Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er den Uebergang zu derselben nur durch einen Sprung zu machen wußte;
wir finden das Unglück nicht übermäßig groß, da der ganze dialektische Zu¬
sammenhang ein sehr problematischer ist. Der interessanteste Theil dieses Ab¬
schnittes ist eine Philosophie der Geschichte, in welcher Gott als der werdende,
als der in großen Menschen allmälig sich entwickelnde dargestellt wird: er
wird sein, sobald die dritte Periode der Geschichte beginnt.

Bei weitem wichtiger ist der dritte Abschnitt, die Philosophie der Kunst.
Was Kant in seiner Kritik der Urtheilskraft angedeutet, was Schiller überein¬
stimmend mit Goethe in seinen ästhetischen Schriften in glänzender Rhetorik
ausgeführt hatte, was Schlegel und Novalis im Athenäum bald im Ton des
Orakels, bald in übermüthiger Lustigkeit verkündigten,, das wird hier in der
geschlossenen Form eines wissenschaftlichen Systems vorgetragen. In der
Theorie wie in der Praxis vermag der Mensch nach der Identität nur zu stre¬
ben, erreichen kann er sie nie und'das Selbstbewußtsein bleibt daher ein un¬
glückliches, wie auch Gott nur im Werden ist. Dagegen sixirt die Kunst we¬
nigstens einen Punkt jener Identität zwischen dem Ideellen und Reellen und
im Genie kommt das Ich wirklich zu sich selbst. "Der Trieb zu produciren
steht mit der Vollendung des Products still, alle Widersprüche sind aufgehoben,
alle Räthsel gelöst, und die Intelligenz fühlt sich durch jene Uebereinstimmung
selbst überrascht und beglückt. Das Unbekannte aber, welches hier das Objective
und subjective in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts Anderes als jenes Abso¬
lute, das den allgemeinen Grund der vorherbestimmten Harmonie zwischen dem
Bewußtlosen und Bewußten enthält. Wird also jenes Absolute aus dem Product
reflectirt, so wird es der Intelligenz als etwas erscheinen, das über ihr ist, und
was selbst der Freiheit entgegen zu dem, was mit Bewußtsein und Absicht
begonnen war, das Absichtslose hinzubringt. Dieses unveränderlich Identische,
was zu keinem Bewußtsein gelangen kann und nur aus dem Product wieder¬
strahlt, ist sür das Producirende eben das, was sür das Handelnde das
Schicksal ist, d. h. eine dunkle unbekannte Gewalt, welche zum Stückwerk
der Freiheit das Objective hinzubringt. Dieses Unbegreifliche wird mit dem
dunkeln Begriff des Genies bezeichnet. Das Genie ist für die Aesthetik
dasselbe, was das Ich für die Philosophie, nämlich das höchste absolut
Reelle, was selbst nie objectiv wird, aber Ursache alles Objectiven ist." "Der
Grundcharakter des Kunstproducts ist eine bewußtlose Unendlichkeit. Der
Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit Absicht darein gelegt
hat, instinctmäßig eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu ent¬
wickeln kein endlicher Verstand sähig ist." "Die Kunst ist das einzige wahre
und ewige allgemeine Organon zugleich und Document der Philosophie.
Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das
Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung


er den Uebergang zu derselben nur durch einen Sprung zu machen wußte;
wir finden das Unglück nicht übermäßig groß, da der ganze dialektische Zu¬
sammenhang ein sehr problematischer ist. Der interessanteste Theil dieses Ab¬
schnittes ist eine Philosophie der Geschichte, in welcher Gott als der werdende,
als der in großen Menschen allmälig sich entwickelnde dargestellt wird: er
wird sein, sobald die dritte Periode der Geschichte beginnt.

Bei weitem wichtiger ist der dritte Abschnitt, die Philosophie der Kunst.
