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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Von hier begaben wir uns die Südtreppe des Plateaus hinab und an
unen jetzt wasserlosen Springbrunnen mit weitem Becken, neben dem sich alte
Cypressen erheben, vorüber nach der zweiten Moschee, die von den Mohamme¬
danern Aksa, von den Juden Midrasch Schelomo genannt wird. Dieses sehr
große Gebäude ist eigentlich eine Vereinigung von fünf Heiligthümern. deren
Hauptkörper eine von Justinian erbaute und der Gottesgebnrerin geweihte Basi¬
lika ist. Das Innere besteht in einem etwa hundert und fünfzig Schritt langen
Mittelschiff und je drei ebenso langen Nebenschiffen auf beiden Seiten. Die Säu¬
len und Pfeiler, welche diese Abtheilungen bilden, sind theils römischen, theils
sarazenischen Ursprungs, meist dick und plump und gleich den Wänden einfach
weiß getüncht. Ihre Kapitäler tragen gewaltige Architrave, von denen aus
sich bis zur flachen Holzdecke hinauf Rundbogen spannen. Auf der Seite links
vom Eingang laufen zwischen den Säulen des ersten und zweiten Neben¬
schiffs mannshohe Zwischenschranken hin. Im Süden stößt an das Schiff eine
Art Chor, über dem sich eine Kuppel wölbt, durch welche zwei Reihen mit Glas-
Malereien geschmückter Fenster farbige Lichtstrahlen in das unter ihr herrschende
Halbdunkel fallen lassen.

Nachdem wir vor der Moschee die Stiefel wieder angezogen, folgten wir
dem Großfürsten und seinem Führer, dem Schech, nach einem nicht fern von
der Ostwand der Moschee in den Erdboden hinabgehenden, zum Theil mit
Unkraut verwachsenen Loch, in welchem man viereckige Pfeiler und Ruinen
von Schwibbogen sah. Ich hörte, wie der Dolmetscher dem Prinzen über¬
setzte, der Schech meine, dies seien die Pferdeställe Salomos. Nachdem die
andere Gesellschaft sich entfernt, kletterte ich hinab und fand, daß es ein unter¬
irdisches Gewölbe war, welches sich bis unter den Boden der Moschee zu er¬
strecken schien. Mangel an Licht und die Befürchtung, durch zu langes Ver¬
bleiben auf dem heiligen Platze den Moslemin, die ohnedies, so viel sichs
thun ließ, zur Eile drängten, Anstoß und Gelegenheit zu Beleidigungen zu
geben, ließen mich von einer weitern Untersuchung des interessanten Ortes ab¬
sehen. Vermuthlich sind die Pferdeställe Salomos nur eine Reihe von Wöl¬
bungen, mit denen man eine kleine Senkung des Terrains ausfüllte und so
die große Fläche des Tempelplatzes herstellte.

Etwa hundert Schritt von hier stand der Führer mit dein großfürstlichen
Paar wieder still, und der Schech zeigte auf die Trümmer eines viereckigen
Gemachs im südöstlichen Winkel des Harmnquadrats. Ich erkundigte mich,
K>as das sein solle, und erfuhr, daß in der Nische, die sich in der einen Wand
befand, die Wiege Jesu gestanden habe. Nachdem ich noch einen Blick in
das Innere des goldnen Thores gethan und einige Zweige und Blumen zum
Andenken gepflückt, kehrte ich dnrch den hohen Spitzbogengang, der unter den
Gebäuden der Westseite aus dem Haram hinausführt, in die Stadt und auf


Grenzboten III. 13S9. 60

Von hier begaben wir uns die Südtreppe des Plateaus hinab und an
unen jetzt wasserlosen Springbrunnen mit weitem Becken, neben dem sich alte
Cypressen erheben, vorüber nach der zweiten Moschee, die von den Mohamme¬
danern Aksa, von den Juden Midrasch Schelomo genannt wird. Dieses sehr
große Gebäude ist eigentlich eine Vereinigung von fünf Heiligthümern. deren
Hauptkörper eine von Justinian erbaute und der Gottesgebnrerin geweihte Basi¬
lika ist. Das Innere besteht in einem etwa hundert und fünfzig Schritt langen
Mittelschiff und je drei ebenso langen Nebenschiffen auf beiden Seiten. Die Säu¬
len und Pfeiler, welche diese Abtheilungen bilden, sind theils römischen, theils
sarazenischen Ursprungs, meist dick und plump und gleich den Wänden einfach
weiß getüncht. Ihre Kapitäler tragen gewaltige Architrave, von denen aus
sich bis zur flachen Holzdecke hinauf Rundbogen spannen. Auf der Seite links
vom Eingang laufen zwischen den Säulen des ersten und zweiten Neben¬
schiffs mannshohe Zwischenschranken hin. Im Süden stößt an das Schiff eine
Art Chor, über dem sich eine Kuppel wölbt, durch welche zwei Reihen mit Glas-
Malereien geschmückter Fenster farbige Lichtstrahlen in das unter ihr herrschende
Halbdunkel fallen lassen.

Nachdem wir vor der Moschee die Stiefel wieder angezogen, folgten wir
dem Großfürsten und seinem Führer, dem Schech, nach einem nicht fern von
der Ostwand der Moschee in den Erdboden hinabgehenden, zum Theil mit
Unkraut verwachsenen Loch, in welchem man viereckige Pfeiler und Ruinen
von Schwibbogen sah. Ich hörte, wie der Dolmetscher dem Prinzen über¬
setzte, der Schech meine, dies seien die Pferdeställe Salomos. Nachdem die
andere Gesellschaft sich entfernt, kletterte ich hinab und fand, daß es ein unter¬
irdisches Gewölbe war, welches sich bis unter den Boden der Moschee zu er¬
strecken schien. Mangel an Licht und die Befürchtung, durch zu langes Ver¬
bleiben auf dem heiligen Platze den Moslemin, die ohnedies, so viel sichs
thun ließ, zur Eile drängten, Anstoß und Gelegenheit zu Beleidigungen zu
geben, ließen mich von einer weitern Untersuchung des interessanten Ortes ab¬
sehen. Vermuthlich sind die Pferdeställe Salomos nur eine Reihe von Wöl¬
bungen, mit denen man eine kleine Senkung des Terrains ausfüllte und so
die große Fläche des Tempelplatzes herstellte.

Etwa hundert Schritt von hier stand der Führer mit dein großfürstlichen
Paar wieder still, und der Schech zeigte auf die Trümmer eines viereckigen
Gemachs im südöstlichen Winkel des Harmnquadrats. Ich erkundigte mich,
K>as das sein solle, und erfuhr, daß in der Nische, die sich in der einen Wand
befand, die Wiege Jesu gestanden habe. Nachdem ich noch einen Blick in
das Innere des goldnen Thores gethan und einige Zweige und Blumen zum
Andenken gepflückt, kehrte ich dnrch den hohen Spitzbogengang, der unter den
Gebäuden der Westseite aus dem Haram hinausführt, in die Stadt und auf


Grenzboten III. 13S9. 60
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/487>, abgerufen am 23.07.2024.