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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Die nationale Bewegung.

Wenn der Instinkt, welcher nach dem Abschluß des Waffenstillstandes von
Nillafranca einen Theil der liberalen Partei zu den bekannten Erklärungen
von Eisenach, Göttingen und Frankfurt trieb, von uns als ein vollkommen
uchtiger anerkannt werden mußte, so haben wir sogleich hinzugesetzt, daß wir
nut der weitern Ausführung des Grundgedankens nicht einverstanden sind,
^n dem an sich ganz gerechtfertigten Bestreben, die nationale Partei auf einer
Möglichst breiten Basis zu constituiren, haben die Führer dieser Bewegung
Concessionen gemacht, die den Begriff einer Partei aufheben. Einer der
Unterzeichner des Programms, Herr Jacob Venedey, hatte wenige Tage
vorher ein offenes Sendschreiben erlassen, worin er mit ziemlich bittrer Pole¬
mik gegen die Einseitigkeit der Gothaer, d. h. der Anhänger der preußischen
Hegemonie, sich seiner Gesinnung nach als einen Großdeutschen bekannte, zu-
o^ich aber vor der Bildung einer großdeutschen Partei warnte, weil die groß-
deutsche Gesinnung die ganze Nation umfassen müsse. Und ähnliche (Ne¬
nnungen haben noch andere Süddeutsche ausgesprochen, ohne sich dadurch von
^er Unterzeichnung eines Programms abhalten zu lassen, das sie so auslegten,
ob das an Preußen ertheilte Vertrauensvotum nur unter der Bedingung
theilt sei, daß Preußen sich an die Spitze der großdeutschen Partei stelle,
'vit andern Worten, daß Preußen selber an der Übertragung der Hegemonie
"n Oestreich arbeite. So klar ausgesprochen hat sich wol keiner der Unter-
Zehner die Sache gedacht; daß die Konsequenz aber eine ganz nothwendige
'se. dies zu zeigen ist die Ausgabe der folgenden Zeilen.

Die Bedeutung und der Einfluß einer Partei wird keineswegs durch die
Zahl derer festgestellt, die mit Bewußtsein und Zusammenhang ihr Princip
vertreten; die Zahl der Denkenden ist immer klein, es kommt nur auf die Ent¬
schiedenheit und Rücksichtslosigkeit der Ueberzeugung an. vorausgesetzt freilich.
diese Ueberzeugung in den Thatsachen einen wirklichen Halt findet. Eine
^bschwächung des Grundsatzes, um die Zahl der Bekenner zu erweitern, ist
ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in der Parteibildung. Dazu
^nrrnt noch ein andrer Umstand, desi wir Deutsche nicht außer Acht lassen
"rsen. Ein solcher Kompromiß, der widersprechende Ansichten hinter einem
Semeinsamen Symbol versteckt, ist nie ganz aufrichtig gemeint; jeder behalt sich
inne eigne Auslegung als die allein legitime vor, und wenn es dann zur
vtscheidung kommt, werden diejenigen, deren Auslegung sich als die schwächere
ttweist, steh dadurch entschädigen, daß sie die Andern Verräther schelten. So


Die nationale Bewegung.

Wenn der Instinkt, welcher nach dem Abschluß des Waffenstillstandes von
Nillafranca einen Theil der liberalen Partei zu den bekannten Erklärungen
von Eisenach, Göttingen und Frankfurt trieb, von uns als ein vollkommen
uchtiger anerkannt werden mußte, so haben wir sogleich hinzugesetzt, daß wir
nut der weitern Ausführung des Grundgedankens nicht einverstanden sind,
^n dem an sich ganz gerechtfertigten Bestreben, die nationale Partei auf einer
Möglichst breiten Basis zu constituiren, haben die Führer dieser Bewegung
Concessionen gemacht, die den Begriff einer Partei aufheben. Einer der
Unterzeichner des Programms, Herr Jacob Venedey, hatte wenige Tage
vorher ein offenes Sendschreiben erlassen, worin er mit ziemlich bittrer Pole¬
mik gegen die Einseitigkeit der Gothaer, d. h. der Anhänger der preußischen
Hegemonie, sich seiner Gesinnung nach als einen Großdeutschen bekannte, zu-
o^ich aber vor der Bildung einer großdeutschen Partei warnte, weil die groß-
deutsche Gesinnung die ganze Nation umfassen müsse. Und ähnliche (Ne¬
nnungen haben noch andere Süddeutsche ausgesprochen, ohne sich dadurch von
^er Unterzeichnung eines Programms abhalten zu lassen, das sie so auslegten,
ob das an Preußen ertheilte Vertrauensvotum nur unter der Bedingung
theilt sei, daß Preußen sich an die Spitze der großdeutschen Partei stelle,
'vit andern Worten, daß Preußen selber an der Übertragung der Hegemonie
"n Oestreich arbeite. So klar ausgesprochen hat sich wol keiner der Unter-
Zehner die Sache gedacht; daß die Konsequenz aber eine ganz nothwendige
'se. dies zu zeigen ist die Ausgabe der folgenden Zeilen.

