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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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und ein Franciscanermönch, den man von Ancona nach Jerusalem geschickt.
Ich sah jetzt, daß die Russen ganz in denselben Stellungen wie die Mohamme¬
daner beteten, sich ebenfalls nach einem Mekka richteten, ebenfalls erst standen,
dann knieten, dann mit der Stirn den Boden berührten -- in der That, der
einzige wesentliche Unterschied bestand in der Fülle von Kreuzen, mit denen sie
sich beschlugen. Der Mönch, ein riesenlanger Gesell und für einen Italiener
Merkwürdig ungeschlacht, betete niemals, vielleicht weil er blos Laienbruder
war. Er war seines Zeichens ein Tischler. Der Generalconsul, der sich bis¬
weilen mit ihm unterhielt, um ihn zu säuseln, erklärte ihn für einen Ausbund
von Dummheit, und wirklich, nie sah ich ein so einfältig verlegenes Grinsen.
Jeden Morgen kam er mit einem solchen auf den Lippen aufs Deck, schritt,
scheu das Käppchen vor uns rückend, auf das Compaßhäuschen zu, blickte mit
pfiffiger Miene hinein, lächelte vergnügt und entfernte sich wieder. Was er
sich dabei gedacht, weiß der Himmel. Daß ihm Norden und Süden, Curs
und Magnetnadel böhmische Dörfer waren, ist ausgemacht, aber vielleicht hielt
er den Compaß für die Schiffsuhr.

Wir hatten gegründete Hoffnung, die Strecke zwischen Alexandrien und
Jaffa binnen dreißig Stunden zurückzulegen und am Charfreitag gegen vier
Uhr am Lande zu sein. Aber als die Stunde kam, wollte sich noch nicht ein¬
mal die Küste zeigen, so viel man auch vom Bugspriet und Mastkorb darnach
ausschaute. Die Schiffsoffiziere klagten über die schlechten Kohlen, die man
in Alexandrien bekommen. Von andrer Seite wurde der Argwohn laut, die
Herren hätten sich, da kein Chronometer an Bord, im Curs geirrt. Wie
dem auch sei, erst nach sechs Uhr wurde vor uns der gelbe Strand und da¬
hinter der bläuliche Höhenzug sichtbar, der dem Pilger nach Jerusalem
das Ende der Meerfahrt verkündigt, und erst eine Stunde später erschien
zur Linken der backofenförmige Hügel, auf dem Jaffa liegt. Es war bereits
dunkle Nacht, als die Jmperatrice in der Entfernung eines Büchsenschusses von
der Stadt Anker warf. Daß türkische Quarantänebehörden nach Sonnenunter¬
gang noch arbeiten würden, war nicht zu erwarten, und ein Versuch, Pratica
von ihnen zu bekommen, schlug gänzlich fehl. Man wird mit dem bekannten
Zurückwerfen des Kopfs und dem dazu gehörigen Niesen nach inwendig geant¬
wortet haben, welches aus türkisch: "Seid ihr bei Trost?" bedeutet, und so
Mußten wir wohl oder übel noch eine Nacht an Bord bleiben.

' Wir erstickten unsern Verdruß in einem guten Souper und machten dann
die gewohnte Abendpromenade das Deck entlang. Das gelbe Gestade hatte
sich in einen schwarzen Streifen verwandelt. Am Himmel flimmerten die
Sterne, auf der Höhe der Stadt die Lichter und Laternen des Ramadan, auf
dem Meere die Leuchten der Schiffe, welche die zurückkehrenden Karavanen
der heiligen Woche erwarteten. Der Mönch, der diesen Tag häufiger wie je


und ein Franciscanermönch, den man von Ancona nach Jerusalem geschickt.
Ich sah jetzt, daß die Russen ganz in denselben Stellungen wie die Mohamme¬
daner beteten, sich ebenfalls nach einem Mekka richteten, ebenfalls erst standen,
dann knieten, dann mit der Stirn den Boden berührten — in der That, der
einzige wesentliche Unterschied bestand in der Fülle von Kreuzen, mit denen sie
sich beschlugen. Der Mönch, ein riesenlanger Gesell und für einen Italiener
Merkwürdig ungeschlacht, betete niemals, vielleicht weil er blos Laienbruder
war. Er war seines Zeichens ein Tischler. Der Generalconsul, der sich bis¬
weilen mit ihm unterhielt, um ihn zu säuseln, erklärte ihn für einen Ausbund
von Dummheit, und wirklich, nie sah ich ein so einfältig verlegenes Grinsen.
Jeden Morgen kam er mit einem solchen auf den Lippen aufs Deck, schritt,
scheu das Käppchen vor uns rückend, auf das Compaßhäuschen zu, blickte mit
pfiffiger Miene hinein, lächelte vergnügt und entfernte sich wieder. Was er
sich dabei gedacht, weiß der Himmel. Daß ihm Norden und Süden, Curs
und Magnetnadel böhmische Dörfer waren, ist ausgemacht, aber vielleicht hielt
er den Compaß für die Schiffsuhr.

