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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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auf Reisen nicht entbehren konnte. Hedwig. Ottos Nichte, war im Stande,
Unterricht im Griechischen zu ertheilen. Gertberga. eine Verwandte des kai¬
serlichen Hauses, wird als Lehrerin jener Nonne Roswitha, der Nachahmerin
des Terenz. angeführt. In diesen Umständen haben wir bereits den zweiten
Weg vorgezeichnet, auf dem antike Anschauungen und Erinnerungen im spätern
Mittelalter nach dem Abendlande gelangten. Dieser zweite Weg führt über
Byzanz. wo die Antike gleichsam zur Mumie erstarrt, selbst dem Auge des
Kenners nur schwer verständlich wird.

Bei Werken der bildenden Kunst läßt der Styl uns in der Regel über
die Quelle nicht ganz im Unklaren. Die Baukunst der romanischen Zeit hat
fast nur aus Italien sich Nahrung geholt, während die Kleinkunst derselben
Zeit, welche diese Bauten verzierte und ausschmückte, sich mehr an ByzaNj
hielt, dessen Vorbilder durch den morgenländischen Handel und durch zahl'
reiche kaiserliche Geschenke, noch später durch die Kreuzzüge über ganz Europa
verbreitet wurden. Diese Erscheinung ist um so weniger auffallend, als Italien
selbst, wie die zahlreichen byzantinischen Erzthüren, Mosaiken und Kirchen-
geräthe daselbst bezeugen, die Ueberlegenheit des oströmischen Reichs in diesem
Punkte anerkannte. Auch auf diese Weise kamen, darin stimme ich Herrn v.
Quast vollständig bei. viele antike Reminiscenzen nach Europa; aber es war
eine Gabe aus zweiter Hand, deren Spuren ihr deutlich genug aufgedrückt
bleiben. Wie man früher den byzantinischen Einfluß überschätzte, so unter¬
schätzen ihn jetzt viele. Am allerwenigsten läßt sich derselbe durch die geringe
Verbreitung der griechischen Sprache endgiltig widerlegen. Wenn man übri¬
gens zur Erlernung des Griechischen Byzantiner oder Byzantinerinnen nach
dem Abendland kommen läßt, so beweist dieser Umstand zunächst nur, daß man
diese Leute für die Konversation verwenden wollte. Die Sprache und das
Sprechen sind aber zwei himmelweit verschiedene Dinge. Wer würde aus der
großen Zahl französischer Gouvernanten und Gouverneure in Deutschland
folgern dürfen, daß im vorigen Jahrhundert die französische Sprache, die
Sitten und die französische Kunst auf unsre Entwicklung nicht eingewirkt hätten?

Wer den Einfluß der Antike aus erster und zweiter Hand d. h. den Ein"
fluß von Rom und Byzanz verkennt, der hat überhaupt noch keinen Einblick
in den Organismus des christlichen Kirchengebäudes und ist unfähig, die klei¬
nern Kunstwerke im Schoße desselben vom richtigen Standpunkt aus zu be¬
urtheilen. Das Structive der romanischen Baukunst ist ureigne schöpft"^
der germanischen Völker, das Decorative dagegen ruht mehr oder weniger noch
auf antikem Boden. Selbst die Form einzelner Glieder, wie die der attischen
Basis, ist unberührt geblieben. Die romanische Lisene wird nur durch die
römische Halbsäule und den römischen Pjlaster, der an der Grabkirche zu Lorsch
und an vielen Bauten Frankreich noch ihre Stelle einnimmt, verständlich; der


auf Reisen nicht entbehren konnte. Hedwig. Ottos Nichte, war im Stande,
Unterricht im Griechischen zu ertheilen. Gertberga. eine Verwandte des kai¬
serlichen Hauses, wird als Lehrerin jener Nonne Roswitha, der Nachahmerin
des Terenz. angeführt. In diesen Umständen haben wir bereits den zweiten
Weg vorgezeichnet, auf dem antike Anschauungen und Erinnerungen im spätern
Mittelalter nach dem Abendlande gelangten. Dieser zweite Weg führt über
Byzanz. wo die Antike gleichsam zur Mumie erstarrt, selbst dem Auge des
Kenners nur schwer verständlich wird.

Bei Werken der bildenden Kunst läßt der Styl uns in der Regel über
die Quelle nicht ganz im Unklaren. Die Baukunst der romanischen Zeit hat
fast nur aus Italien sich Nahrung geholt, während die Kleinkunst derselben
Zeit, welche diese Bauten verzierte und ausschmückte, sich mehr an ByzaNj
hielt, dessen Vorbilder durch den morgenländischen Handel und durch zahl'
reiche kaiserliche Geschenke, noch später durch die Kreuzzüge über ganz Europa
verbreitet wurden. Diese Erscheinung ist um so weniger auffallend, als Italien
selbst, wie die zahlreichen byzantinischen Erzthüren, Mosaiken und Kirchen-
geräthe daselbst bezeugen, die Ueberlegenheit des oströmischen Reichs in diesem
Punkte anerkannte. Auch auf diese Weise kamen, darin stimme ich Herrn v.
Quast vollständig bei. viele antike Reminiscenzen nach Europa; aber es war
eine Gabe aus zweiter Hand, deren Spuren ihr deutlich genug aufgedrückt
bleiben. Wie man früher den byzantinischen Einfluß überschätzte, so unter¬
schätzen ihn jetzt viele. Am allerwenigsten läßt sich derselbe durch die geringe
Verbreitung der griechischen Sprache endgiltig widerlegen. Wenn man übri¬
gens zur Erlernung des Griechischen Byzantiner oder Byzantinerinnen nach
dem Abendland kommen läßt, so beweist dieser Umstand zunächst nur, daß man
diese Leute für die Konversation verwenden wollte. Die Sprache und das
Sprechen sind aber zwei himmelweit verschiedene Dinge. Wer würde aus der
großen Zahl französischer Gouvernanten und Gouverneure in Deutschland
folgern dürfen, daß im vorigen Jahrhundert die französische Sprache, die
Sitten und die französische Kunst auf unsre Entwicklung nicht eingewirkt hätten?

