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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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junge Rabbiner, denen man damit zu Vermögen verhelfen will. Sie erstehe"
die Beauftragung und Beglaubigung in einer Art Auction, und erhalten,
wenn sie zurückkehren, dafür und für ihre Mühe den dritten Theil des Ergeb¬
nisses der Collecte, von der sie sich aber in der Regel vorher schon den Er-
steigerungspreis abgezogen haben.

Im Talmud heißt es; Lieber sich mit Aasschinden ernähren, als von Almose"
leben -- ein sehr nobler Grundsatz, der aber leider von der großen Mehrzahl
der jerusalemer Juden verschmäht wird. Es gilt gradezu für vornehmer,
sich von milden Gaben zu erhalten. Die Statistik weist nach, daß nur etwa
der zwanzigste Theil der jüdischen Bevölkerung wirklich arbeitet, und ziehe"
wir von der Gesammtzahl die Weiber, die Kinder und die durch Alter c>der
Krankheit Unfähigen ab, so kommt immer nur auf acht bis neun Bettler el"
Arbeiter. Am meisten scheinen sich die Juden auch hier zum Handel hinget
gen zu fühlen, doch nicht in dem Maße wie in Deutschland. Unter den Hand¬
werken betreiben sie vorzüglich die Branntweinbrennerei und die Weinbcreitung'
Demnächst sind die Schneider am stärksten vertreten, nach diesen die Schuster
und Tischler, dann die Bäcker, die ein sehr schönes weißes Brot liefern, welches
auch von den Christen gekauft wird, dann gleich stark die Posnmentirer in'd
Klempner, die Goldarbeiter. Buchbinder. Uhrmacher und Barbiere, je durch
fünf Köpfe. Schmiede, Maurer und Steinmetzen, so wie andere Handwerker-
deren Beruf einen größern Aufwand von Körperkraft erfordert, sind sehr M"
unter ihnen.

Die Trägen entschuldigen sich entweder damit, daß im heiligen Lande d^
Studium des Talmud allem andern vorgehen müsse, oder mit dem he>^"
Klima, welches keine Anstrengung gestatte. Es ist aber ein andrer Grund-
der sie unfähig macht. Sie heirathen zu früh. Unreife Bübchen von dreizehn
höchstens fünfzehn Jahren, werden Kindern von noch zarterni Alter angetraut, und
die Folge ist ein kraftloses Geschlecht, das in manchen seiner Exemplare (der
Ausdruck ist hier angebracht) zu viel Mühe hat, sich bei der Hitze auf de"
Beinen zu erhalten, um daran denken zu können, auch die Hände zu gebrauche"'
Andere hindert das Klima nicht an der Arbeit, und es ist bei der hohen Lage
Jerusalems und bei dem im Sommer fast jeden Nachmittag wehenden West¬
wind überhaupt nicht viel heißer als in Mitteleuropa, da das Thermometer
selten und nur bei Scirocco mehr als 28° im Schatten zeigt.¬

Trotz der schwächlichen Naiur der jüdischen Kinder und ihrer damit ver
bundenen großen Sterblichkeit ist das Volk Israel in Jerusalem ziemlich "seh
gewachsen. Zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts zählte man nur etwa
500 Juden in der Stadt, jetzt mehr als zehnmal so viele. Die Ursache da¬
von ist in der Einwanderung zu suchen, die in manchen Jahren außerordent¬
lich stark war. Selten geschieht es, daß jüdische Pilger nach ihrer heilige"


junge Rabbiner, denen man damit zu Vermögen verhelfen will. Sie erstehe»
die Beauftragung und Beglaubigung in einer Art Auction, und erhalten,
wenn sie zurückkehren, dafür und für ihre Mühe den dritten Theil des Ergeb¬
nisses der Collecte, von der sie sich aber in der Regel vorher schon den Er-
steigerungspreis abgezogen haben.

Im Talmud heißt es; Lieber sich mit Aasschinden ernähren, als von Almose"
leben — ein sehr nobler Grundsatz, der aber leider von der großen Mehrzahl
der jerusalemer Juden verschmäht wird. Es gilt gradezu für vornehmer,
sich von milden Gaben zu erhalten. Die Statistik weist nach, daß nur etwa
der zwanzigste Theil der jüdischen Bevölkerung wirklich arbeitet, und ziehe"
wir von der Gesammtzahl die Weiber, die Kinder und die durch Alter c>der
Krankheit Unfähigen ab, so kommt immer nur auf acht bis neun Bettler el"
Arbeiter. Am meisten scheinen sich die Juden auch hier zum Handel hinget
gen zu fühlen, doch nicht in dem Maße wie in Deutschland. Unter den Hand¬
werken betreiben sie vorzüglich die Branntweinbrennerei und die Weinbcreitung'
Demnächst sind die Schneider am stärksten vertreten, nach diesen die Schuster
und Tischler, dann die Bäcker, die ein sehr schönes weißes Brot liefern, welches
auch von den Christen gekauft wird, dann gleich stark die Posnmentirer in'd
Klempner, die Goldarbeiter. Buchbinder. Uhrmacher und Barbiere, je durch
fünf Köpfe. Schmiede, Maurer und Steinmetzen, so wie andere Handwerker-
deren Beruf einen größern Aufwand von Körperkraft erfordert, sind sehr M"
unter ihnen.