Was Kant in seiner Kritik der Urtheilskraft angedeutet, was Schiller überein¬
stimmend mit Goethe in seinen ästhetischen Schriften in glänzender Rhetorik
ausgeführt hatte, was Schlegel und Novalis im Athenäum bald im Ton des
Orakels, bald in übermüthiger Lustigkeit verkündigten,, das wird hier in der
geschlossenen Form eines wissenschaftlichen Systems vorgetragen. In der
Theorie wie in der Praxis vermag der Mensch nach der Identität nur zu stre¬
ben, erreichen kann er sie nie und'das Selbstbewußtsein bleibt daher ein un¬
glückliches, wie auch Gott nur im Werden ist. Dagegen sixirt die Kunst we¬
nigstens einen Punkt jener Identität zwischen dem Ideellen und Reellen und
im Genie kommt das Ich wirklich zu sich selbst. „Der Trieb zu produciren
steht mit der Vollendung des Products still, alle Widersprüche sind aufgehoben,
alle Räthsel gelöst, und die Intelligenz fühlt sich durch jene Uebereinstimmung
selbst überrascht und beglückt. Das Unbekannte aber, welches hier das Objective
und subjective in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts Anderes als jenes Abso¬
lute, das den allgemeinen Grund der vorherbestimmten Harmonie zwischen dem
Bewußtlosen und Bewußten enthält. Wird also jenes Absolute aus dem Product
reflectirt, so wird es der Intelligenz als etwas erscheinen, das über ihr ist, und
was selbst der Freiheit entgegen zu dem, was mit Bewußtsein und Absicht
begonnen war, das Absichtslose hinzubringt. Dieses unveränderlich Identische,
was zu keinem Bewußtsein gelangen kann und nur aus dem Product wieder¬
strahlt, ist sür das Producirende eben das, was sür das Handelnde das
Schicksal ist, d. h. eine dunkle unbekannte Gewalt, welche zum Stückwerk
der Freiheit das Objective hinzubringt. Dieses Unbegreifliche wird mit dem
dunkeln Begriff des Genies bezeichnet. Das Genie ist für die Aesthetik
dasselbe, was das Ich für die Philosophie, nämlich das höchste absolut
Reelle, was selbst nie objectiv wird, aber Ursache alles Objectiven ist." „Der
Grundcharakter des Kunstproducts ist eine bewußtlose Unendlichkeit. Der
Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit Absicht darein gelegt
hat, instinctmäßig eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu ent¬
wickeln kein endlicher Verstand sähig ist." „Die Kunst ist das einzige wahre
und ewige allgemeine Organon zugleich und Document der Philosophie.
Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das
Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107658"/>
          <p xml:id="ID_208" prev="#ID_207"> er den Uebergang zu derselben nur durch einen Sprung zu machen wußte;<lb/>
wir finden das Unglück nicht übermäßig groß, da der ganze dialektische Zu¬<lb/>
sammenhang ein sehr problematischer ist. Der interessanteste Theil dieses Ab¬<lb/>
schnittes ist eine Philosophie der Geschichte, in welcher Gott als der werdende,<lb/>
als der in großen Menschen allmälig sich entwickelnde dargestellt wird: er<lb/>
wird sein, sobald die dritte Periode der Geschichte beginnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_209" next="#ID_210"> Bei weitem wichtiger ist der dritte Abschnitt, die Philosophie der Kunst.<lb/>
Was Kant in seiner Kritik der Urtheilskraft angedeutet, was Schiller überein¬<lb/>
stimmend mit Goethe in seinen ästhetischen Schriften in glänzender Rhetorik<lb/>
ausgeführt hatte, was Schlegel und Novalis im Athenäum bald im Ton des<lb/>
Orakels, bald in übermüthiger Lustigkeit verkündigten,, das wird hier in der<lb/>
geschlossenen Form eines wissenschaftlichen Systems vorgetragen. In der<lb/>
Theorie wie in der Praxis vermag der Mensch nach der Identität nur zu stre¬<lb/>
ben, erreichen kann er sie nie und'das Selbstbewußtsein bleibt daher ein un¬<lb/>
glückliches, wie auch Gott nur im Werden ist. Dagegen sixirt die Kunst we¬<lb/>
nigstens einen Punkt jener Identität zwischen dem Ideellen und Reellen und<lb/>
im Genie kommt das Ich wirklich zu sich selbst. &#x201E;Der Trieb zu produciren<lb/>
steht mit der Vollendung des Products still, alle Widersprüche sind aufgehoben,<lb/>
alle Räthsel gelöst, und die Intelligenz fühlt sich durch jene Uebereinstimmung<lb/>
selbst überrascht und beglückt. Das Unbekannte aber, welches hier das Objective<lb/>
und subjective in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts Anderes als jenes Abso¬<lb/>
lute, das den allgemeinen Grund der vorherbestimmten Harmonie zwischen dem<lb/>
