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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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lig den Boden Palästinas zu betreten. So hatte schon der Lootse nur auf
den Radkasten, nicht auf das Deck gedurft. So ließ man uns nicht blos nicht
.ans Land, sondern auch nicht aufs Wasser hinunter. So übergab man uns
die mitzunehmenden Briefe und Frachtzettel in Blechkapseln, und so wurde
die kleine Münze, die man bei Einkäufen von den Führern der unten haltenden
Hökerboote herausbekam, mit einem Stöckchen statt mit der Hand eingestrichen.
Aber der Lootse hielt sich an ein Geländer fest, auf dem abwechselnd mit sei¬
nen Fingern die des Capitäns ruhten. Als ein erwartetes Geldpacket aus¬
blieb, fuhr der Lieutenant nicht blos ans Ufer, sondern nach der mitten in der
Stadt liegenden Agenzie, um es zu holen, und zu gleicher Zeit nahmen wir
verschiedene Ballen Waare und eine ganze Kahnladung frische Provisionen
ein. Endlich stattete, um die Thorheit der ganzen Komödie recht augenschein¬
lich zu machen, der östreichische Generalconsul von Alexandrien mit seiner gan¬
zen Familie wiederholt stundenlange Besuche an Bord ab. Geringern Sterb¬
lichen war dies streng verwehrt, dem vornehmen Würdenträger machten die
Sanitätswächter ohne Weigerung Platz, vermuthlich weil wie die Polizei so
auch die Pest seine Flagge für unnahbar und unverletzlich hält. Ich erwähne
das, ohne mich über das Vorrecht zu wundern, da Consulatsflaggen im Orient
die Eigenschaft haben, auch schlimmern Ausnahmen von der Regel als Passir-
schein zu dienen.

Unter solchen Umständen zehrte sich der mitgenommene Geduldvorrath
rascher als vorher auf, und um für die Landreise zu sparen, überließ ich mich
bisweilen der aufquellenden Ungeduld. Der Anblick der Palmen, die über
die hellschimmernden Mauern der Stadt blickten, der Dahabien, die mit drei¬
eckigem Segel über die blaue Flut hinglitten, der weißen Lichter, die auf den
Schiffsrümpfen spielten, die wohlbekannten Melodien der arabischen Matrosen¬
lieder, die um uns her erklangen, ließen über Träumen von Kairo und unsres
einstigen Nilfahrt das langsame Hinschleichen der Zeit vergessen. Die Ankunft
des Vicekönigs, der mit einem Geschwader von drei weißen Dampfern von
einem Besuch beim Pascha von Tripolis zurückkehrte, die Theilnahme am Möven-
schießen der Schiffsoffiziere zerstreute auch auf ein Weilchen. Aber immer kehrte
die Langeweile wieder, welche der böse Geist aller in Quarantäne liegenden
Schiffe ist, und nicht eher verließ sie das Deck, als bis die gelbe Flagge von
der Gaffel verschwunden und der Dampfer wieder in Bewegung war.

Einige Stunden nachdem wir den Hafen verlassen, sahen wir die niedrige
Küste von Abukir, dann nichts als Himmel und Wasser, dann wieder co
flaches Gestade mit den Minarets und den Palmenhainen von Nösel^'
Außer dem Generalconsul und seiner Familie war jetzt von den frühern Reis^
geführten niemand mehr an Bord, als zwei alte russische Pilgerinnen und ein
zu ihnen gehörender junger Weißbart, ein Araber, der nach Damascus wollte


lig den Boden Palästinas zu betreten. So hatte schon der Lootse nur auf
den Radkasten, nicht auf das Deck gedurft. So ließ man uns nicht blos nicht
.ans Land, sondern auch nicht aufs Wasser hinunter. So übergab man uns
die mitzunehmenden Briefe und Frachtzettel in Blechkapseln, und so wurde
die kleine Münze, die man bei Einkäufen von den Führern der unten haltenden
Hökerboote herausbekam, mit einem Stöckchen statt mit der Hand eingestrichen.
Aber der Lootse hielt sich an ein Geländer fest, auf dem abwechselnd mit sei¬
nen Fingern die des Capitäns ruhten. Als ein erwartetes Geldpacket aus¬
blieb, fuhr der Lieutenant nicht blos ans Ufer, sondern nach der mitten in der
Stadt liegenden Agenzie, um es zu holen, und zu gleicher Zeit nahmen wir
verschiedene Ballen Waare und eine ganze Kahnladung frische Provisionen
ein. Endlich stattete, um die Thorheit der ganzen Komödie recht augenschein¬
lich zu machen, der östreichische Generalconsul von Alexandrien mit seiner gan¬
zen Familie wiederholt stundenlange Besuche an Bord ab. Geringern Sterb¬
lichen war dies streng verwehrt, dem vornehmen Würdenträger machten die
Sanitätswächter ohne Weigerung Platz, vermuthlich weil wie die Polizei so
auch die Pest seine Flagge für unnahbar und unverletzlich hält. Ich erwähne
das, ohne mich über das Vorrecht zu wundern, da Consulatsflaggen im Orient
die Eigenschaft haben, auch schlimmern Ausnahmen von der Regel als Passir-
schein zu dienen.

Unter solchen Umständen zehrte sich der mitgenommene Geduldvorrath
rascher als vorher auf, und um für die Landreise zu sparen, überließ ich mich
bisweilen der aufquellenden Ungeduld. Der Anblick der Palmen, die über
die hellschimmernden Mauern der Stadt blickten, der Dahabien, die mit drei¬
eckigem Segel über die blaue Flut hinglitten, der weißen Lichter, die auf den
Schiffsrümpfen spielten, die wohlbekannten Melodien der arabischen Matrosen¬
lieder, die um uns her erklangen, ließen über Träumen von Kairo und unsres
einstigen Nilfahrt das langsame Hinschleichen der Zeit vergessen. Die Ankunft
des Vicekönigs, der mit einem Geschwader von drei weißen Dampfern von
einem Besuch beim Pascha von Tripolis zurückkehrte, die Theilnahme am Möven-
schießen der Schiffsoffiziere zerstreute auch auf ein Weilchen. Aber immer kehrte
die Langeweile wieder, welche der böse Geist aller in Quarantäne liegenden
Schiffe ist, und nicht eher verließ sie das Deck, als bis die gelbe Flagge von
der Gaffel verschwunden und der Dampfer wieder in Bewegung war.

Einige Stunden nachdem wir den Hafen verlassen, sahen wir die niedrige
Küste von Abukir, dann nichts als Himmel und Wasser, dann wieder co
flaches Gestade mit den Minarets und den Palmenhainen von Nösel^'
Außer dem Generalconsul und seiner Familie war jetzt von den frühern Reis^
geführten niemand mehr an Bord, als zwei alte russische Pilgerinnen und ein
zu ihnen gehörender junger Weißbart, ein Araber, der nach Damascus wollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/228>, abgerufen am 22.07.2024.