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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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den alle Propheten seit Adam gebetet. Als bei der Zerstörung von Jerusalem
die Bekenner des einigen Gottes flohen, wollte der Stein mit ihnen fort, aber
der Engel Gabriel hielt ihn aus, bis Mohammed kam und ihn für immer
befestigte. Wieder eine andere Sage erzählt. Mohammed sei von dem Steine
aus gen Himmel entrückt worden. Da habe derselbe ihm nach gewollt und
sei wirklich bis in die Nähe des Paradieses mit emporgestiegen. Hier aber
habe er das arabische Jubelgeschrei "Lu in in!" ausgestoßen, und darauf habe
der Prophet ihm geboten zu schweigen und wieder an seinen alten Platz zu¬
rückzukehren. Der Stein habe gehorcht, aber nicht ganz. Er sei etwa zwei
Ellen über seinem frühern Ruheplatz in der Luft schweben geblieben. So sei
er bis auf Sultan Selim zu sehen gewesen, der ihn auf die Klage, daß schwangere
Frauen sich an dem Wunder versehen, durch einen Unterbau gestützt habe. Noch ein
anderer Aberglaube der Mohammedaner sieht in dem Felsen, der nichts Anderes
als eine hervorragende Klippe des Salomonischen Tempelbodens ist, einen der Hü¬
gel des Paradieses und meint, daß unter ihm alle Gewässer der Erde entspringen-

Der Talmud erblickt in demselben den Eben Schetiah, den Stein, auf
welchem die Bundeslade gestanden und aus dem die Welt geschaffen worden.
Andern Juden zufolge ist es die Tenne Arafnas. des Jebusiters, auf welcher
der Engel Posto faßte, der zur Strafe für die von Melech Davids Hochmuth
befohlne Volkszählung Israel mit der Pestruthe schlug. Die Christen des
Mittelalters dagegen glaubten, es sei der Stein, auf dem Jakob den TrauM
von der Himmelsleiter hatte.

Unter dem heiligen Felsen befindet sich eine Höhle, nach welcher aus der
Nordostseite einige Stufen hinabführen. Dieselbe heißt "die edle Höhle der
Moslemin" und ist ziemlich geräumig. In der einen Wand derselben sieht
man zwei kleine Nischen, in denen David und Salomo gebetet haben sollen-
Auf dem Boden aber bedeckt eine metallne Fallthür eine brunnenartige Ver¬
tiefung, die von den Arabern "Birreh Nuah", Brunnen der Seelen, genannt
wird, und welche in die Unterwelt hinabgehen soll. Hier konnte man in
frühern Zeiten sich mit den Todten unterhalten. Da indeß bei diesem Ver¬
kehr wiederholt Unglücksfälle sich ereigneten, so wurde die Oeffnung verschlossen-
Irgendwo in diesem unterirdischen Naum ist nach der Meinung. der Juden
noch heute die Bundeslade verwahrt. Andere Gerüche des Allerheiligsten,
namentlich der siebenarmige Leuchter und der goldne Tisch, auf dem die Schau-
brode lagen, schmückten bekanntlich den Triumphzug des Titus in Rom. Der
ganze Bau der Moschee hat innen wie außen sehr vom Zahn der Zeit gelitten,
nimmt sich aber mit seinem anmuthig vertheilten Farbenreichthum und seinen
schöngeformten Fenster" und Säulen selbst in diesem Verfall noch sehr gut
aus. Neben ihm. nicht fern vom Ostportal, steht Davids Richterstuhl, ein
kleiner Kuppeltempel mit buntfarbigen Marmorsäulen.


den alle Propheten seit Adam gebetet. Als bei der Zerstörung von Jerusalem
die Bekenner des einigen Gottes flohen, wollte der Stein mit ihnen fort, aber
der Engel Gabriel hielt ihn aus, bis Mohammed kam und ihn für immer
befestigte. Wieder eine andere Sage erzählt. Mohammed sei von dem Steine
aus gen Himmel entrückt worden. Da habe derselbe ihm nach gewollt und
sei wirklich bis in die Nähe des Paradieses mit emporgestiegen. Hier aber
habe er das arabische Jubelgeschrei „Lu in in!" ausgestoßen, und darauf habe
der Prophet ihm geboten zu schweigen und wieder an seinen alten Platz zu¬
rückzukehren. Der Stein habe gehorcht, aber nicht ganz. Er sei etwa zwei
Ellen über seinem frühern Ruheplatz in der Luft schweben geblieben. So sei
er bis auf Sultan Selim zu sehen gewesen, der ihn auf die Klage, daß schwangere
Frauen sich an dem Wunder versehen, durch einen Unterbau gestützt habe. Noch ein
anderer Aberglaube der Mohammedaner sieht in dem Felsen, der nichts Anderes
als eine hervorragende Klippe des Salomonischen Tempelbodens ist, einen der Hü¬
gel des Paradieses und meint, daß unter ihm alle Gewässer der Erde entspringen-

Der Talmud erblickt in demselben den Eben Schetiah, den Stein, auf
welchem die Bundeslade gestanden und aus dem die Welt geschaffen worden.
Andern Juden zufolge ist es die Tenne Arafnas. des Jebusiters, auf welcher
der Engel Posto faßte, der zur Strafe für die von Melech Davids Hochmuth
befohlne Volkszählung Israel mit der Pestruthe schlug. Die Christen des
Mittelalters dagegen glaubten, es sei der Stein, auf dem Jakob den TrauM
von der Himmelsleiter hatte.

