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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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geschah es 1848, blos weil man sich vorher nicht verständigt hatte, weil man
glaubte einig zu sein, und doch grade in der Hauptsache uneins war. Die
Hauptfrage war nämlich, ob die projectirte Staatsreform sich auf Oestreich
ausdehnen solle oder nicht, und das ist auch heute noch die Hauptfrage.

Das frankfurter Programm hätte möglicherweise sehr bald einer ernsten
Prüfung ausgesetzt werden können. Als die Conferenz zwischen drei Mittcl-
staaten, denen sich dann noch andere anschlössen, in München stattfand, hielten
wir es nicht für unmöglich, daß sie die nationale Partei zu ihren Zwecken
ausbeuten werde. Nach dem Programm der nationalen Partei sollte Preußen
die Initiative in vielen Dingen übernehmen, unter andern Einheit Deutschlands
durch Kräftigung der Centralgewalt und Volksvertretung am Bunde. Wie,
wenn nun die Mittelstaaten in dieser Initiative Preußen den Rang abgelaufen
hätten? Ihren Zwecken konnte es nicht zuwiderlaufen, denn unter der Cen¬
tralgewalt, deren Macht den einzelnen Staaten gegenüber verstärkt werden
sollte, verstanden sie natürlich den Bundestag, und was die Volksvertretung
betrifft, so hätte sich schon ein Wahlmodus ausfindig machen lassen, der das
Junkerthum als die echte Nation darstellte. Wenn sich Preußen dieser Art
von Reform widersetzt hätte, so würde man es als den Gegner des Fort¬
schritts, als den Gegner der nationalen Partei und ihres Programms haben
anklagen können. Es hatten sich in der That einzelne Nachrichten verbreitet,
die auf so etwas hindeuteten. Ersetzung der Stimmeneinheit am Bundes¬
tage durch Majorität; Ausdehnung der Gewalt des Bundestags über die ma¬
teriellen Verhältnisse, Aufnahme des gesammten Oestreich in den Bund. Er¬
nennung eines permanenten Oberfeldherrn auch für den Frieden: diese und
andere Punkte bezeichnete man als das Programm der mittelstaatlichen Partei.
Ein officielles Journal hat die Angaben als unwahr bezeichnet, und in der
That scheint die Animosität gegen die Freunde Preußens zu groß zu sein,
als daß man sich auch nur zum Schein auf ihre Wünsche einlassen könnte.
Man scheint sich stark genug zu fühlen, um rücksichtslos mit den eignen Ge¬
danken hervorzutreten.

In einer Zeit, wo man allgemein vom Bundestag erwartete, er werde
die brennendste Rechtsfrage, die kurhessische, in Betracht ziehn, haben die
Mittelstaaten den Antrag gestellt, die Bundeskriegsverfassung zu revidiren,
um zu ermitteln, ob sie wirklich den Bedürfnissen nicht genüge, zugleich aber
die Meinung hinzugefügt, daß wenn alle Bundesgenossen ihre Schuldigkeit
thäten, eine Verbesserung der Form nicht nöthig sei. Die Anspielung war
so einleuchtend, daß der preußische Bevollmächtigte einen Protest zu Protokoll
gegeben hat. In der That wird durch diese Frage der Kern der Sache be¬
rührt.

Nach der Ansicht Metternichs und der meisten übrigen Unterzeichner der


geschah es 1848, blos weil man sich vorher nicht verständigt hatte, weil man
glaubte einig zu sein, und doch grade in der Hauptsache uneins war. Die
Hauptfrage war nämlich, ob die projectirte Staatsreform sich auf Oestreich
ausdehnen solle oder nicht, und das ist auch heute noch die Hauptfrage.

Das frankfurter Programm hätte möglicherweise sehr bald einer ernsten
Prüfung ausgesetzt werden können. Als die Conferenz zwischen drei Mittcl-
staaten, denen sich dann noch andere anschlössen, in München stattfand, hielten
wir es nicht für unmöglich, daß sie die nationale Partei zu ihren Zwecken
ausbeuten werde. Nach dem Programm der nationalen Partei sollte Preußen
die Initiative in vielen Dingen übernehmen, unter andern Einheit Deutschlands
durch Kräftigung der Centralgewalt und Volksvertretung am Bunde. Wie,
wenn nun die Mittelstaaten in dieser Initiative Preußen den Rang abgelaufen
hätten? Ihren Zwecken konnte es nicht zuwiderlaufen, denn unter der Cen¬
tralgewalt, deren Macht den einzelnen Staaten gegenüber verstärkt werden
sollte, verstanden sie natürlich den Bundestag, und was die Volksvertretung
betrifft, so hätte sich schon ein Wahlmodus ausfindig machen lassen, der das
Junkerthum als die echte Nation darstellte. Wenn sich Preußen dieser Art
von Reform widersetzt hätte, so würde man es als den Gegner des Fort¬
schritts, als den Gegner der nationalen Partei und ihres Programms haben
anklagen können. Es hatten sich in der That einzelne Nachrichten verbreitet,
die auf so etwas hindeuteten. Ersetzung der Stimmeneinheit am Bundes¬
tage durch Majorität; Ausdehnung der Gewalt des Bundestags über die ma¬
teriellen Verhältnisse, Aufnahme des gesammten Oestreich in den Bund. Er¬
nennung eines permanenten Oberfeldherrn auch für den Frieden: diese und
andere Punkte bezeichnete man als das Programm der mittelstaatlichen Partei.
Ein officielles Journal hat die Angaben als unwahr bezeichnet, und in der
That scheint die Animosität gegen die Freunde Preußens zu groß zu sein,
als daß man sich auch nur zum Schein auf ihre Wünsche einlassen könnte.
Man scheint sich stark genug zu fühlen, um rücksichtslos mit den eignen Ge¬
danken hervorzutreten.

In einer Zeit, wo man allgemein vom Bundestag erwartete, er werde
die brennendste Rechtsfrage, die kurhessische, in Betracht ziehn, haben die
Mittelstaaten den Antrag gestellt, die Bundeskriegsverfassung zu revidiren,
um zu ermitteln, ob sie wirklich den Bedürfnissen nicht genüge, zugleich aber
die Meinung hinzugefügt, daß wenn alle Bundesgenossen ihre Schuldigkeit
thäten, eine Verbesserung der Form nicht nöthig sei. Die Anspielung war
so einleuchtend, daß der preußische Bevollmächtigte einen Protest zu Protokoll
gegeben hat. In der That wird durch diese Frage der Kern der Sache be¬
rührt.

Nach der Ansicht Metternichs und der meisten übrigen Unterzeichner der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/204>, abgerufen am 28.09.2024.