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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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^undbogenfries aber nur durch die das Gesimse derselben Bauten tragenden
^"gsteine oder Consolen. Wozu soll ich erst der romanischen Kapitälformen
''"es gedenken? Schnaase hatte sich gehütet bei ruhiger Erwägung, das Würfel-
^Pitäl deutscher Bauten aus dem Holzklotz herleiten zu wollen und die flache
Augmentation aus dem Schnitzwerk. Ich frage, ist wol die siligranartige
theil der byzantinischen Kapitale auch aus einem ursprünglichen Holzbau zu
klären, oder ist es reiner Zufall, daß das Würseltapitäl in Italien grade
"ur da vorkommt, wo byzantinischer Einfluß stattgefunden hat. wie er selbst
^gesteht, in der Marcuskirche zu Venedig und zu Santa Fosca in Torcello
^'d in den Bauten der Lombardei. Es ist ein Unglück, daß selbst unsre besten
^stschriftsteller, wozu Herr Schnaase gehört, oft das Gras wachsen hören.
Ehrenb sie doch den Wald vor Bäumen nicht sehen.

Wo in einer Zeit, in der das mittelalterliche Formengefühl bereits aus¬
bildet war d. h. im elften, zwölften, dreizehnten Jahrhundert sich directe
bewußte Anklänge an die antike Urform vorfinden, da hat es der mo-
^'ne Kunsthistoriker nur dankbar hinzunehmen, nicht aber, wie es bis jetzt
der Tagesordnung war, über die Entartung des christlichen Geistes
°" seufzen, der das christliche Gefühl verkennt und dadurch verletzt. Freilich
^ diese Künstler auch für uns nicht mehr als Commentatoren und ihre Werke
vMmentare zu den genialen Schöpfungen ihrer Zeitgenossen. Wer in der
^tezeit der romanischen und der gothischen Baukunst auch nur daran denken
^nee. die Antike in ihrer damaligen unlauteren Gestalt nachzubilden und von
" besten Leistungen des Mittelalters zu den unbeholfenen Ausgangsformen
^ückzngreifen. der bekundete durch diesen Schritt schon zur Genüge, daß ihm
eigne Schöpferkraft versagt war. Was den Künstler verletzt und herab-
urdigt, ist für den Kunstforscher oft eine unerschöpfliche Quelle der Erkennt-
°- er darf ja in dem Vorhandenen nur das Werdende sehen und suchen,
^"halb sind grade die Bauwerke Italiens und Frankreichs unerschöpfliche
""ndgruben für den Kunstforscher.

^ Vom elften bis zum dreizehnten Jahrhundert finden sich Spuren der
e>, nicht blos in Frankreich und Italien, sondern auch in Deutschland:
sauren, Sphinxe, antike Geistesheroen auf mittelalterlichen Werken bekun-
" d"s. Etwas anderes ist übrigens das Studium der Antike und ihre
und seelenlose Nachahmung. Das sollten auch unsre verschütten Aka-
dez weniger erwägen als unsre einseitigen Nachbeter und Nachtreter
^ Mittelalters: ich mag von den einen keinen Fetzen herunterschneiden, um
" andern damit zu flicken,

v-r ,,^^r die Berechtigung der Antike beim Unterricht in der Kunst kann ein
^.^^feiger Mensch nach den jetzt bereits erlangten Resultaten der Forschung
^ Mehr im Zweifel sein. Grade die Blütezeit mittelalterlicher Kunstthätig-


^undbogenfries aber nur durch die das Gesimse derselben Bauten tragenden
^"gsteine oder Consolen. Wozu soll ich erst der romanischen Kapitälformen
''"es gedenken? Schnaase hatte sich gehütet bei ruhiger Erwägung, das Würfel-
^Pitäl deutscher Bauten aus dem Holzklotz herleiten zu wollen und die flache
Augmentation aus dem Schnitzwerk. Ich frage, ist wol die siligranartige
theil der byzantinischen Kapitale auch aus einem ursprünglichen Holzbau zu
klären, oder ist es reiner Zufall, daß das Würseltapitäl in Italien grade
"ur da vorkommt, wo byzantinischer Einfluß stattgefunden hat. wie er selbst
^gesteht, in der Marcuskirche zu Venedig und zu Santa Fosca in Torcello
^'d in den Bauten der Lombardei. Es ist ein Unglück, daß selbst unsre besten
^stschriftsteller, wozu Herr Schnaase gehört, oft das Gras wachsen hören.
Ehrenb sie doch den Wald vor Bäumen nicht sehen.

