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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Bundesacte hatte dieselbe den Zweck: 1) Feindseligkeiten zwischen den ein¬
zelnen Bund esgliedern abzuschneiden; 2) das Bundesgebiet durch eine gemein¬
same Weh> Verfassung gegen auswärtige Angriffe zu sichern; 3) die regierenden
Fürsten und b is aus einen gewissen Grad auch die Mediatisirten gegen die
Uebergriffe des r evolutionären Geistes zu schützen. Dies ist das wahre Sach-
Verhältniß. Befriedigt hat es freilich niemanden und sobald einmal die Na¬
tion zu neuem Leben erwachte, mußte sie darnach streben, etwas Andres an
die Stelle zu setzen. Darüber dürfen wir aber heute, wo wir politisch reifer
sind als vor elf Jahren, nicht vergessen: 1) daß die Bundesverfassung man¬
ches Gute bewirkt hat. namentlich die Aufrechthaltung des Friedens in Deutsch-
land und, was damit zusammenhängt, das materielle Gedeihn; 2) daß sie
elastisch genug war, manches Gute, das sie selbst nicht schaffen konnte, we¬
nigstens nicht auf die Dauer zu hindern, z. B. den Zollverein und das con-
stitutionelle System, erst in den Mittelstaaten und dann in Preußen; 3) daß
^ leichter ist ihre Mängel zu entdecken, als eine Abhilfe, die allen Ansprüchen
genügte. Bis 1848 klagte man ausschließlich die Regierungen an, durch
ihren bösen Willen der Einheit Deutschlands zu widerstreben; seit 1848 ist
diese Klage nicht mehr zulässig; denn damals tagten die Vertreter des ge¬
säumten Volks, und es ist ihnen ebenso wenig gelungen als den Fürsten,
die ersehnte Einheit zu verwirklichen. Eine vollkommen friedliche Constituirung
^r Nation, ohne daß irgend ein Recht gekränkt würde, ist nur denkbar unter
der Voraussetzung, daß alle Fürsten und Völker nicht nur den gleichen guten
willen, sondern auch die gleiche Verstandeseinsicht haben, und diese Voraus¬
setzung drückt im Wesentlichen nichts Andres aus, als die Erwartung eines
Wunders. Ja, man könnte sagen, sie macht die Reform, die sie herbeiführen
sollte, überflüssig: denn vollkommne Menschen brauchen entweder gar keine
Verfassung oder sie können sich mit jeder beliebigen zufrieden geben.

Die Schwierigkeiten liegen nicht in der Form, sondern in der Sache.
Der deutsche Bund umfaßt zwei Großmächte, von denen jede zu stark ist,
sich der andern zu fügen, keine stark genug, die andre zu unterwerfen. Von
diesen Großmächten ist die eine, Oestreich, durch ihren außerdeutschen Länder-
Besitz in eine Menge von Conflicten verstrickt, welche den Interessen des deut¬
schen Volks fremd sind; sie ist, weil sie widerstrebende Nationalitäten in sich
bereinigt, auf militärischen Zwang angewiesen, einer freien Verfassung ent¬
weder gar nicht, oder nur unter Umständen fähig, die man wiederum ein
Zunder nennen müßte; ans demselben Grunde finanziell fortwährend zerrüttet
nebenbei noch mit dem ultramontanen System verflochten.

Oestreich kann dem übrigen Deutschland nichts bieten, als militärischen
^eistand, und diesen bedarf es seinerseits mehr, als es ihn gewähren kann, wie
^ gegenwärtige Krieg augenscheinlich gezeigt hat.


Grenzboten IV. 1359. 25

Bundesacte hatte dieselbe den Zweck: 1) Feindseligkeiten zwischen den ein¬
zelnen Bund esgliedern abzuschneiden; 2) das Bundesgebiet durch eine gemein¬
same Weh> Verfassung gegen auswärtige Angriffe zu sichern; 3) die regierenden
Fürsten und b is aus einen gewissen Grad auch die Mediatisirten gegen die
Uebergriffe des r evolutionären Geistes zu schützen. Dies ist das wahre Sach-
Verhältniß. Befriedigt hat es freilich niemanden und sobald einmal die Na¬
tion zu neuem Leben erwachte, mußte sie darnach streben, etwas Andres an
die Stelle zu setzen. Darüber dürfen wir aber heute, wo wir politisch reifer
sind als vor elf Jahren, nicht vergessen: 1) daß die Bundesverfassung man¬
ches Gute bewirkt hat. namentlich die Aufrechthaltung des Friedens in Deutsch-
land und, was damit zusammenhängt, das materielle Gedeihn; 2) daß sie
elastisch genug war, manches Gute, das sie selbst nicht schaffen konnte, we¬
nigstens nicht auf die Dauer zu hindern, z. B. den Zollverein und das con-
stitutionelle System, erst in den Mittelstaaten und dann in Preußen; 3) daß
^ leichter ist ihre Mängel zu entdecken, als eine Abhilfe, die allen Ansprüchen
genügte. Bis 1848 klagte man ausschließlich die Regierungen an, durch
ihren bösen Willen der Einheit Deutschlands zu widerstreben; seit 1848 ist
diese Klage nicht mehr zulässig; denn damals tagten die Vertreter des ge¬
säumten Volks, und es ist ihnen ebenso wenig gelungen als den Fürsten,
die ersehnte Einheit zu verwirklichen. Eine vollkommen friedliche Constituirung
^r Nation, ohne daß irgend ein Recht gekränkt würde, ist nur denkbar unter
der Voraussetzung, daß alle Fürsten und Völker nicht nur den gleichen guten
willen, sondern auch die gleiche Verstandeseinsicht haben, und diese Voraus¬
setzung drückt im Wesentlichen nichts Andres aus, als die Erwartung eines
Wunders. Ja, man könnte sagen, sie macht die Reform, die sie herbeiführen
sollte, überflüssig: denn vollkommne Menschen brauchen entweder gar keine
Verfassung oder sie können sich mit jeder beliebigen zufrieden geben.