Wer den Einfluß der Antike aus erster und zweiter Hand d. h. den Ein"
fluß von Rom und Byzanz verkennt, der hat überhaupt noch keinen Einblick
in den Organismus des christlichen Kirchengebäudes und ist unfähig, die klei¬
nern Kunstwerke im Schoße desselben vom richtigen Standpunkt aus zu be¬
urtheilen. Das Structive der romanischen Baukunst ist ureigne schöpft»^
der germanischen Völker, das Decorative dagegen ruht mehr oder weniger noch
auf antikem Boden. Selbst die Form einzelner Glieder, wie die der attischen
Basis, ist unberührt geblieben. Die romanische Lisene wird nur durch die
römische Halbsäule und den römischen Pjlaster, der an der Grabkirche zu Lorsch
und an vielen Bauten Frankreich noch ihre Stelle einnimmt, verständlich; der


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[0324] auf Reisen nicht entbehren konnte. Hedwig. Ottos Nichte, war im Stande, Unterricht im Griechischen zu ertheilen. Gertberga. eine Verwandte des kai¬ serlichen Hauses, wird als Lehrerin jener Nonne Roswitha, der Nachahmerin des Terenz. angeführt. In diesen Umständen haben wir bereits den zweiten Weg vorgezeichnet, auf dem antike Anschauungen und Erinnerungen im spätern Mittelalter nach dem Abendlande gelangten. Dieser zweite Weg führt über Byzanz. wo die Antike gleichsam zur Mumie erstarrt, selbst dem Auge des Kenners nur schwer verständlich wird. Bei Werken der bildenden Kunst läßt der Styl uns in der Regel über die Quelle nicht ganz im Unklaren. Die Baukunst der romanischen Zeit hat fast nur aus Italien sich Nahrung geholt, während die Kleinkunst derselben Zeit, welche diese Bauten verzierte und ausschmückte, sich mehr an ByzaNj hielt, dessen Vorbilder durch den morgenländischen Handel und durch zahl' reiche kaiserliche Geschenke, noch später durch die Kreuzzüge über ganz Europa verbreitet wurden. Diese Erscheinung ist um so weniger auffallend, als Italien selbst, wie die zahlreichen byzantinischen Erzthüren, Mosaiken und Kirchen- geräthe daselbst bezeugen, die Ueberlegenheit des oströmischen Reichs in diesem Punkte anerkannte. Auch auf diese Weise kamen, darin stimme ich Herrn v. Quast vollständig bei. viele antike Reminiscenzen nach Europa; aber es war eine Gabe aus zweiter Hand, deren Spuren ihr deutlich genug aufgedrückt bleiben. Wie man früher den byzantinischen Einfluß überschätzte, so unter¬ schätzen ihn jetzt viele. Am allerwenigsten läßt sich derselbe durch die geringe Verbreitung der griechischen Sprache endgiltig widerlegen. Wenn man übri¬ gens zur Erlernung des Griechischen Byzantiner oder Byzantinerinnen nach dem Abendland kommen läßt, so beweist dieser Umstand zunächst nur, daß man diese Leute für die Konversation verwenden wollte. Die Sprache und das Sprechen sind aber zwei himmelweit verschiedene Dinge. Wer würde aus der großen Zahl französischer Gouvernanten und Gouverneure in Deutschland folgern dürfen, daß im vorigen Jahrhundert die französische Sprache, die Sitten und die französische Kunst auf unsre Entwicklung nicht eingewirkt hätten? Wer den Einfluß der Antike aus erster und zweiter Hand d. h. den Ein" fluß von Rom und Byzanz verkennt, der hat überhaupt noch keinen Einblick in den Organismus des christlichen Kirchengebäudes und ist unfähig, die klei¬ nern Kunstwerke im Schoße desselben vom richtigen Standpunkt aus zu be¬ urtheilen. Das Structive der romanischen Baukunst ist ureigne schöpft»^ der germanischen Völker, das Decorative dagegen ruht mehr oder weniger noch auf antikem Boden. Selbst die Form einzelner Glieder, wie die der attischen Basis, ist unberührt geblieben. Die romanische Lisene wird nur durch die römische Halbsäule und den römischen Pjlaster, der an der Grabkirche zu Lorsch und an vielen Bauten Frankreich noch ihre Stelle einnimmt, verständlich; der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/324>, abgerufen am 23.07.2024.