen¬ über alle andern Interessen gar nicht in Betracht kommen. Was aber die rechtliche Seite der Sache betrifft, so sind wir sest über¬ zeugt, daß diese Tendenz mit der Bundesverfassung und mit dem Staatsrecht aller deutschen Länder vollkommen vereinbar ist. daß eine Bundesreform nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/206>, abgerufen am 29.06.2024.