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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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wen auf dem Gipfel des Pagos gehören einem Castell an, welches von den
Genueser, erbaut wurde. Die Höhle, in welcher Homer seine unsterblichen
Gesänge gedichtet haben soll, hat nicht mehr Anspruch auf Echtheit, als an¬
dere Höhlen dieser Gegenden. Das alte Smyrna. welches am Nordabhänge
des Pagos gelegen haben mag, ist bis auf einige unförmliche Steinhaufen
und einige Spuren seines Theaters verschwunden. Hier und da im Türken-
auartier zeigt man wol auch einen antiken Marmorsarg, der jetzt als Wasser-
^'og dient, eine Metamorphose, auf die unsere Poeten Verse machen mögen.

Der Bazar, zwischen dem griechischen und türkischen Viertel sich erstreckend,
kann dem, der Konstantinopel noch nicht gesehen, durch seine große Aus¬
dehnung und die bunte Fülle seiner Waaren imponiren, aber nur einige seiner
Abtheilungen haben noch ihre frühere streng morgenländische Physiognomie,
vielen halten Europäer feil, in den meisten überwiegen Fabrikate, die wir
"Ach auf unsern Jahrmärkten und Messen antreffen.

Der Ton in den fränkischen und griechischen Kreisen ist gutem Vernehmen
'^es nicht der Art. daß eine Familie mit deutscher Bildung sich hier wohl
suhlen könnte. Smyrna ist vorwiegend Handelsstadt, und so werden die jun-
öen Leute sast nur für den Erwerb erzogen, die Knabey für den Erwerb von
Geld und Gut, die Mädchen für den Erwerb einer Versorgung durch die Ehe.
Man lernt rechnen und gefallen. Bildung des Herzens und des Geschmacks
'se Nebensache. In den Schulen wird außer den Elemcntargegenständen eng-
^sah und französisch Parliren gelehrt und zum Ueberfluß etwas Pianoforte-
^pick. welches seit einigen Jahren in die Mode gekommen ist. Nur das von
de" deutschen Diakonissinnen geleitete Institut, welches sich trotz mancher An¬
wendungen des besten Gedeihens erfreut und sowol seiner in der That pracht¬
vollen Einrichtung als seines verständigen Schulplans wegen zu den besten
^ziehungsanstalten der Levante gehört, macht davon eine rühmliche Aus¬
nahme. Bon den Griechen wurde gerühmt, daß sie durchschnittlich schöne
Talente zeigten, und man sieht in der That unter den jungen Leuten anf¬
allend viele intelligente Gesichter. Dennoch ist ihre Bildung in der Regel
Mangelhaft, Vorurtheil und Aberglaube überall in Schwang. Quacksalber
senden selbst unter den Vornehmsten ihre Rechnung. Bücher scheinen nur so
^"ge gelesen zu werden, als man ihrer bedarf, um eine Stelle zu bekommen,
^'e Musik beschränkt sich auf das Abkiimpern von Pieren aus Verdischen
^perlt. Von einer Unterhaltung, wie sie unsere geselligen Zusammenkünfte
^rsehönert und veredelt, ist in Smyrna kaum die Rede. Man sitzt sich ent¬
weder steif gegenüber oder tauscht den gewöhnlichsten Klatsch, die abgegriffen¬
em Gemeinplätze aus. Einige Deutsche haben sich zu einem Gesangverein
öusammengethan, er scheint aber noch nicht recht gedeihen zu wollen, andere
ereilte haben nur die Interessen der Kaufleute im Auge, und so ist ein Mann


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wen auf dem Gipfel des Pagos gehören einem Castell an, welches von den
Genueser, erbaut wurde. Die Höhle, in welcher Homer seine unsterblichen
Gesänge gedichtet haben soll, hat nicht mehr Anspruch auf Echtheit, als an¬
dere Höhlen dieser Gegenden. Das alte Smyrna. welches am Nordabhänge
des Pagos gelegen haben mag, ist bis auf einige unförmliche Steinhaufen
und einige Spuren seines Theaters verschwunden. Hier und da im Türken-
auartier zeigt man wol auch einen antiken Marmorsarg, der jetzt als Wasser-
^'og dient, eine Metamorphose, auf die unsere Poeten Verse machen mögen.

Der Bazar, zwischen dem griechischen und türkischen Viertel sich erstreckend,
kann dem, der Konstantinopel noch nicht gesehen, durch seine große Aus¬
dehnung und die bunte Fülle seiner Waaren imponiren, aber nur einige seiner
Abtheilungen haben noch ihre frühere streng morgenländische Physiognomie,
vielen halten Europäer feil, in den meisten überwiegen Fabrikate, die wir
"Ach auf unsern Jahrmärkten und Messen antreffen.

