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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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^Moseusammlungen, und zwar kommt ihnen besonders von Amsterdam viel
^°it zu. Trotzdem ist die Gemeinde verschuldet, und die Mehrzahl der Ein¬
zelnen lebt in drückendster Armuth. Man darf sich indeß darüber nicht our-
^u, da verhältnißmäßig nur wenige fleißige Arbeiter sind.

Aschkenasim gibt es in Jerusalem etwa 180". Ihr Name bedeutet:
Zische, aber die meisten sind aus den'slavischen Ländern, so wie aus An-
i^U'n und den Donaufürstcnthümern eingewandert. Indeß sprechen sie wenig¬
stens eine Art Deutsch. Sie zerfallen in sechs kleine Gemeinden, welche sich
gegenseitig auf das leidenschaftlichste anfeinden. Die stärkste dieser Gemeinden
'se die der Peruschim oder Pharisäer. Sie werden als fanatisch, streitsüchtig,
^>s bigotte Beobachter des Ceremonialgesetzes und als sittenlos geschildert,
^ne Familien stammen aus Rußland. Vor eimgen Jahren wurden sie von
Petersburg zur Rückkehr aufgefordert, und als sie nicht gehorchten, sagte die
Russische Negierung sich von ihnen los, worauf die meisten unter der östreichischen
^"ggc, die ja die des Königs von Jerusalem ist, Schutz suchten. Sie haben
geistliches Oberhaupt. Der Sitz ihrer Verwaltung ist Wilna, von wo
'hum ein jährliches Almosen von 289,000 Piastern zufließt. Außerdem gibt
^ eine Gemeinde volhynischcr und eine Gemeinde östreichischer Chassidim,
^'"er Chassidim Chabat, Warschauer und Anschehod, kleine Congregationen,
denen keine mehr als hundert Mitglieder zählt. Die Chassidim sind jn-
°'!che Mystiker. Das Studium des Talmud ist ihnen Nebensache, auch sollen
^ weniger fanatisch und nicht so sittenlos sein als die Peruschim. Ihre An-
^edlen erinnern an die Gnostiker. Sie glauben an Seelenwanderung und ein
^Senthümiich construirtes Geisterreich. Ihr Vorsteher wird Zadik genannt
gilt für eine Art übernatürliches Wesen, das mit den Engeln in Verbill¬
ig steht. Was er befiehlt, müssen sie bei Strafe der Ausstoßung thun.
'e Oestreicher trennten sich vor etwa acht Jahren von den Volhyniern wegen
^eldstreitigkeiten, welche auch bei den andern kleinen Gemeinden Ursache der
-Ntstehuug gewesen sind. Die Gesammtsumme der jährlich nach Jerusalem
lueßenden Unterstützungen mag achtmalhunderttausend Piaster betragen. Die
"'^Heilung der Almosengelder geschieht in verschiedener Weise: als Chaluka,
^ Kopf ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter, und als Kadima, nach dem
ung der Personen. Juden Gemeinden, wo die erstere gebräuchlich ist, stehen
ep cUlc erträglich, die kinderreichen Familien sogar recht gut. Wo die letztere
^'herrscht, sieht man die Rabbiner ihre Frauen in Seide und Goldschmuck
^°en, während die übrigen kaum genug haben, ihre Blöße zu be-
. ^en und den Hunger zu stillen. Nicht, daß die würdigen Herren grade
.^erfchicif trieben, sie stellen sich nur zu hoch über die übrigen und berech-
sich danach ihren Antheil. Alle Jahre gehen von Jerusalem Sendboten
Europa und Nordafrika, um. Almosen zu sammeln. Gewöhnlich sind es


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^Moseusammlungen, und zwar kommt ihnen besonders von Amsterdam viel
^°it zu. Trotzdem ist die Gemeinde verschuldet, und die Mehrzahl der Ein¬
zelnen lebt in drückendster Armuth. Man darf sich indeß darüber nicht our-
^u, da verhältnißmäßig nur wenige fleißige Arbeiter sind.