Unter dem heiligen Felsen befindet sich eine Höhle, nach welcher aus der
Nordostseite einige Stufen hinabführen. Dieselbe heißt „die edle Höhle der
Moslemin" und ist ziemlich geräumig. In der einen Wand derselben sieht
man zwei kleine Nischen, in denen David und Salomo gebetet haben sollen-
Auf dem Boden aber bedeckt eine metallne Fallthür eine brunnenartige Ver¬
tiefung, die von den Arabern „Birreh Nuah", Brunnen der Seelen, genannt
wird, und welche in die Unterwelt hinabgehen soll. Hier konnte man in
frühern Zeiten sich mit den Todten unterhalten. Da indeß bei diesem Ver¬
kehr wiederholt Unglücksfälle sich ereigneten, so wurde die Oeffnung verschlossen-
Irgendwo in diesem unterirdischen Naum ist nach der Meinung. der Juden
noch heute die Bundeslade verwahrt. Andere Gerüche des Allerheiligsten,
namentlich der siebenarmige Leuchter und der goldne Tisch, auf dem die Schau-
brode lagen, schmückten bekanntlich den Triumphzug des Titus in Rom. Der
ganze Bau der Moschee hat innen wie außen sehr vom Zahn der Zeit gelitten,
nimmt sich aber mit seinem anmuthig vertheilten Farbenreichthum und seinen
schöngeformten Fenster» und Säulen selbst in diesem Verfall noch sehr gut
aus. Neben ihm. nicht fern vom Ostportal, steht Davids Richterstuhl, ein
kleiner Kuppeltempel mit buntfarbigen Marmorsäulen.


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[0486] den alle Propheten seit Adam gebetet. Als bei der Zerstörung von Jerusalem die Bekenner des einigen Gottes flohen, wollte der Stein mit ihnen fort, aber der Engel Gabriel hielt ihn aus, bis Mohammed kam und ihn für immer befestigte. Wieder eine andere Sage erzählt. Mohammed sei von dem Steine aus gen Himmel entrückt worden. Da habe derselbe ihm nach gewollt und sei wirklich bis in die Nähe des Paradieses mit emporgestiegen. Hier aber habe er das arabische Jubelgeschrei „Lu in in!" ausgestoßen, und darauf habe der Prophet ihm geboten zu schweigen und wieder an seinen alten Platz zu¬ rückzukehren. Der Stein habe gehorcht, aber nicht ganz. Er sei etwa zwei Ellen über seinem frühern Ruheplatz in der Luft schweben geblieben. So sei er bis auf Sultan Selim zu sehen gewesen, der ihn auf die Klage, daß schwangere Frauen sich an dem Wunder versehen, durch einen Unterbau gestützt habe. Noch ein anderer Aberglaube der Mohammedaner sieht in dem Felsen, der nichts Anderes als eine hervorragende Klippe des Salomonischen Tempelbodens ist, einen der Hü¬ gel des Paradieses und meint, daß unter ihm alle Gewässer der Erde entspringen- Der Talmud erblickt in demselben den Eben Schetiah, den Stein, auf welchem die Bundeslade gestanden und aus dem die Welt geschaffen worden. Andern Juden zufolge ist es die Tenne Arafnas. des Jebusiters, auf welcher der Engel Posto faßte, der zur Strafe für die von Melech Davids Hochmuth befohlne Volkszählung Israel mit der Pestruthe schlug. Die Christen des Mittelalters dagegen glaubten, es sei der Stein, auf dem Jakob den TrauM von der Himmelsleiter hatte. Unter dem heiligen Felsen befindet sich eine Höhle, nach welcher aus der Nordostseite einige Stufen hinabführen. Dieselbe heißt „die edle Höhle der Moslemin" und ist ziemlich geräumig. In der einen Wand derselben sieht man zwei kleine Nischen, in denen David und Salomo gebetet haben sollen- Auf dem Boden aber bedeckt eine metallne Fallthür eine brunnenartige Ver¬ tiefung, die von den Arabern „Birreh Nuah", Brunnen der Seelen, genannt wird, und welche in die Unterwelt hinabgehen soll. Hier konnte man in frühern Zeiten sich mit den Todten unterhalten. Da indeß bei diesem Ver¬ kehr wiederholt Unglücksfälle sich ereigneten, so wurde die Oeffnung verschlossen- Irgendwo in diesem unterirdischen Naum ist nach der Meinung. der Juden noch heute die Bundeslade verwahrt. Andere Gerüche des Allerheiligsten, namentlich der siebenarmige Leuchter und der goldne Tisch, auf dem die Schau- brode lagen, schmückten bekanntlich den Triumphzug des Titus in Rom. Der ganze Bau der Moschee hat innen wie außen sehr vom Zahn der Zeit gelitten, nimmt sich aber mit seinem anmuthig vertheilten Farbenreichthum und seinen schöngeformten Fenster» und Säulen selbst in diesem Verfall noch sehr gut aus. Neben ihm. nicht fern vom Ostportal, steht Davids Richterstuhl, ein kleiner Kuppeltempel mit buntfarbigen Marmorsäulen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/486>, abgerufen am 23.07.2024.