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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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keit klärt uns über den berechtigten Gebrauch derselben auf. Am Beginn
dieser Periode zeigen die berühmten Bildwerke zu Wechselburg in den Gewand¬
motiven das unverkennbare Studium des Faltenwurfes antiker Statuen.
berufe mich, hierbei aus Waagens Urtheil, da man auf das meinige niäM
geben wird, weil ich hier als Vertreter meiner Ansicht parteiisch erscheine"
muß. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts studirte Nie. Pisano, der be¬
rühmteste Bildhauer des Mittelalters nach einem antiken Sarkophag, wie
wissen. Bei einer seiner Madonnen ging er bereits zu weit, indem er sich
völlig an das Ideal der Juno anschloß und so das mittelalterliche Ideal de
engelhaften Jungfrau und Himmelskönigin verfehlte. Endlich ist es, nachdem
das Album des französischen Architekten Villars de Honnecourt, des welkt^
rühmten Gothikers. veröffentlicht ist, ausgemacht, daß auch er Studien n^
der Antike wie nach der Natur nicht verschmäht hat. Wer wie unsre Kunst^
aus der ersten Quelle, der Natur, schöpfen darf, der braucht die zweite, ^
Antike, kaum mehr. Wer übrigens nicht blind war, der konnte die sehr^
des Alterthums schon bei sorgfältiger Betrachtung der Statuen an der Not>e'
Damekirche und des Domes zu Amiens kaum verkennen und brauchte n>A
auf die Entdeckung des antiken Dornciusziehcrs, als Verzierung an de"
Schlußstein eines gothischen Gewölbes zu warten, um sich von dem Fortieb^
der Antike auch in dieser Zeit zu überzeugen. Das Verstanden des Spitzbog^
zum Rundbogen am Ende der gothischen Periode, das Ueberhandnehmen de
Horizontale auch bei der Kirchenbaukunst des Nordens deuten endlich ^
Uebergang und die Rückkehr zu den Formen der alten Welt in der Bauku'N
an, die der modernen Zeit keine gesegneten Früchte getragen hat, weil a
dem anfänglichen freien Studium ein geisttödtender Schulzwang wurd^
Freier hat sich die Malerei erhalten und darum preisen wir die Werke vo>n
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Italien als die größten Schöpfung
der Neuzeit. Moderne Tiefe, das innige Gefühl des Mittelalters und ant^
Formcnfülle sind in ihnen zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen-
Schritt weiter noch, wo die Antike zur unumgänglich nothwendigen Schule -
Künstlers wurde, und der Zauber ist verschwunden: die vom Hauch des Süd
nicht oder doch nur schwach angewehten Werke des Norden stehen hoch ers"
über den akademisch Schulgerechtem phantasieloser Schöpfungen Italiens
Schluß des sechzehnten Jahrhunderts. Mit mehr Erfolg hat die Sculptur l'^
an die Werke des Alterthums angeschlossen, weil das Wesen dieser Kunst ^'
modernen Geist weniger verständlich ist; hier wo die schöne Form auch
W. 2^' Seele uns anzieht.




keit klärt uns über den berechtigten Gebrauch derselben auf. Am Beginn
dieser Periode zeigen die berühmten Bildwerke zu Wechselburg in den Gewand¬
motiven das unverkennbare Studium des Faltenwurfes antiker Statuen.