Die Trägen entschuldigen sich entweder damit, daß im heiligen Lande d^
Studium des Talmud allem andern vorgehen müsse, oder mit dem he>^"
Klima, welches keine Anstrengung gestatte. Es ist aber ein andrer Grund-
der sie unfähig macht. Sie heirathen zu früh. Unreife Bübchen von dreizehn
höchstens fünfzehn Jahren, werden Kindern von noch zarterni Alter angetraut, und
die Folge ist ein kraftloses Geschlecht, das in manchen seiner Exemplare (der
Ausdruck ist hier angebracht) zu viel Mühe hat, sich bei der Hitze auf de"
Beinen zu erhalten, um daran denken zu können, auch die Hände zu gebrauche"'
Andere hindert das Klima nicht an der Arbeit, und es ist bei der hohen Lage
Jerusalems und bei dem im Sommer fast jeden Nachmittag wehenden West¬
wind überhaupt nicht viel heißer als in Mitteleuropa, da das Thermometer
selten und nur bei Scirocco mehr als 28° im Schatten zeigt.¬

Trotz der schwächlichen Naiur der jüdischen Kinder und ihrer damit ver
bundenen großen Sterblichkeit ist das Volk Israel in Jerusalem ziemlich "seh
gewachsen. Zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts zählte man nur etwa
500 Juden in der Stadt, jetzt mehr als zehnmal so viele. Die Ursache da¬
von ist in der Einwanderung zu suchen, die in manchen Jahren außerordent¬
lich stark war. Selten geschieht es, daß jüdische Pilger nach ihrer heilige"


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[0346] junge Rabbiner, denen man damit zu Vermögen verhelfen will. Sie erstehe» die Beauftragung und Beglaubigung in einer Art Auction, und erhalten, wenn sie zurückkehren, dafür und für ihre Mühe den dritten Theil des Ergeb¬ nisses der Collecte, von der sie sich aber in der Regel vorher schon den Er- steigerungspreis abgezogen haben. Im Talmud heißt es; Lieber sich mit Aasschinden ernähren, als von Almose" leben — ein sehr nobler Grundsatz, der aber leider von der großen Mehrzahl der jerusalemer Juden verschmäht wird. Es gilt gradezu für vornehmer, sich von milden Gaben zu erhalten. Die Statistik weist nach, daß nur etwa der zwanzigste Theil der jüdischen Bevölkerung wirklich arbeitet, und ziehe" wir von der Gesammtzahl die Weiber, die Kinder und die durch Alter c>der Krankheit Unfähigen ab, so kommt immer nur auf acht bis neun Bettler el" Arbeiter. Am meisten scheinen sich die Juden auch hier zum Handel hinget gen zu fühlen, doch nicht in dem Maße wie in Deutschland. Unter den Hand¬ werken betreiben sie vorzüglich die Branntweinbrennerei und die Weinbcreitung' Demnächst sind die Schneider am stärksten vertreten, nach diesen die Schuster und Tischler, dann die Bäcker, die ein sehr schönes weißes Brot liefern, welches auch von den Christen gekauft wird, dann gleich stark die Posnmentirer in'd Klempner, die Goldarbeiter. Buchbinder. Uhrmacher und Barbiere, je durch fünf Köpfe. Schmiede, Maurer und Steinmetzen, so wie andere Handwerker- deren Beruf einen größern Aufwand von Körperkraft erfordert, sind sehr M" unter ihnen. Die Trägen entschuldigen sich entweder damit, daß im heiligen Lande d^ Studium des Talmud allem andern vorgehen müsse, oder mit dem he>^" Klima, welches keine Anstrengung gestatte. Es ist aber ein andrer Grund- der sie unfähig macht. Sie heirathen zu früh. Unreife Bübchen von dreizehn höchstens fünfzehn Jahren, werden Kindern von noch zarterni Alter angetraut, und die Folge ist ein kraftloses Geschlecht, das in manchen seiner Exemplare (der Ausdruck ist hier angebracht) zu viel Mühe hat, sich bei der Hitze auf de" Beinen zu erhalten, um daran denken zu können, auch die Hände zu gebrauche"' Andere hindert das Klima nicht an der Arbeit, und es ist bei der hohen Lage Jerusalems und bei dem im Sommer fast jeden Nachmittag wehenden West¬ wind überhaupt nicht viel heißer als in Mitteleuropa, da das Thermometer selten und nur bei Scirocco mehr als 28° im Schatten zeigt.¬ Trotz der schwächlichen Naiur der jüdischen Kinder und ihrer damit ver bundenen großen Sterblichkeit ist das Volk Israel in Jerusalem ziemlich "seh gewachsen. Zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts zählte man nur etwa 500 Juden in der Stadt, jetzt mehr als zehnmal so viele. Die Ursache da¬ von ist in der Einwanderung zu suchen, die in manchen Jahren außerordent¬ lich stark war. Selten geschieht es, daß jüdische Pilger nach ihrer heilige"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/346>, abgerufen am 23.07.2024.