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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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sie hereinzuführen, und wenn der Mauthner sich widersetze, zu thun, was ihm
nützlich scheine. Dies geschah, der Mann im Thor wollte einschreiten, da zog
der Kawascl, sein Pistol und drohte ihm eine Kugel durch den Kopf zu jage",
und siehe da, jetzt zogen die Kameele ungehindert ein. Am andern Tage aber
erschienen die türkischen Behörden beim Consul und baten um Entschuldigung
des Mißverständnisses. Es war in der That eins gewesen, aber kein Mi߬
verständnis) der Sache, sondern der Person, mit der man es zu thun hatte.

Eine Probe der Gerechtigkeitsliebe des Pascha ist im zweiten Capitel mit¬
getheilt. Er gilt für einen geschickten Diplomaten, der besser als sein Ab¬
gänger zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Konsulate auf Mitregierung
zu laviren versteht. Im Uebrigen hat er ein ziemlich abgelebtes Aussehe",
obwol er nicht über die Vierzig hinaus ist. und man sagt ihm nach, daß "
-- für einen Orientalen eine Seltenheit -- entweder aus Schwäche oder a"s
Feigheit nicht gern zu Pferde steige. Für den Fall einer Abberufung hat "
wie sein Vorfahr nach Kräften gesammelt, und so wird er sicher keine Noth
zu leiden haben.

Ich gehe zu den Juden über, die nach dem Obigen ungefähr den vierte"
Theil der Einwohnerschaft Jerusalems repräsentiren. und von denen nahcz"
anderthalbtausend östreichische Schützlinge sind. Sie zerfallen ihrer Herkunft
und Sprache nach in Sepharedim und Aschkenasim. ihrer religiösen Richtung
nach in Pcruschim. Chassidim und Karaim.¬

Die Sepharedim sind, wie oben bemerkt, spanische Juden, und zwar Ab
kömmlinge derer, welche, von Jsabella der Katholischen vertrieben, sich in de"
Ländern der Levante ansiedelten. Sie sollen an Vierthalbtausend Köpfe zäh¬
len, und sind sämmtlich türkische Unterthanen. An ihrer Spitze steht ein Ode>-
rabbiner (Chacham Baschi), der mit einem Rathe von Rabbinern sowol die
religiösen, als die weltlichen Angelegenheiten der Gemeinde leitet. Nichtrabbiner
haben keine Stimme in Betreff der Verwaltung; die Verfassung ist somit eine
aristokratische. Da die herrschende Kaste sich mit nichts Andern: beschäftigt-
als mit dem Auswendiglernen des Talmud, da sie durch ihr Verfahren in de"
ökonomischen Angelegenheiten der Gemeinde und namentlich durch die Art, in>e
sie die vom Ausland gespendeten Almosen vertheilt, Anlaß zur Unzufriedenheit
gegeben hat, so strebt ein Theil der beherrschten schon seit Jahren nach einer
Trennung. Das Gemeindevermögcn besteht in einigen Synagogen, verschie¬
denen Häusern und Bauplätzen, in Stiftungen, von deren Zinsen Rabbiner
bezahlt werden, welche zu gewissen Zeiten Gebete für die verstorbenen Stifter
hersagen, endlich in den Summen, mit denen sich neue Ankömmlinge einzu¬
kaufen haben, und in dem Nachlaß der mit Tode abgehenden Gemeindegliede'''
Andere Einkünfte fließen aus dem Privilegium der Fleischausschrotung so w>e
aus dem Verkauf von Grabstätten. Sehr beträchtlich ist auch der Ertrag der


sie hereinzuführen, und wenn der Mauthner sich widersetze, zu thun, was ihm
nützlich scheine. Dies geschah, der Mann im Thor wollte einschreiten, da zog
der Kawascl, sein Pistol und drohte ihm eine Kugel durch den Kopf zu jage»,
und siehe da, jetzt zogen die Kameele ungehindert ein. Am andern Tage aber
erschienen die türkischen Behörden beim Consul und baten um Entschuldigung
des Mißverständnisses. Es war in der That eins gewesen, aber kein Mi߬
verständnis) der Sache, sondern der Person, mit der man es zu thun hatte.

Eine Probe der Gerechtigkeitsliebe des Pascha ist im zweiten Capitel mit¬
getheilt. Er gilt für einen geschickten Diplomaten, der besser als sein Ab¬
gänger zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Konsulate auf Mitregierung
zu laviren versteht. Im Uebrigen hat er ein ziemlich abgelebtes Aussehe»,
obwol er nicht über die Vierzig hinaus ist. und man sagt ihm nach, daß "
— für einen Orientalen eine Seltenheit — entweder aus Schwäche oder a»s
Feigheit nicht gern zu Pferde steige. Für den Fall einer Abberufung hat "
wie sein Vorfahr nach Kräften gesammelt, und so wird er sicher keine Noth
zu leiden haben.

Ich gehe zu den Juden über, die nach dem Obigen ungefähr den vierte»
Theil der Einwohnerschaft Jerusalems repräsentiren. und von denen nahcz»
anderthalbtausend östreichische Schützlinge sind. Sie zerfallen ihrer Herkunft
und Sprache nach in Sepharedim und Aschkenasim. ihrer religiösen Richtung
nach in Pcruschim. Chassidim und Karaim.¬

Die Sepharedim sind, wie oben bemerkt, spanische Juden, und zwar Ab
kömmlinge derer, welche, von Jsabella der Katholischen vertrieben, sich in de»
Ländern der Levante ansiedelten. Sie sollen an Vierthalbtausend Köpfe zäh¬
len, und sind sämmtlich türkische Unterthanen. An ihrer Spitze steht ein Ode>-
rabbiner (Chacham Baschi), der mit einem Rathe von Rabbinern sowol die
religiösen, als die weltlichen Angelegenheiten der Gemeinde leitet. Nichtrabbiner
haben keine Stimme in Betreff der Verwaltung; die Verfassung ist somit eine
aristokratische. Da die herrschende Kaste sich mit nichts Andern: beschäftigt-
als mit dem Auswendiglernen des Talmud, da sie durch ihr Verfahren in de"
ökonomischen Angelegenheiten der Gemeinde und namentlich durch die Art, in>e
sie die vom Ausland gespendeten Almosen vertheilt, Anlaß zur Unzufriedenheit
gegeben hat, so strebt ein Theil der beherrschten schon seit Jahren nach einer
Trennung. Das Gemeindevermögcn besteht in einigen Synagogen, verschie¬
denen Häusern und Bauplätzen, in Stiftungen, von deren Zinsen Rabbiner
bezahlt werden, welche zu gewissen Zeiten Gebete für die verstorbenen Stifter
hersagen, endlich in den Summen, mit denen sich neue Ankömmlinge einzu¬
kaufen haben, und in dem Nachlaß der mit Tode abgehenden Gemeindegliede'''
Andere Einkünfte fließen aus dem Privilegium der Fleischausschrotung so w>e
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/344>, abgerufen am 26.06.2024.