berufe mich, hierbei aus Waagens Urtheil, da man auf das meinige niäM
geben wird, weil ich hier als Vertreter meiner Ansicht parteiisch erscheine"
muß. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts studirte Nie. Pisano, der be¬
rühmteste Bildhauer des Mittelalters nach einem antiken Sarkophag, wie
wissen. Bei einer seiner Madonnen ging er bereits zu weit, indem er sich
völlig an das Ideal der Juno anschloß und so das mittelalterliche Ideal de
engelhaften Jungfrau und Himmelskönigin verfehlte. Endlich ist es, nachdem
das Album des französischen Architekten Villars de Honnecourt, des welkt^
rühmten Gothikers. veröffentlicht ist, ausgemacht, daß auch er Studien n^
der Antike wie nach der Natur nicht verschmäht hat. Wer wie unsre Kunst^
aus der ersten Quelle, der Natur, schöpfen darf, der braucht die zweite, ^
Antike, kaum mehr. Wer übrigens nicht blind war, der konnte die sehr^
des Alterthums schon bei sorgfältiger Betrachtung der Statuen an der Not>e'
Damekirche und des Domes zu Amiens kaum verkennen und brauchte n>A
auf die Entdeckung des antiken Dornciusziehcrs, als Verzierung an de»
Schlußstein eines gothischen Gewölbes zu warten, um sich von dem Fortieb^
der Antike auch in dieser Zeit zu überzeugen. Das Verstanden des Spitzbog^
zum Rundbogen am Ende der gothischen Periode, das Ueberhandnehmen de
Horizontale auch bei der Kirchenbaukunst des Nordens deuten endlich ^
Uebergang und die Rückkehr zu den Formen der alten Welt in der Bauku'N
an, die der modernen Zeit keine gesegneten Früchte getragen hat, weil a
dem anfänglichen freien Studium ein geisttödtender Schulzwang wurd^
Freier hat sich die Malerei erhalten und darum preisen wir die Werke vo>n
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Italien als die größten Schöpfung
der Neuzeit. Moderne Tiefe, das innige Gefühl des Mittelalters und ant^
Formcnfülle sind in ihnen zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen-
Schritt weiter noch, wo die Antike zur unumgänglich nothwendigen Schule -
Künstlers wurde, und der Zauber ist verschwunden: die vom Hauch des Süd
nicht oder doch nur schwach angewehten Werke des Norden stehen hoch ers"
über den akademisch Schulgerechtem phantasieloser Schöpfungen Italiens
Schluß des sechzehnten Jahrhunderts. Mit mehr Erfolg hat die Sculptur l'^
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modernen Geist weniger verständlich ist; hier wo die schöne Form auch
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[0326] keit klärt uns über den berechtigten Gebrauch derselben auf. Am Beginn dieser Periode zeigen die berühmten Bildwerke zu Wechselburg in den Gewand¬ motiven das unverkennbare Studium des Faltenwurfes antiker Statuen. berufe mich, hierbei aus Waagens Urtheil, da man auf das meinige niäM geben wird, weil ich hier als Vertreter meiner Ansicht parteiisch erscheine" muß. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts studirte Nie. Pisano, der be¬ rühmteste Bildhauer des Mittelalters nach einem antiken Sarkophag, wie wissen. Bei einer seiner Madonnen ging er bereits zu weit, indem er sich völlig an das Ideal der Juno anschloß und so das mittelalterliche Ideal de engelhaften Jungfrau und Himmelskönigin verfehlte. Endlich ist es, nachdem das Album des französischen Architekten Villars de Honnecourt, des welkt^ rühmten Gothikers. veröffentlicht ist, ausgemacht, daß auch er Studien n^ der Antike wie nach der Natur nicht verschmäht hat. Wer wie unsre Kunst^ aus der ersten Quelle, der Natur, schöpfen darf, der braucht die zweite, ^ Antike, kaum mehr. Wer übrigens nicht blind war, der konnte die sehr^ des Alterthums schon bei sorgfältiger Betrachtung der Statuen an der Not>e' Damekirche und des Domes zu Amiens kaum verkennen und brauchte n>A auf die Entdeckung des antiken Dornciusziehcrs, als Verzierung an de» Schlußstein eines gothischen Gewölbes zu warten, um sich von dem Fortieb^ der Antike auch in dieser Zeit zu überzeugen. Das Verstanden des Spitzbog^ zum Rundbogen am Ende der gothischen Periode, das Ueberhandnehmen de Horizontale auch bei der Kirchenbaukunst des Nordens deuten endlich ^ Uebergang und die Rückkehr zu den Formen der alten Welt in der Bauku'N an, die der modernen Zeit keine gesegneten Früchte getragen hat, weil a dem anfänglichen freien Studium ein geisttödtender Schulzwang wurd^ Freier hat sich die Malerei erhalten und darum preisen wir die Werke vo>n Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Italien als die größten Schöpfung der Neuzeit. Moderne Tiefe, das innige Gefühl des Mittelalters und ant^ Formcnfülle sind in ihnen zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen- Schritt weiter noch, wo die Antike zur unumgänglich nothwendigen Schule - Künstlers wurde, und der Zauber ist verschwunden: die vom Hauch des Süd nicht oder doch nur schwach angewehten Werke des Norden stehen hoch ers" über den akademisch Schulgerechtem phantasieloser Schöpfungen Italiens Schluß des sechzehnten Jahrhunderts. Mit mehr Erfolg hat die Sculptur l'^ an die Werke des Alterthums angeschlossen, weil das Wesen dieser Kunst ^' modernen Geist weniger verständlich ist; hier wo die schöne Form auch W. 2^' Seele uns anzieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/326>, abgerufen am 28.12.2024.