Wir hatten gegründete Hoffnung, die Strecke zwischen Alexandrien und
Jaffa binnen dreißig Stunden zurückzulegen und am Charfreitag gegen vier
Uhr am Lande zu sein. Aber als die Stunde kam, wollte sich noch nicht ein¬
mal die Küste zeigen, so viel man auch vom Bugspriet und Mastkorb darnach
ausschaute. Die Schiffsoffiziere klagten über die schlechten Kohlen, die man
in Alexandrien bekommen. Von andrer Seite wurde der Argwohn laut, die
Herren hätten sich, da kein Chronometer an Bord, im Curs geirrt. Wie
dem auch sei, erst nach sechs Uhr wurde vor uns der gelbe Strand und da¬
hinter der bläuliche Höhenzug sichtbar, der dem Pilger nach Jerusalem
das Ende der Meerfahrt verkündigt, und erst eine Stunde später erschien
zur Linken der backofenförmige Hügel, auf dem Jaffa liegt. Es war bereits
dunkle Nacht, als die Jmperatrice in der Entfernung eines Büchsenschusses von
der Stadt Anker warf. Daß türkische Quarantänebehörden nach Sonnenunter¬
gang noch arbeiten würden, war nicht zu erwarten, und ein Versuch, Pratica
von ihnen zu bekommen, schlug gänzlich fehl. Man wird mit dem bekannten
Zurückwerfen des Kopfs und dem dazu gehörigen Niesen nach inwendig geant¬
wortet haben, welches aus türkisch: „Seid ihr bei Trost?" bedeutet, und so
Mußten wir wohl oder übel noch eine Nacht an Bord bleiben.

' Wir erstickten unsern Verdruß in einem guten Souper und machten dann
die gewohnte Abendpromenade das Deck entlang. Das gelbe Gestade hatte
sich in einen schwarzen Streifen verwandelt. Am Himmel flimmerten die
Sterne, auf der Höhe der Stadt die Lichter und Laternen des Ramadan, auf
dem Meere die Leuchten der Schiffe, welche die zurückkehrenden Karavanen
der heiligen Woche erwarteten. Der Mönch, der diesen Tag häufiger wie je


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[0229] und ein Franciscanermönch, den man von Ancona nach Jerusalem geschickt. Ich sah jetzt, daß die Russen ganz in denselben Stellungen wie die Mohamme¬ daner beteten, sich ebenfalls nach einem Mekka richteten, ebenfalls erst standen, dann knieten, dann mit der Stirn den Boden berührten — in der That, der einzige wesentliche Unterschied bestand in der Fülle von Kreuzen, mit denen sie sich beschlugen. Der Mönch, ein riesenlanger Gesell und für einen Italiener Merkwürdig ungeschlacht, betete niemals, vielleicht weil er blos Laienbruder war. Er war seines Zeichens ein Tischler. Der Generalconsul, der sich bis¬ weilen mit ihm unterhielt, um ihn zu säuseln, erklärte ihn für einen Ausbund von Dummheit, und wirklich, nie sah ich ein so einfältig verlegenes Grinsen. Jeden Morgen kam er mit einem solchen auf den Lippen aufs Deck, schritt, scheu das Käppchen vor uns rückend, auf das Compaßhäuschen zu, blickte mit pfiffiger Miene hinein, lächelte vergnügt und entfernte sich wieder. Was er sich dabei gedacht, weiß der Himmel. Daß ihm Norden und Süden, Curs und Magnetnadel böhmische Dörfer waren, ist ausgemacht, aber vielleicht hielt er den Compaß für die Schiffsuhr. Wir hatten gegründete Hoffnung, die Strecke zwischen Alexandrien und Jaffa binnen dreißig Stunden zurückzulegen und am Charfreitag gegen vier Uhr am Lande zu sein. Aber als die Stunde kam, wollte sich noch nicht ein¬ mal die Küste zeigen, so viel man auch vom Bugspriet und Mastkorb darnach ausschaute. Die Schiffsoffiziere klagten über die schlechten Kohlen, die man in Alexandrien bekommen. Von andrer Seite wurde der Argwohn laut, die Herren hätten sich, da kein Chronometer an Bord, im Curs geirrt. Wie dem auch sei, erst nach sechs Uhr wurde vor uns der gelbe Strand und da¬ hinter der bläuliche Höhenzug sichtbar, der dem Pilger nach Jerusalem das Ende der Meerfahrt verkündigt, und erst eine Stunde später erschien zur Linken der backofenförmige Hügel, auf dem Jaffa liegt. Es war bereits dunkle Nacht, als die Jmperatrice in der Entfernung eines Büchsenschusses von der Stadt Anker warf. Daß türkische Quarantänebehörden nach Sonnenunter¬ gang noch arbeiten würden, war nicht zu erwarten, und ein Versuch, Pratica von ihnen zu bekommen, schlug gänzlich fehl. Man wird mit dem bekannten Zurückwerfen des Kopfs und dem dazu gehörigen Niesen nach inwendig geant¬ wortet haben, welches aus türkisch: „Seid ihr bei Trost?" bedeutet, und so Mußten wir wohl oder übel noch eine Nacht an Bord bleiben. ' Wir erstickten unsern Verdruß in einem guten Souper und machten dann die gewohnte Abendpromenade das Deck entlang. Das gelbe Gestade hatte sich in einen schwarzen Streifen verwandelt. Am Himmel flimmerten die Sterne, auf der Höhe der Stadt die Lichter und Laternen des Ramadan, auf dem Meere die Leuchten der Schiffe, welche die zurückkehrenden Karavanen der heiligen Woche erwarteten. Der Mönch, der diesen Tag häufiger wie je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/229>, abgerufen am 22.07.2024.