Die Bedeutung und der Einfluß einer Partei wird keineswegs durch die
Zahl derer festgestellt, die mit Bewußtsein und Zusammenhang ihr Princip
vertreten; die Zahl der Denkenden ist immer klein, es kommt nur auf die Ent¬
schiedenheit und Rücksichtslosigkeit der Ueberzeugung an. vorausgesetzt freilich.
diese Ueberzeugung in den Thatsachen einen wirklichen Halt findet. Eine
^bschwächung des Grundsatzes, um die Zahl der Bekenner zu erweitern, ist
ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in der Parteibildung. Dazu
^nrrnt noch ein andrer Umstand, desi wir Deutsche nicht außer Acht lassen
"rsen. Ein solcher Kompromiß, der widersprechende Ansichten hinter einem
Semeinsamen Symbol versteckt, ist nie ganz aufrichtig gemeint; jeder behalt sich
inne eigne Auslegung als die allein legitime vor, und wenn es dann zur
vtscheidung kommt, werden diejenigen, deren Auslegung sich als die schwächere
ttweist, steh dadurch entschädigen, daß sie die Andern Verräther schelten. So


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[0203] Die nationale Bewegung. Wenn der Instinkt, welcher nach dem Abschluß des Waffenstillstandes von Nillafranca einen Theil der liberalen Partei zu den bekannten Erklärungen von Eisenach, Göttingen und Frankfurt trieb, von uns als ein vollkommen uchtiger anerkannt werden mußte, so haben wir sogleich hinzugesetzt, daß wir nut der weitern Ausführung des Grundgedankens nicht einverstanden sind, ^n dem an sich ganz gerechtfertigten Bestreben, die nationale Partei auf einer Möglichst breiten Basis zu constituiren, haben die Führer dieser Bewegung Concessionen gemacht, die den Begriff einer Partei aufheben. Einer der Unterzeichner des Programms, Herr Jacob Venedey, hatte wenige Tage vorher ein offenes Sendschreiben erlassen, worin er mit ziemlich bittrer Pole¬ mik gegen die Einseitigkeit der Gothaer, d. h. der Anhänger der preußischen Hegemonie, sich seiner Gesinnung nach als einen Großdeutschen bekannte, zu- o^ich aber vor der Bildung einer großdeutschen Partei warnte, weil die groß- deutsche Gesinnung die ganze Nation umfassen müsse. Und ähnliche (Ne¬ nnungen haben noch andere Süddeutsche ausgesprochen, ohne sich dadurch von ^er Unterzeichnung eines Programms abhalten zu lassen, das sie so auslegten, ob das an Preußen ertheilte Vertrauensvotum nur unter der Bedingung theilt sei, daß Preußen sich an die Spitze der großdeutschen Partei stelle, 'vit andern Worten, daß Preußen selber an der Übertragung der Hegemonie "n Oestreich arbeite. So klar ausgesprochen hat sich wol keiner der Unter- Zehner die Sache gedacht; daß die Konsequenz aber eine ganz nothwendige 'se. dies zu zeigen ist die Ausgabe der folgenden Zeilen. Die Bedeutung und der Einfluß einer Partei wird keineswegs durch die Zahl derer festgestellt, die mit Bewußtsein und Zusammenhang ihr Princip vertreten; die Zahl der Denkenden ist immer klein, es kommt nur auf die Ent¬ schiedenheit und Rücksichtslosigkeit der Ueberzeugung an. vorausgesetzt freilich. diese Ueberzeugung in den Thatsachen einen wirklichen Halt findet. Eine ^bschwächung des Grundsatzes, um die Zahl der Bekenner zu erweitern, ist ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in der Parteibildung. Dazu ^nrrnt noch ein andrer Umstand, desi wir Deutsche nicht außer Acht lassen "rsen. Ein solcher Kompromiß, der widersprechende Ansichten hinter einem Semeinsamen Symbol versteckt, ist nie ganz aufrichtig gemeint; jeder behalt sich inne eigne Auslegung als die allein legitime vor, und wenn es dann zur vtscheidung kommt, werden diejenigen, deren Auslegung sich als die schwächere ttweist, steh dadurch entschädigen, daß sie die Andern Verräther schelten. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/203>, abgerufen am 29.06.2024.