Der Ton in den fränkischen und griechischen Kreisen ist gutem Vernehmen
'^es nicht der Art. daß eine Familie mit deutscher Bildung sich hier wohl
suhlen könnte. Smyrna ist vorwiegend Handelsstadt, und so werden die jun-
öen Leute sast nur für den Erwerb erzogen, die Knabey für den Erwerb von
Geld und Gut, die Mädchen für den Erwerb einer Versorgung durch die Ehe.
Man lernt rechnen und gefallen. Bildung des Herzens und des Geschmacks
'se Nebensache. In den Schulen wird außer den Elemcntargegenständen eng-
^sah und französisch Parliren gelehrt und zum Ueberfluß etwas Pianoforte-
^pick. welches seit einigen Jahren in die Mode gekommen ist. Nur das von
de» deutschen Diakonissinnen geleitete Institut, welches sich trotz mancher An¬
wendungen des besten Gedeihens erfreut und sowol seiner in der That pracht¬
vollen Einrichtung als seines verständigen Schulplans wegen zu den besten
^ziehungsanstalten der Levante gehört, macht davon eine rühmliche Aus¬
nahme. Bon den Griechen wurde gerühmt, daß sie durchschnittlich schöne
Talente zeigten, und man sieht in der That unter den jungen Leuten anf¬
allend viele intelligente Gesichter. Dennoch ist ihre Bildung in der Regel
Mangelhaft, Vorurtheil und Aberglaube überall in Schwang. Quacksalber
senden selbst unter den Vornehmsten ihre Rechnung. Bücher scheinen nur so
^"ge gelesen zu werden, als man ihrer bedarf, um eine Stelle zu bekommen,
^'e Musik beschränkt sich auf das Abkiimpern von Pieren aus Verdischen
^perlt. Von einer Unterhaltung, wie sie unsere geselligen Zusammenkünfte
^rsehönert und veredelt, ist in Smyrna kaum die Rede. Man sitzt sich ent¬
weder steif gegenüber oder tauscht den gewöhnlichsten Klatsch, die abgegriffen¬
em Gemeinplätze aus. Einige Deutsche haben sich zu einem Gesangverein
öusammengethan, er scheint aber noch nicht recht gedeihen zu wollen, andere
ereilte haben nur die Interessen der Kaufleute im Auge, und so ist ein Mann


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[0223] wen auf dem Gipfel des Pagos gehören einem Castell an, welches von den Genueser, erbaut wurde. Die Höhle, in welcher Homer seine unsterblichen Gesänge gedichtet haben soll, hat nicht mehr Anspruch auf Echtheit, als an¬ dere Höhlen dieser Gegenden. Das alte Smyrna. welches am Nordabhänge des Pagos gelegen haben mag, ist bis auf einige unförmliche Steinhaufen und einige Spuren seines Theaters verschwunden. Hier und da im Türken- auartier zeigt man wol auch einen antiken Marmorsarg, der jetzt als Wasser- ^'og dient, eine Metamorphose, auf die unsere Poeten Verse machen mögen. Der Bazar, zwischen dem griechischen und türkischen Viertel sich erstreckend, kann dem, der Konstantinopel noch nicht gesehen, durch seine große Aus¬ dehnung und die bunte Fülle seiner Waaren imponiren, aber nur einige seiner Abtheilungen haben noch ihre frühere streng morgenländische Physiognomie, vielen halten Europäer feil, in den meisten überwiegen Fabrikate, die wir "Ach auf unsern Jahrmärkten und Messen antreffen. Der Ton in den fränkischen und griechischen Kreisen ist gutem Vernehmen '^es nicht der Art. daß eine Familie mit deutscher Bildung sich hier wohl suhlen könnte. Smyrna ist vorwiegend Handelsstadt, und so werden die jun- öen Leute sast nur für den Erwerb erzogen, die Knabey für den Erwerb von Geld und Gut, die Mädchen für den Erwerb einer Versorgung durch die Ehe. Man lernt rechnen und gefallen. Bildung des Herzens und des Geschmacks 'se Nebensache. In den Schulen wird außer den Elemcntargegenständen eng- ^sah und französisch Parliren gelehrt und zum Ueberfluß etwas Pianoforte- ^pick. welches seit einigen Jahren in die Mode gekommen ist. Nur das von de» deutschen Diakonissinnen geleitete Institut, welches sich trotz mancher An¬ wendungen des besten Gedeihens erfreut und sowol seiner in der That pracht¬ vollen Einrichtung als seines verständigen Schulplans wegen zu den besten ^ziehungsanstalten der Levante gehört, macht davon eine rühmliche Aus¬ nahme. Bon den Griechen wurde gerühmt, daß sie durchschnittlich schöne Talente zeigten, und man sieht in der That unter den jungen Leuten anf¬ allend viele intelligente Gesichter. Dennoch ist ihre Bildung in der Regel Mangelhaft, Vorurtheil und Aberglaube überall in Schwang. Quacksalber senden selbst unter den Vornehmsten ihre Rechnung. Bücher scheinen nur so ^"ge gelesen zu werden, als man ihrer bedarf, um eine Stelle zu bekommen, ^'e Musik beschränkt sich auf das Abkiimpern von Pieren aus Verdischen ^perlt. Von einer Unterhaltung, wie sie unsere geselligen Zusammenkünfte ^rsehönert und veredelt, ist in Smyrna kaum die Rede. Man sitzt sich ent¬ weder steif gegenüber oder tauscht den gewöhnlichsten Klatsch, die abgegriffen¬ em Gemeinplätze aus. Einige Deutsche haben sich zu einem Gesangverein öusammengethan, er scheint aber noch nicht recht gedeihen zu wollen, andere ereilte haben nur die Interessen der Kaufleute im Auge, und so ist ein Mann Grenzboten III. 1L59. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/223>, abgerufen am 22.07.2024.