Wo in einer Zeit, in der das mittelalterliche Formengefühl bereits aus¬
bildet war d. h. im elften, zwölften, dreizehnten Jahrhundert sich directe
bewußte Anklänge an die antike Urform vorfinden, da hat es der mo-
^'ne Kunsthistoriker nur dankbar hinzunehmen, nicht aber, wie es bis jetzt
der Tagesordnung war, über die Entartung des christlichen Geistes
°" seufzen, der das christliche Gefühl verkennt und dadurch verletzt. Freilich
^ diese Künstler auch für uns nicht mehr als Commentatoren und ihre Werke
vMmentare zu den genialen Schöpfungen ihrer Zeitgenossen. Wer in der
^tezeit der romanischen und der gothischen Baukunst auch nur daran denken
^nee. die Antike in ihrer damaligen unlauteren Gestalt nachzubilden und von
" besten Leistungen des Mittelalters zu den unbeholfenen Ausgangsformen
^ückzngreifen. der bekundete durch diesen Schritt schon zur Genüge, daß ihm
eigne Schöpferkraft versagt war. Was den Künstler verletzt und herab-
urdigt, ist für den Kunstforscher oft eine unerschöpfliche Quelle der Erkennt-
°- er darf ja in dem Vorhandenen nur das Werdende sehen und suchen,
^«halb sind grade die Bauwerke Italiens und Frankreichs unerschöpfliche
""ndgruben für den Kunstforscher.

^ Vom elften bis zum dreizehnten Jahrhundert finden sich Spuren der
e>, nicht blos in Frankreich und Italien, sondern auch in Deutschland:
sauren, Sphinxe, antike Geistesheroen auf mittelalterlichen Werken bekun-
" d"s. Etwas anderes ist übrigens das Studium der Antike und ihre
und seelenlose Nachahmung. Das sollten auch unsre verschütten Aka-
dez weniger erwägen als unsre einseitigen Nachbeter und Nachtreter
^ Mittelalters: ich mag von den einen keinen Fetzen herunterschneiden, um
" andern damit zu flicken,

v-r ,,^^r die Berechtigung der Antike beim Unterricht in der Kunst kann ein
^.^^feiger Mensch nach den jetzt bereits erlangten Resultaten der Forschung
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[0325] ^undbogenfries aber nur durch die das Gesimse derselben Bauten tragenden ^"gsteine oder Consolen. Wozu soll ich erst der romanischen Kapitälformen ''"es gedenken? Schnaase hatte sich gehütet bei ruhiger Erwägung, das Würfel- ^Pitäl deutscher Bauten aus dem Holzklotz herleiten zu wollen und die flache Augmentation aus dem Schnitzwerk. Ich frage, ist wol die siligranartige theil der byzantinischen Kapitale auch aus einem ursprünglichen Holzbau zu klären, oder ist es reiner Zufall, daß das Würseltapitäl in Italien grade "ur da vorkommt, wo byzantinischer Einfluß stattgefunden hat. wie er selbst ^gesteht, in der Marcuskirche zu Venedig und zu Santa Fosca in Torcello ^'d in den Bauten der Lombardei. Es ist ein Unglück, daß selbst unsre besten ^stschriftsteller, wozu Herr Schnaase gehört, oft das Gras wachsen hören. Ehrenb sie doch den Wald vor Bäumen nicht sehen. Wo in einer Zeit, in der das mittelalterliche Formengefühl bereits aus¬ bildet war d. h. im elften, zwölften, dreizehnten Jahrhundert sich directe bewußte Anklänge an die antike Urform vorfinden, da hat es der mo- ^'ne Kunsthistoriker nur dankbar hinzunehmen, nicht aber, wie es bis jetzt der Tagesordnung war, über die Entartung des christlichen Geistes °" seufzen, der das christliche Gefühl verkennt und dadurch verletzt. Freilich ^ diese Künstler auch für uns nicht mehr als Commentatoren und ihre Werke vMmentare zu den genialen Schöpfungen ihrer Zeitgenossen. Wer in der ^tezeit der romanischen und der gothischen Baukunst auch nur daran denken ^nee. die Antike in ihrer damaligen unlauteren Gestalt nachzubilden und von " besten Leistungen des Mittelalters zu den unbeholfenen Ausgangsformen ^ückzngreifen. der bekundete durch diesen Schritt schon zur Genüge, daß ihm eigne Schöpferkraft versagt war. Was den Künstler verletzt und herab- urdigt, ist für den Kunstforscher oft eine unerschöpfliche Quelle der Erkennt- °- er darf ja in dem Vorhandenen nur das Werdende sehen und suchen, ^«halb sind grade die Bauwerke Italiens und Frankreichs unerschöpfliche ""ndgruben für den Kunstforscher. ^ Vom elften bis zum dreizehnten Jahrhundert finden sich Spuren der e>, nicht blos in Frankreich und Italien, sondern auch in Deutschland: sauren, Sphinxe, antike Geistesheroen auf mittelalterlichen Werken bekun- " d"s. Etwas anderes ist übrigens das Studium der Antike und ihre und seelenlose Nachahmung. Das sollten auch unsre verschütten Aka- dez weniger erwägen als unsre einseitigen Nachbeter und Nachtreter ^ Mittelalters: ich mag von den einen keinen Fetzen herunterschneiden, um " andern damit zu flicken, v-r ,,^^r die Berechtigung der Antike beim Unterricht in der Kunst kann ein ^.^^feiger Mensch nach den jetzt bereits erlangten Resultaten der Forschung ^ Mehr im Zweifel sein. Grade die Blütezeit mittelalterlicher Kunstthätig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/325>, abgerufen am 22.07.2024.