Bewußtlosen und Bewußten enthält. Wird also jenes Absolute aus dem Product<lb/>
reflectirt, so wird es der Intelligenz als etwas erscheinen, das über ihr ist, und<lb/>
was selbst der Freiheit entgegen zu dem, was mit Bewußtsein und Absicht<lb/>
begonnen war, das Absichtslose hinzubringt. Dieses unveränderlich Identische,<lb/>
was zu keinem Bewußtsein gelangen kann und nur aus dem Product wieder¬<lb/>
strahlt, ist sür das Producirende eben das, was sür das Handelnde das<lb/>
Schicksal ist, d. h. eine dunkle unbekannte Gewalt, welche zum Stückwerk<lb/>
der Freiheit das Objective hinzubringt. Dieses Unbegreifliche wird mit dem<lb/>
dunkeln Begriff des Genies bezeichnet. Das Genie ist für die Aesthetik<lb/>
dasselbe, was das Ich für die Philosophie, nämlich das höchste absolut<lb/>
Reelle, was selbst nie objectiv wird, aber Ursache alles Objectiven ist." &#x201E;Der<lb/>
Grundcharakter des Kunstproducts ist eine bewußtlose Unendlichkeit. Der<lb/>
Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit Absicht darein gelegt<lb/>
hat, instinctmäßig eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu ent¬<lb/>
wickeln kein endlicher Verstand sähig ist." &#x201E;Die Kunst ist das einzige wahre<lb/>
und ewige allgemeine Organon zugleich und Document der Philosophie.<lb/>
Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das<lb/>
Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] er den Uebergang zu derselben nur durch einen Sprung zu machen wußte; wir finden das Unglück nicht übermäßig groß, da der ganze dialektische Zu¬ sammenhang ein sehr problematischer ist. Der interessanteste Theil dieses Ab¬ schnittes ist eine Philosophie der Geschichte, in welcher Gott als der werdende, als der in großen Menschen allmälig sich entwickelnde dargestellt wird: er wird sein, sobald die dritte Periode der Geschichte beginnt. Bei weitem wichtiger ist der dritte Abschnitt, die Philosophie der Kunst. Was Kant in seiner Kritik der Urtheilskraft angedeutet, was Schiller überein¬ stimmend mit Goethe in seinen ästhetischen Schriften in glänzender Rhetorik ausgeführt hatte, was Schlegel und Novalis im Athenäum bald im Ton des Orakels, bald in übermüthiger Lustigkeit verkündigten,, das wird hier in der geschlossenen Form eines wissenschaftlichen Systems vorgetragen. In der Theorie wie in der Praxis vermag der Mensch nach der Identität nur zu stre¬ ben, erreichen kann er sie nie und'das Selbstbewußtsein bleibt daher ein un¬ glückliches, wie auch Gott nur im Werden ist. Dagegen sixirt die Kunst we¬ nigstens einen Punkt jener Identität zwischen dem Ideellen und Reellen und im Genie kommt das Ich wirklich zu sich selbst. „Der Trieb zu produciren steht mit der Vollendung des Products still, alle Widersprüche sind aufgehoben, alle Räthsel gelöst, und die Intelligenz fühlt sich durch jene Uebereinstimmung selbst überrascht und beglückt. Das Unbekannte aber, welches hier das Objective und subjective in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts Anderes als jenes Abso¬ lute, das den allgemeinen Grund der vorherbestimmten Harmonie zwischen dem Bewußtlosen und Bewußten enthält. Wird also jenes Absolute aus dem Product reflectirt, so wird es der Intelligenz als etwas erscheinen, das über ihr ist, und was selbst der Freiheit entgegen zu dem, was mit Bewußtsein und Absicht begonnen war, das Absichtslose hinzubringt. Dieses unveränderlich Identische, was zu keinem Bewußtsein gelangen kann und nur aus dem Product wieder¬ strahlt, ist sür das Producirende eben das, was sür das Handelnde das Schicksal ist, d. h. eine dunkle unbekannte Gewalt, welche zum Stückwerk der Freiheit das Objective hinzubringt. Dieses Unbegreifliche wird mit dem dunkeln Begriff des Genies bezeichnet. Das Genie ist für die Aesthetik dasselbe, was das Ich für die Philosophie, nämlich das höchste absolut Reelle, was selbst nie objectiv wird, aber Ursache alles Objectiven ist." „Der Grundcharakter des Kunstproducts ist eine bewußtlose Unendlichkeit. Der Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit Absicht darein gelegt hat, instinctmäßig eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu ent¬ wickeln kein endlicher Verstand sähig ist." „Die Kunst ist das einzige wahre und ewige allgemeine Organon zugleich und Document der Philosophie. Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/72>, abgerufen am 28.12.2024.