Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.in der Vorrede äußerte, er habe diese Gedanken schon einige Zeit mit sich Noack polemisirt nun sehr lebhaft gegen diesen Begriff des Ich überhaupt Also mit jenem Begriff der intellectuellen Anschauung war die Mystik in der Vorrede äußerte, er habe diese Gedanken schon einige Zeit mit sich Noack polemisirt nun sehr lebhaft gegen diesen Begriff des Ich überhaupt Also mit jenem Begriff der intellectuellen Anschauung war die Mystik <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107644"/> <p xml:id="ID_167" prev="#ID_166"> in der Vorrede äußerte, er habe diese Gedanken schon einige Zeit mit sich<lb/> herumgetragen, die nun durch die neuesten Erscheinungen ciuss neue in ihm<lb/> rege gemacht worden seien; aber auch für diese Ueberhebung des jungen An¬<lb/> hängers fand Fichte einen Entschuldigungsgrund.</p><lb/> <p xml:id="ID_168"> Noack polemisirt nun sehr lebhaft gegen diesen Begriff des Ich überhaupt<lb/> und gegen die damit zusammenhängende intellectuelle Anschauung. Er<lb/> führt aus einem Brief von Fichte an Reinhold 1795 folgende Stelle an:<lb/> „Was ich mittheilen will ist etwas, das gar nicht gesagt noch begriffen, son¬<lb/> dern nur angeschaut werden muß. Jenes im Ich unterschiedene Setzen und<lb/> Gegensetzen und Theilen ist kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein<lb/> Begehren, kein Fühlen, sondern es ist nur die gesammte Thätigkeit des mensch¬<lb/> lichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewußtsein niemals erkennbar,<lb/> die unbegreiflich ist. Der Eingang in meine Philosophie ist das schlechthin<lb/> Unbegreifliche, und dies macht dieselbe schwierig, weil die Sache nur mit der<lb/> Einbildungskraft und gar nicht mit dem Verstände angegriffen werden kann;<lb/> aber es verbürgt ihr zugleich die Richtigkeit." — Das klingt allerdings ziem¬<lb/> lich überschwenglich, es ist aber im Grund etwas ganz Einfaches und Richtiges.<lb/> Die intellectuelle Anschauung ist nicht etwa, wie einer dem andern immer<lb/> nachgesprochen hat, ein mystischer sechster Sinn, sondern es heißt ganz einfach<lb/> folgendes: wer, wenn man ihn darauf aufmerksam macht, in seinem Geist<lb/> nicht unmittelbar sieht, daß im Ich das Gedachte auch das Denkende ist,<lb/> der möge der Philosophie fern bleiben, denn er ist — um aus dem Mystischen<lb/> ins Prosaische überzugehn — zu dumm zum Philosophiren. Ebenso kann<lb/> man in der Mathematik sagen: wer nicht (mit den Augen des Geistes) sieht,<lb/> daß sich jede Linie unendlich verlängern läßt, der möge das Buch zumachen;<lb/> zu beweisen ist es nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> Also mit jenem Begriff der intellectuellen Anschauung war die Mystik<lb/> noch keineswegs in die Philosophie eingeführt; der Fehler Fichtes lag nur<lb/> darin, daß er, statt nun zu andern intellectuellen Anschauungen überzugehn, aus<lb/> dieser einen sein ganzes System von Gedanken zu entwickeln suchte. So oft<lb/> das die Philosophen unternommen haben (z. B. früher schon Spinoza), sind<lb/> sie durch ein Mißverständniß der Mathematik verführt worden. Auch die<lb/> Mathematik ist keineswegs ein System zusammenhängender Sätze, welche<lb/> aus dem ersten Fundamentalsatz: „jede Größe ist sich selbst gleich", hergeleitet<lb/> werden könnten; in jedem neuen Capitel tritt unter der Maske einer Defini¬<lb/> tion eine neue sinnlich intellectuelle Anschauung ein. Schon die Parallel¬<lb/> linie wird sich, schwerlich aus jenem Satz der Identität construiren lassen.<lb/> Und in der Mathematik hat man es doch nur mit räumlichen Abstraktionen<lb/> zu thun, während in der Philosophie die concretesten Dinge von der Welt<lb/> behandelt werden. Die Mystik zeigt sich also erst, wenn Fichte 179« an</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
in der Vorrede äußerte, er habe diese Gedanken schon einige Zeit mit sich
herumgetragen, die nun durch die neuesten Erscheinungen ciuss neue in ihm
rege gemacht worden seien; aber auch für diese Ueberhebung des jungen An¬
hängers fand Fichte einen Entschuldigungsgrund.
Noack polemisirt nun sehr lebhaft gegen diesen Begriff des Ich überhaupt
und gegen die damit zusammenhängende intellectuelle Anschauung. Er
führt aus einem Brief von Fichte an Reinhold 1795 folgende Stelle an:
„Was ich mittheilen will ist etwas, das gar nicht gesagt noch begriffen, son¬
dern nur angeschaut werden muß. Jenes im Ich unterschiedene Setzen und
Gegensetzen und Theilen ist kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein
Begehren, kein Fühlen, sondern es ist nur die gesammte Thätigkeit des mensch¬
lichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewußtsein niemals erkennbar,
die unbegreiflich ist. Der Eingang in meine Philosophie ist das schlechthin
Unbegreifliche, und dies macht dieselbe schwierig, weil die Sache nur mit der
Einbildungskraft und gar nicht mit dem Verstände angegriffen werden kann;
aber es verbürgt ihr zugleich die Richtigkeit." — Das klingt allerdings ziem¬
lich überschwenglich, es ist aber im Grund etwas ganz Einfaches und Richtiges.
Die intellectuelle Anschauung ist nicht etwa, wie einer dem andern immer
nachgesprochen hat, ein mystischer sechster Sinn, sondern es heißt ganz einfach
folgendes: wer, wenn man ihn darauf aufmerksam macht, in seinem Geist
nicht unmittelbar sieht, daß im Ich das Gedachte auch das Denkende ist,
der möge der Philosophie fern bleiben, denn er ist — um aus dem Mystischen
ins Prosaische überzugehn — zu dumm zum Philosophiren. Ebenso kann
man in der Mathematik sagen: wer nicht (mit den Augen des Geistes) sieht,
daß sich jede Linie unendlich verlängern läßt, der möge das Buch zumachen;
zu beweisen ist es nicht.
Also mit jenem Begriff der intellectuellen Anschauung war die Mystik
noch keineswegs in die Philosophie eingeführt; der Fehler Fichtes lag nur
darin, daß er, statt nun zu andern intellectuellen Anschauungen überzugehn, aus
dieser einen sein ganzes System von Gedanken zu entwickeln suchte. So oft
das die Philosophen unternommen haben (z. B. früher schon Spinoza), sind
sie durch ein Mißverständniß der Mathematik verführt worden. Auch die
Mathematik ist keineswegs ein System zusammenhängender Sätze, welche
aus dem ersten Fundamentalsatz: „jede Größe ist sich selbst gleich", hergeleitet
werden könnten; in jedem neuen Capitel tritt unter der Maske einer Defini¬
tion eine neue sinnlich intellectuelle Anschauung ein. Schon die Parallel¬
linie wird sich, schwerlich aus jenem Satz der Identität construiren lassen.
Und in der Mathematik hat man es doch nur mit räumlichen Abstraktionen
zu thun, während in der Philosophie die concretesten Dinge von der Welt
behandelt werden. Die Mystik zeigt sich also erst, wenn Fichte 179« an
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