Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.Smyrnas einnimmt, hat ebenfalls einen europäischen Anstrich, doch empfin¬ Prosaischer erscheinen die Straßen, in denen die Armenier wohnen. Sie Noch tiefer in den Orient versetzt ein Besuch der Karavanenbrücke im Reste des Alterthums hat Smyrna nur wenige aufzuweisen. Die Nu- Smyrnas einnimmt, hat ebenfalls einen europäischen Anstrich, doch empfin¬ Prosaischer erscheinen die Straßen, in denen die Armenier wohnen. Sie Noch tiefer in den Orient versetzt ein Besuch der Karavanenbrücke im Reste des Alterthums hat Smyrna nur wenige aufzuweisen. Die Nu- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107808"/> <p xml:id="ID_697" prev="#ID_696"> Smyrnas einnimmt, hat ebenfalls einen europäischen Anstrich, doch empfin¬<lb/> det man bei genauerem Hinsehen hier schon mehr, daß man im Morgenland<lb/> ist. Wir begegnen hier fast nur schwarzen Augen und Haaren und jener<lb/> bräunlichen Gesichtsfarbe, mit der die Sonne des Orients auch die schönere<lb/> Hälfte der Sterblichen — sie ist hier besonders schön — nicht verschont. Wir<lb/> hören hellenische Laute, sehen häufiger das hohe umgebogene Fez und die<lb/> schlotterige Pumphose des Inselgriechen und blicken, wo die Hausthür offen¬<lb/> steht, durch eine steiugctäfelte Halle in ein Gäitchen, in dem um einen Spring¬<lb/> brunnen Bäume und Gesträuche des Südens: dunkellaubige Orangen. Cu-<lb/> pressen, Oleander und Granaten stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_698"> Prosaischer erscheinen die Straßen, in denen die Armenier wohnen. Sie<lb/> kreuzen sich meist im rechten Winkel und tragen, nach dem letzten großen<lb/> Brande neu angelegt, das Gepräge des Unfertigen an sich. Die Kuppelkirchc<lb/> dagegen, welche sich in ihrer Mitte erhebt, verdient das Lob geschmackvoller<lb/> Bauart. Die Quartiere der Türken und Juden — von letztem haben sich<lb/> gegen 15.0V0 hier angesiedelt — gewähren mit ihren Gärten und ihren Mo¬<lb/> scheen nur aus der Ferne einen angenehmen Anblick.' In der Nähe sind sic<lb/> ein Conglomerat liederlich gehaltener Breterbaracken, schmuzstarrendcr Kaffee¬<lb/> häuser, tiefer Kothlachen und windschiefer gichtbrüchigcr Dächer von Pfannen¬<lb/> ziegeln. Die Moscheen zeigen bisweilen Spuren alter Prachtliebe, schöne<lb/> Säulengänge und Brunnen, aber die Mehrzahl befindet sich im Verfall, und<lb/> keine bietet dem, der schon im Orient war, der namentlich bereits Konstan¬<lb/> tinopel oder Kairo besuchte, etwas Außerordentliches. Sehr schön dagegen<lb/> sind die Friedhöfe mit ihren Riesencypressen, in deren Schatten Hunderttau-<lb/> sende weißer Grabsteine mit buntbemalten Turbanen und goldenen Koran¬<lb/> sprüchen auf blauem Grunde schimmern.</p><lb/> <p xml:id="ID_699"> Noch tiefer in den Orient versetzt ein Besuch der Karavanenbrücke im<lb/> Nordosten der Stadt. Dieselbe führt über den kleinen Fluß Meles, in dessen<lb/> Nähe der Ort gezeigt wird, wo die Sage Homer geboren sein läßt.<lb/> einem der von hohen Bäumen beschatteten Kaffeehäuser kann man hier bei<lb/> einem Nargileh bisweilen Hunderte von Kameelen aus dem Innern Klein¬<lb/> asiens vorbeiziehn sehen, und das Gebrüll dieser Steppenthiere, der Staub,<lb/> den ihre Tritte aufwühlen, die seltsame Tracht ihrer halbwilden Führer, die<lb/> Musik ihrer Glöckchen, die Begleitung bewaffneter Reiter, die sie umschwärmt,<lb/> läßt den Beschauer sich weit hinwegträumen von den Grenzen der Civilisation.