Aschkenasim gibt es in Jerusalem etwa 180». Ihr Name bedeutet:
Zische, aber die meisten sind aus den'slavischen Ländern, so wie aus An-
i^U'n und den Donaufürstcnthümern eingewandert. Indeß sprechen sie wenig¬
stens eine Art Deutsch. Sie zerfallen in sechs kleine Gemeinden, welche sich
gegenseitig auf das leidenschaftlichste anfeinden. Die stärkste dieser Gemeinden
'se die der Peruschim oder Pharisäer. Sie werden als fanatisch, streitsüchtig,
^>s bigotte Beobachter des Ceremonialgesetzes und als sittenlos geschildert,
^ne Familien stammen aus Rußland. Vor eimgen Jahren wurden sie von
Petersburg zur Rückkehr aufgefordert, und als sie nicht gehorchten, sagte die
Russische Negierung sich von ihnen los, worauf die meisten unter der östreichischen
^"ggc, die ja die des Königs von Jerusalem ist, Schutz suchten. Sie haben
geistliches Oberhaupt. Der Sitz ihrer Verwaltung ist Wilna, von wo
'hum ein jährliches Almosen von 289,000 Piastern zufließt. Außerdem gibt
^ eine Gemeinde volhynischcr und eine Gemeinde östreichischer Chassidim,
^'"er Chassidim Chabat, Warschauer und Anschehod, kleine Congregationen,
denen keine mehr als hundert Mitglieder zählt. Die Chassidim sind jn-
°'!che Mystiker. Das Studium des Talmud ist ihnen Nebensache, auch sollen
^ weniger fanatisch und nicht so sittenlos sein als die Peruschim. Ihre An-
^edlen erinnern an die Gnostiker. Sie glauben an Seelenwanderung und ein
^Senthümiich construirtes Geisterreich. Ihr Vorsteher wird Zadik genannt
gilt für eine Art übernatürliches Wesen, das mit den Engeln in Verbill¬
ig steht. Was er befiehlt, müssen sie bei Strafe der Ausstoßung thun.
'e Oestreicher trennten sich vor etwa acht Jahren von den Volhyniern wegen
^eldstreitigkeiten, welche auch bei den andern kleinen Gemeinden Ursache der
-Ntstehuug gewesen sind. Die Gesammtsumme der jährlich nach Jerusalem
lueßenden Unterstützungen mag achtmalhunderttausend Piaster betragen. Die
"'^Heilung der Almosengelder geschieht in verschiedener Weise: als Chaluka,
^ Kopf ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter, und als Kadima, nach dem
ung der Personen. Juden Gemeinden, wo die erstere gebräuchlich ist, stehen
ep cUlc erträglich, die kinderreichen Familien sogar recht gut. Wo die letztere
^'herrscht, sieht man die Rabbiner ihre Frauen in Seide und Goldschmuck
^°en, während die übrigen kaum genug haben, ihre Blöße zu be-
. ^en und den Hunger zu stillen. Nicht, daß die würdigen Herren grade
.^erfchicif trieben, sie stellen sich nur zu hoch über die übrigen und berech-
sich danach ihren Antheil. Alle Jahre gehen von Jerusalem Sendboten
Europa und Nordafrika, um. Almosen zu sammeln. Gewöhnlich sind es


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[0345] ^Moseusammlungen, und zwar kommt ihnen besonders von Amsterdam viel ^°it zu. Trotzdem ist die Gemeinde verschuldet, und die Mehrzahl der Ein¬ zelnen lebt in drückendster Armuth. Man darf sich indeß darüber nicht our- ^u, da verhältnißmäßig nur wenige fleißige Arbeiter sind. Aschkenasim gibt es in Jerusalem etwa 180». Ihr Name bedeutet: Zische, aber die meisten sind aus den'slavischen Ländern, so wie aus An- i^U'n und den Donaufürstcnthümern eingewandert. Indeß sprechen sie wenig¬ stens eine Art Deutsch. Sie zerfallen in sechs kleine Gemeinden, welche sich gegenseitig auf das leidenschaftlichste anfeinden. Die stärkste dieser Gemeinden 'se die der Peruschim oder Pharisäer. Sie werden als fanatisch, streitsüchtig, ^>s bigotte Beobachter des Ceremonialgesetzes und als sittenlos geschildert, ^ne Familien stammen aus Rußland. Vor eimgen Jahren wurden sie von Petersburg zur Rückkehr aufgefordert, und als sie nicht gehorchten, sagte die Russische Negierung sich von ihnen los, worauf die meisten unter der östreichischen ^"ggc, die ja die des Königs von Jerusalem ist, Schutz suchten. Sie haben geistliches Oberhaupt. Der Sitz ihrer Verwaltung ist Wilna, von wo 'hum ein jährliches Almosen von 289,000 Piastern zufließt. Außerdem gibt ^ eine Gemeinde volhynischcr und eine Gemeinde östreichischer Chassidim, ^'"er Chassidim Chabat, Warschauer und Anschehod, kleine Congregationen, denen keine mehr als hundert Mitglieder zählt. Die Chassidim sind jn- °'!che Mystiker. Das Studium des Talmud ist ihnen Nebensache, auch sollen ^ weniger fanatisch und nicht so sittenlos sein als die Peruschim. Ihre An- ^edlen erinnern an die Gnostiker. Sie glauben an Seelenwanderung und ein ^Senthümiich construirtes Geisterreich. Ihr Vorsteher wird Zadik genannt gilt für eine Art übernatürliches Wesen, das mit den Engeln in Verbill¬ ig steht. Was er befiehlt, müssen sie bei Strafe der Ausstoßung thun. 'e Oestreicher trennten sich vor etwa acht Jahren von den Volhyniern wegen ^eldstreitigkeiten, welche auch bei den andern kleinen Gemeinden Ursache der -Ntstehuug gewesen sind. Die Gesammtsumme der jährlich nach Jerusalem lueßenden Unterstützungen mag achtmalhunderttausend Piaster betragen. Die "'^Heilung der Almosengelder geschieht in verschiedener Weise: als Chaluka, ^ Kopf ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter, und als Kadima, nach dem ung der Personen. Juden Gemeinden, wo die erstere gebräuchlich ist, stehen ep cUlc erträglich, die kinderreichen Familien sogar recht gut. Wo die letztere ^'herrscht, sieht man die Rabbiner ihre Frauen in Seide und Goldschmuck ^°en, während die übrigen kaum genug haben, ihre Blöße zu be- . ^en und den Hunger zu stillen. Nicht, daß die würdigen Herren grade .^erfchicif trieben, sie stellen sich nur zu hoch über die übrigen und berech- sich danach ihren Antheil. Alle Jahre gehen von Jerusalem Sendboten Europa und Nordafrika, um. Almosen zu sammeln. Gewöhnlich sind es 42"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/345>, abgerufen am 28.09.2024.