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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Stadt wallfahrten und sie wieder verlassen. Die meisten kommen, um hier
Su sterben, und wie übel es ihnen auch ergehen mag. dennoch fühlen sie sich
glücklich. Sehen sie doch alltäglich den Tempelplatz und die Stätte, wo die
Aurg Davids stand, des Vorvaters und Urbildes ihres Messias. Sind sie
doch hier erst in ihrer wahren Heimath. Wissen sie doch, daß dem Leibe,
der hier begraben wird im Thal Josaphat, kein .Wurm nahen darf, daß die
Strafengel. welche nach der Grablegung kommen, um den Todten für die aus
Erden begangneu Sünden zu peinigen, hier nicht Zutritt haben. Ersparen
sich doch durch die bei Lebzeiten unternommene Reise zum Ort der all¬
gemeinen Auferstehung die mühselige unterirdische, die sie. wenn die Posaune
des Gerichts erschallt, antreten müßten. Außerdem aber weiß niemand genau,
wenn der Meschiach kommen wird. Nur das ist sicher, daß er hier erscheint,
und wie wenn man dann zu spät käme? wenn die Schätze des dann auf¬
springenden Zion, unter dessen Rinde das Herz der Erde mit seinem Gold
und Silber, seinen Edelsteinen und seinem Balsam liegt, dann schon ver¬
theilt wären?

Eine der Tugenden, welche die hebräische Race auszeichnet, wird auch den
hiesigen Juden nachgerühmt: eheliche Treue und Familiensinn. Man hört
"irgend von unglücklichen Ehen und selten von Scheidungen, obwol sie durch
das Gesetz so wenig erschwert werden als bei den Bekennern des Islam.
Dagegen kommen Doppelehen vor. Die Sepharedim erkennen das im zwölften
Jahrhundert von Rabbi Gersckon gegebene Gesetz, welches die Vielweiberei
der ältern Periode abschaffte, nicht an. Es ist ihnen gestattet, wenn die erste
^'an keine Kinder bekommt, ober nur Mädchen gebiert, zu gleicher Zeit eine
"weite zu nehmen. Da die erste dann verlangen kann, daß man der Neben¬
bau einen besondern Hnnshalt einrichte und dies mit beträchtlichen Kosten
verknüpft ist. so wird die Erlaubniß nicht oft benutzt, und man zählt jetzt
u"der den jcrusalemer Sepharedim nur fünf, welche in Polygamie leben.

Die Türken und Araber verachten die Juden aufs äußerste. Wenn kein
Schimpfwort einen Phlegmatiker in Harnisch bringt, ans den Namen "Jahudi"
'si er s"fin't auf den Beinen, um sich mit Faustschlägen und Fußtritten zu rächen,
^und die Griechen lassen keine Gelegenheit vorüber, dieses Volk, "das den
Heiland gekreuzigt", mit Spott und Mißhandlung zu überhäufen, und wieder-
^"it kann man hier wie anderwärts im Orient das Märchen erzählen hören.
^ Juden hüten ihre Matzen mit dein Vink von Christenkindern. Wie die
^lische Mission auf dem Zion in das Gegentheil solcher Ungebühr verfiel,
^le Juden gradezu hätschelte, sie als das erkorene Volk ansah, soll später
"^geführt werden.

Die Karaim, eine Art jüdischer Protestanten, insofern sie nur die Thora
Anerkennen, den Talmud verwerfen, sind in Jerusalem nur durch neun Köpfe


Stadt wallfahrten und sie wieder verlassen. Die meisten kommen, um hier
Su sterben, und wie übel es ihnen auch ergehen mag. dennoch fühlen sie sich
glücklich. Sehen sie doch alltäglich den Tempelplatz und die Stätte, wo die
Aurg Davids stand, des Vorvaters und Urbildes ihres Messias. Sind sie
doch hier erst in ihrer wahren Heimath. Wissen sie doch, daß dem Leibe,
der hier begraben wird im Thal Josaphat, kein .Wurm nahen darf, daß die
Strafengel. welche nach der Grablegung kommen, um den Todten für die aus
Erden begangneu Sünden zu peinigen, hier nicht Zutritt haben. Ersparen
sich doch durch die bei Lebzeiten unternommene Reise zum Ort der all¬
gemeinen Auferstehung die mühselige unterirdische, die sie. wenn die Posaune
des Gerichts erschallt, antreten müßten. Außerdem aber weiß niemand genau,
wenn der Meschiach kommen wird. Nur das ist sicher, daß er hier erscheint,
und wie wenn man dann zu spät käme? wenn die Schätze des dann auf¬
springenden Zion, unter dessen Rinde das Herz der Erde mit seinem Gold
und Silber, seinen Edelsteinen und seinem Balsam liegt, dann schon ver¬
theilt wären?