<lb/> Und doch ist diese Civilisation so nahe. Keine halbe Stunde von hier fah¬<lb/> ren ihre Dampfschiffe, und keine tausend Schritt von der Karavanenbrücke baut<lb/> dje englische Speculation eine Eisenbahn, die in wenigen Jahren sich bis ins<lb/> Herz Anatolicns ausgedehnt haben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_700" next="#ID_701"> Reste des Alterthums hat Smyrna nur wenige aufzuweisen. Die Nu-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0222]
Smyrnas einnimmt, hat ebenfalls einen europäischen Anstrich, doch empfin¬
det man bei genauerem Hinsehen hier schon mehr, daß man im Morgenland
ist. Wir begegnen hier fast nur schwarzen Augen und Haaren und jener
bräunlichen Gesichtsfarbe, mit der die Sonne des Orients auch die schönere
Hälfte der Sterblichen — sie ist hier besonders schön — nicht verschont. Wir
hören hellenische Laute, sehen häufiger das hohe umgebogene Fez und die
schlotterige Pumphose des Inselgriechen und blicken, wo die Hausthür offen¬
steht, durch eine steiugctäfelte Halle in ein Gäitchen, in dem um einen Spring¬
brunnen Bäume und Gesträuche des Südens: dunkellaubige Orangen. Cu-
pressen, Oleander und Granaten stehen.
Prosaischer erscheinen die Straßen, in denen die Armenier wohnen. Sie
kreuzen sich meist im rechten Winkel und tragen, nach dem letzten großen
Brande neu angelegt, das Gepräge des Unfertigen an sich. Die Kuppelkirchc
dagegen, welche sich in ihrer Mitte erhebt, verdient das Lob geschmackvoller
Bauart. Die Quartiere der Türken und Juden — von letztem haben sich
gegen 15.0V0 hier angesiedelt — gewähren mit ihren Gärten und ihren Mo¬
scheen nur aus der Ferne einen angenehmen Anblick.' In der Nähe sind sic
ein Conglomerat liederlich gehaltener Breterbaracken, schmuzstarrendcr Kaffee¬
häuser, tiefer Kothlachen und windschiefer gichtbrüchigcr Dächer von Pfannen¬
ziegeln. Die Moscheen zeigen bisweilen Spuren alter Prachtliebe, schöne
Säulengänge und Brunnen, aber die Mehrzahl befindet sich im Verfall, und
keine bietet dem, der schon im Orient war, der namentlich bereits Konstan¬
tinopel oder Kairo besuchte, etwas Außerordentliches. Sehr schön dagegen
sind die Friedhöfe mit ihren Riesencypressen, in deren Schatten Hunderttau-
sende weißer Grabsteine mit buntbemalten Turbanen und goldenen Koran¬
sprüchen auf blauem Grunde schimmern.
Noch tiefer in den Orient versetzt ein Besuch der Karavanenbrücke im
Nordosten der Stadt. Dieselbe führt über den kleinen Fluß Meles, in dessen
Nähe der Ort gezeigt wird, wo die Sage Homer geboren sein läßt.
einem der von hohen Bäumen beschatteten Kaffeehäuser kann man hier bei
einem Nargileh bisweilen Hunderte von Kameelen aus dem Innern Klein¬
asiens vorbeiziehn sehen, und das Gebrüll dieser Steppenthiere, der Staub,
den ihre Tritte aufwühlen, die seltsame Tracht ihrer halbwilden Führer, die
Musik ihrer Glöckchen, die Begleitung bewaffneter Reiter, die sie umschwärmt,
läßt den Beschauer sich weit hinwegträumen von den Grenzen der Civilisation.
Und doch ist diese Civilisation so nahe. Keine halbe Stunde von hier fah¬
ren ihre Dampfschiffe, und keine tausend Schritt von der Karavanenbrücke baut
dje englische Speculation eine Eisenbahn, die in wenigen Jahren sich bis ins
Herz Anatolicns ausgedehnt haben wird.
Reste des Alterthums hat Smyrna nur wenige aufzuweisen. Die Nu-
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