Die Schwierigkeiten liegen nicht in der Form, sondern in der Sache.
Der deutsche Bund umfaßt zwei Großmächte, von denen jede zu stark ist,
sich der andern zu fügen, keine stark genug, die andre zu unterwerfen. Von
diesen Großmächten ist die eine, Oestreich, durch ihren außerdeutschen Länder-
Besitz in eine Menge von Conflicten verstrickt, welche den Interessen des deut¬
schen Volks fremd sind; sie ist, weil sie widerstrebende Nationalitäten in sich
bereinigt, auf militärischen Zwang angewiesen, einer freien Verfassung ent¬
weder gar nicht, oder nur unter Umständen fähig, die man wiederum ein
Zunder nennen müßte; ans demselben Grunde finanziell fortwährend zerrüttet
nebenbei noch mit dem ultramontanen System verflochten.

Oestreich kann dem übrigen Deutschland nichts bieten, als militärischen
^eistand, und diesen bedarf es seinerseits mehr, als es ihn gewähren kann, wie
^ gegenwärtige Krieg augenscheinlich gezeigt hat.


Grenzboten IV. 1359. 25
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[0205] Bundesacte hatte dieselbe den Zweck: 1) Feindseligkeiten zwischen den ein¬ zelnen Bund esgliedern abzuschneiden; 2) das Bundesgebiet durch eine gemein¬ same Weh> Verfassung gegen auswärtige Angriffe zu sichern; 3) die regierenden Fürsten und b is aus einen gewissen Grad auch die Mediatisirten gegen die Uebergriffe des r evolutionären Geistes zu schützen. Dies ist das wahre Sach- Verhältniß. Befriedigt hat es freilich niemanden und sobald einmal die Na¬ tion zu neuem Leben erwachte, mußte sie darnach streben, etwas Andres an die Stelle zu setzen. Darüber dürfen wir aber heute, wo wir politisch reifer sind als vor elf Jahren, nicht vergessen: 1) daß die Bundesverfassung man¬ ches Gute bewirkt hat. namentlich die Aufrechthaltung des Friedens in Deutsch- land und, was damit zusammenhängt, das materielle Gedeihn; 2) daß sie elastisch genug war, manches Gute, das sie selbst nicht schaffen konnte, we¬ nigstens nicht auf die Dauer zu hindern, z. B. den Zollverein und das con- stitutionelle System, erst in den Mittelstaaten und dann in Preußen; 3) daß ^ leichter ist ihre Mängel zu entdecken, als eine Abhilfe, die allen Ansprüchen genügte. Bis 1848 klagte man ausschließlich die Regierungen an, durch ihren bösen Willen der Einheit Deutschlands zu widerstreben; seit 1848 ist diese Klage nicht mehr zulässig; denn damals tagten die Vertreter des ge¬ säumten Volks, und es ist ihnen ebenso wenig gelungen als den Fürsten, die ersehnte Einheit zu verwirklichen. Eine vollkommen friedliche Constituirung ^r Nation, ohne daß irgend ein Recht gekränkt würde, ist nur denkbar unter der Voraussetzung, daß alle Fürsten und Völker nicht nur den gleichen guten willen, sondern auch die gleiche Verstandeseinsicht haben, und diese Voraus¬ setzung drückt im Wesentlichen nichts Andres aus, als die Erwartung eines Wunders. Ja, man könnte sagen, sie macht die Reform, die sie herbeiführen sollte, überflüssig: denn vollkommne Menschen brauchen entweder gar keine Verfassung oder sie können sich mit jeder beliebigen zufrieden geben. Die Schwierigkeiten liegen nicht in der Form, sondern in der Sache. Der deutsche Bund umfaßt zwei Großmächte, von denen jede zu stark ist, sich der andern zu fügen, keine stark genug, die andre zu unterwerfen. Von diesen Großmächten ist die eine, Oestreich, durch ihren außerdeutschen Länder- Besitz in eine Menge von Conflicten verstrickt, welche den Interessen des deut¬ schen Volks fremd sind; sie ist, weil sie widerstrebende Nationalitäten in sich bereinigt, auf militärischen Zwang angewiesen, einer freien Verfassung ent¬ weder gar nicht, oder nur unter Umständen fähig, die man wiederum ein Zunder nennen müßte; ans demselben Grunde finanziell fortwährend zerrüttet nebenbei noch mit dem ultramontanen System verflochten. Oestreich kann dem übrigen Deutschland nichts bieten, als militärischen ^eistand, und diesen bedarf es seinerseits mehr, als es ihn gewähren kann, wie ^ gegenwärtige Krieg augenscheinlich gezeigt hat. Grenzboten IV. 1359. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/205>, abgerufen am 28.09.2024.