Eine der Tugenden, welche die hebräische Race auszeichnet, wird auch den
hiesigen Juden nachgerühmt: eheliche Treue und Familiensinn. Man hört
"irgend von unglücklichen Ehen und selten von Scheidungen, obwol sie durch
das Gesetz so wenig erschwert werden als bei den Bekennern des Islam.
Dagegen kommen Doppelehen vor. Die Sepharedim erkennen das im zwölften
Jahrhundert von Rabbi Gersckon gegebene Gesetz, welches die Vielweiberei
der ältern Periode abschaffte, nicht an. Es ist ihnen gestattet, wenn die erste
^'an keine Kinder bekommt, ober nur Mädchen gebiert, zu gleicher Zeit eine
»weite zu nehmen. Da die erste dann verlangen kann, daß man der Neben¬
bau einen besondern Hnnshalt einrichte und dies mit beträchtlichen Kosten
verknüpft ist. so wird die Erlaubniß nicht oft benutzt, und man zählt jetzt
u»der den jcrusalemer Sepharedim nur fünf, welche in Polygamie leben.

Die Türken und Araber verachten die Juden aufs äußerste. Wenn kein
Schimpfwort einen Phlegmatiker in Harnisch bringt, ans den Namen „Jahudi"
'si er s»fin't auf den Beinen, um sich mit Faustschlägen und Fußtritten zu rächen,
^und die Griechen lassen keine Gelegenheit vorüber, dieses Volk, „das den
Heiland gekreuzigt", mit Spott und Mißhandlung zu überhäufen, und wieder-
^"it kann man hier wie anderwärts im Orient das Märchen erzählen hören.
^ Juden hüten ihre Matzen mit dein Vink von Christenkindern. Wie die
^lische Mission auf dem Zion in das Gegentheil solcher Ungebühr verfiel,
^le Juden gradezu hätschelte, sie als das erkorene Volk ansah, soll später
"^geführt werden.

Die Karaim, eine Art jüdischer Protestanten, insofern sie nur die Thora
Anerkennen, den Talmud verwerfen, sind in Jerusalem nur durch neun Köpfe


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[0347] Stadt wallfahrten und sie wieder verlassen. Die meisten kommen, um hier Su sterben, und wie übel es ihnen auch ergehen mag. dennoch fühlen sie sich glücklich. Sehen sie doch alltäglich den Tempelplatz und die Stätte, wo die Aurg Davids stand, des Vorvaters und Urbildes ihres Messias. Sind sie doch hier erst in ihrer wahren Heimath. Wissen sie doch, daß dem Leibe, der hier begraben wird im Thal Josaphat, kein .Wurm nahen darf, daß die Strafengel. welche nach der Grablegung kommen, um den Todten für die aus Erden begangneu Sünden zu peinigen, hier nicht Zutritt haben. Ersparen sich doch durch die bei Lebzeiten unternommene Reise zum Ort der all¬ gemeinen Auferstehung die mühselige unterirdische, die sie. wenn die Posaune des Gerichts erschallt, antreten müßten. Außerdem aber weiß niemand genau, wenn der Meschiach kommen wird. Nur das ist sicher, daß er hier erscheint, und wie wenn man dann zu spät käme? wenn die Schätze des dann auf¬ springenden Zion, unter dessen Rinde das Herz der Erde mit seinem Gold und Silber, seinen Edelsteinen und seinem Balsam liegt, dann schon ver¬ theilt wären? Eine der Tugenden, welche die hebräische Race auszeichnet, wird auch den hiesigen Juden nachgerühmt: eheliche Treue und Familiensinn. Man hört "irgend von unglücklichen Ehen und selten von Scheidungen, obwol sie durch das Gesetz so wenig erschwert werden als bei den Bekennern des Islam. Dagegen kommen Doppelehen vor. Die Sepharedim erkennen das im zwölften Jahrhundert von Rabbi Gersckon gegebene Gesetz, welches die Vielweiberei der ältern Periode abschaffte, nicht an. Es ist ihnen gestattet, wenn die erste ^'an keine Kinder bekommt, ober nur Mädchen gebiert, zu gleicher Zeit eine »weite zu nehmen. Da die erste dann verlangen kann, daß man der Neben¬ bau einen besondern Hnnshalt einrichte und dies mit beträchtlichen Kosten verknüpft ist. so wird die Erlaubniß nicht oft benutzt, und man zählt jetzt u»der den jcrusalemer Sepharedim nur fünf, welche in Polygamie leben. Die Türken und Araber verachten die Juden aufs äußerste. Wenn kein Schimpfwort einen Phlegmatiker in Harnisch bringt, ans den Namen „Jahudi" 'si er s»fin't auf den Beinen, um sich mit Faustschlägen und Fußtritten zu rächen, ^und die Griechen lassen keine Gelegenheit vorüber, dieses Volk, „das den Heiland gekreuzigt", mit Spott und Mißhandlung zu überhäufen, und wieder- ^"it kann man hier wie anderwärts im Orient das Märchen erzählen hören. ^ Juden hüten ihre Matzen mit dein Vink von Christenkindern. Wie die ^lische Mission auf dem Zion in das Gegentheil solcher Ungebühr verfiel, ^le Juden gradezu hätschelte, sie als das erkorene Volk ansah, soll später "^geführt werden. Die Karaim, eine Art jüdischer Protestanten, insofern sie nur die Thora Anerkennen, den Talmud verwerfen, sind in Jerusalem nur durch neun Köpfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/347>, abgerufen am 29.12.2024.