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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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ngen Deutschland, wo Glasfabriken entstanden, möglichst eng an das Vor¬
bild der Venetianer an, und es scheint, daß lange Zeit wegen der in Deutsch¬
land verbreiteten Geschicklichkeit im Glasschleifcn und Schneiden, welche von
den Venetianern benutzt wurde, ein inniger Verkehr zwischeu beiden Ländern
unterhalten worden ist. Diese Nachahmungen der ersten Zeit waren vielleicht
wegen der der Bearbeitung minder günstigen abweichenden Zusammensetzung
der Glasmasse, zwar weniger elegant, aber sie verdienen doch alle Aner¬
kennung, da die Technik eine sehr große Verschiedenartigkeit erkennen läßt, und
dann besitzen diese ältesten deutschen Glaswaaren eine ganz eigenthümliche
Schönheit. Diese Abhängigkeit konnte indessen nicht lange währen; die Ver¬
wendung anderer Materialien, sowie der stets an Ausdehnung zunehmende
Gebrauch des Glases, mußte bei den Deutschen mit der Zeit eine wesentlich
andere Gestaltung der Fabrikation hervorbringen. Zur höchsten Blüte ge¬
laugte die deutsche Glasindustrie in Bezug auf die Weiße des Krystallglases
und des feinen Glasschnittes in der Zeit von dem Ende des siebzehnten bis
zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.

Böhmen hat seinen Ruf bis auf die jüngste Zeit bewahrt; die Glas¬
fabrikation hat fortwährend zu den blühendsten Industriezweigen dieses Lan¬
des gehört. Zu Anfang unseres Jahrhunderts zählte man hier siebzig Glas¬
fabriken, die mehr als dreitausend Menschen beschäftigten; jetzt beläuft sich die
Zahl der Fabriken auf hunderteinundscchzig oder ans vierundfunfzig Procent
der Gesammtzahl der Glasfabriken in ganz Oestreich.

Nach Frankreich wurde die Glasfabrikation erst unter Ludwig dem Vier¬
zehnten eingeführt. Colbert hatte die Wichtigkeit dieses Jndustriezweiges er¬
kannt und nahm ihn ganz besonders in seinen Schutz. Er schickte Franzosen
nach Murano, um die Glasmachcrkunst zu erlernen und diese hatten dann
wehr Glück. Die erste Fabrik wurde 1665 zu Tourlaville bei Cherbourg er¬
achtet; sie bestand bis 1808, machte aber erst, nach mancherlei Wechselfällen,
fut 1701 gute Geschäfte. Das Hauptbcstreben ging in Frankreich dahin,
Venedig das Monopol der Spiegclfabrikation zu entreißen. Dies gelang sehr
bald, da schon 1688 Abraham TH6part die Kunst erfand, die Spiegelplattcn
in gießen. Bis dahin wurden sie durch Blasen erhalten und konnten daher
natürlich über eine mäßige Größe nicht hinausgehen. Während die Länge
dieser Spiegel fünfzig Zoll uicht überschritt, maßen die ersten gegossenen vier¬
undachtzig Zoll.bei fünfzig Zoll Breite. TlMart errichtete eine Fabrik in der
Straße de Ncuttly zu Paris, die später nach Se. Godin bei Lästre verlegt
Wurde, wo sie noch heute besteht und zu den berühmtesten Spiegelfabriken
Europas zählt. Auf der pariser Industrieausstellung von 1855 erregten drei
Spiegel dieser Fabrik, die aus fast allen französischen Gcwerbeausstellungcn


ngen Deutschland, wo Glasfabriken entstanden, möglichst eng an das Vor¬
bild der Venetianer an, und es scheint, daß lange Zeit wegen der in Deutsch¬
land verbreiteten Geschicklichkeit im Glasschleifcn und Schneiden, welche von
den Venetianern benutzt wurde, ein inniger Verkehr zwischeu beiden Ländern
unterhalten worden ist. Diese Nachahmungen der ersten Zeit waren vielleicht
wegen der der Bearbeitung minder günstigen abweichenden Zusammensetzung
der Glasmasse, zwar weniger elegant, aber sie verdienen doch alle Aner¬
kennung, da die Technik eine sehr große Verschiedenartigkeit erkennen läßt, und
dann besitzen diese ältesten deutschen Glaswaaren eine ganz eigenthümliche
Schönheit. Diese Abhängigkeit konnte indessen nicht lange währen; die Ver¬
wendung anderer Materialien, sowie der stets an Ausdehnung zunehmende
Gebrauch des Glases, mußte bei den Deutschen mit der Zeit eine wesentlich
andere Gestaltung der Fabrikation hervorbringen. Zur höchsten Blüte ge¬
laugte die deutsche Glasindustrie in Bezug auf die Weiße des Krystallglases
und des feinen Glasschnittes in der Zeit von dem Ende des siebzehnten bis
zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.

Böhmen hat seinen Ruf bis auf die jüngste Zeit bewahrt; die Glas¬
fabrikation hat fortwährend zu den blühendsten Industriezweigen dieses Lan¬
des gehört. Zu Anfang unseres Jahrhunderts zählte man hier siebzig Glas¬
fabriken, die mehr als dreitausend Menschen beschäftigten; jetzt beläuft sich die
Zahl der Fabriken auf hunderteinundscchzig oder ans vierundfunfzig Procent
der Gesammtzahl der Glasfabriken in ganz Oestreich.

Nach Frankreich wurde die Glasfabrikation erst unter Ludwig dem Vier¬
zehnten eingeführt. Colbert hatte die Wichtigkeit dieses Jndustriezweiges er¬
kannt und nahm ihn ganz besonders in seinen Schutz. Er schickte Franzosen
nach Murano, um die Glasmachcrkunst zu erlernen und diese hatten dann
wehr Glück. Die erste Fabrik wurde 1665 zu Tourlaville bei Cherbourg er¬
achtet; sie bestand bis 1808, machte aber erst, nach mancherlei Wechselfällen,
fut 1701 gute Geschäfte. Das Hauptbcstreben ging in Frankreich dahin,
Venedig das Monopol der Spiegclfabrikation zu entreißen. Dies gelang sehr
bald, da schon 1688 Abraham TH6part die Kunst erfand, die Spiegelplattcn
in gießen. Bis dahin wurden sie durch Blasen erhalten und konnten daher
natürlich über eine mäßige Größe nicht hinausgehen. Während die Länge
dieser Spiegel fünfzig Zoll uicht überschritt, maßen die ersten gegossenen vier¬
undachtzig Zoll.bei fünfzig Zoll Breite. TlMart errichtete eine Fabrik in der
Straße de Ncuttly zu Paris, die später nach Se. Godin bei Lästre verlegt
Wurde, wo sie noch heute besteht und zu den berühmtesten Spiegelfabriken
Europas zählt. Auf der pariser Industrieausstellung von 1855 erregten drei
Spiegel dieser Fabrik, die aus fast allen französischen Gcwerbeausstellungcn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/531>, abgerufen am 22.07.2024.