Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem die Reisebeschreibungen gewöhnlich von ihr sprechen. Von fern gesehen
erscheint sie dem, der sich ihr zur See nähert, als ein schmuzigrothes un¬
regelmäßiges Viereck, welches sich auf der rechten Seite den Berg hinanzieht,
und hier einige dunkle Striche hat, in denen man später Cyprcsftnhaine er¬
kennt. Nachdem der Ankömmling die flache Landzunge passirt hat, welche
das verfallene türkische Fort Sandschak Kalessi trägt, ändert sich das Bild,
ohne indeß sehr an Gliederung zu gewinnen; auch erscheint die Stadt nicht
so groß als sie mit ihren 140,000 Einwohnern wirklich ist. Man erblickt jetzt
vor sich hinter den Masten und Raaen der Segelschiffe und den Schornsteinen
der Dampfer, welche auf der innern Rhede ankern, einen Halbmond hellfar¬
biger, meist weiß oder rosenroth getünchter, großentheils mit grünen Solen
merläden versehener Häuser, die bis hart ans Ufer reichen, und über deren
Ziegeldächern sich hin und wieder Söllerthmmchen, da und dort gekrönte
Flaggenstangen von Consulaten, seltener die Wipfel von Bäumen erheben.
Gegen die Mitte dieses Stadttheiles hin, in dem wir das Griechen- und
Frankenviertel vor uns haben, tauchen zwei von jenen geschmacklosen weißen
Kirchthürmen auf, mit denen die Architekten des modernen Hellas beweisen,
daß wenigstens sie nichts vom alten geerbt haben, und etwas weiter im Hin¬
tergrunde ragt die Kuppel einer neuerbauten armenischen Kirche empor. Die
Häuser am Ufer sind ohne Ausnahme einstöckig. Bisweilen wird ihre Reihe
von einem hölzernen Schuppen oder Speicher, einer mit grünen Moosflocken
bedeckten Landungsbrücke, einem Bretergenist, in dem sich ein Kaffeehaus be¬
findet, unterbrochen. Auf der äußersten Rechten macht sich eine große roth
und weiß bemalte Kaserne bemerklich. Auf der äußersten Linken biegt die
Bai zu einer schmalen Seidenhunde ein, an deren Ende man ein Dorf mit
mehren Landhäusern erblickt. Hinter dem Griechenviertel mit seinen hellen
Farben steigen die Gassen des Türken- und Iudenquartiers mit ihren düster¬
gefärbten Holzhäusern den Berg hinan. Ueber den dunkelrothen Dächern er¬
heben sich, bald weiß, bald roth und weiß gestreift, die Minarets von Mo¬
scheen, hier und dort bringt ein Gärtchen mit grünen Wipfeln Abwechselung
in das Einerlei, hier und dort streben Haine pappelhoher Cypressen, moham¬
medanische Friedhöfe bezeichnend, aus dem Häusergewirr empor. Nachdem
die Stadt mit den äußersten Häusern dieses Quartiers etwa den dritten Theil
der Höhe des Pagos erklimmt hat, schließt sie mit zwei der größten jener
Cypressenhaine ab. Weiter hinauf ist der Berg vollkommen kahl und erst
sein Gipfel zeigt in den erwähnten Burgruinen wieder Spuren von Gebäuden-

Ich wiederhole: von der Rhede gesehen gibt Smyrna keinen Anlaß,
Begeisterung über seine besondere Schönheit auszubrechen. Anmuthiger und
großartiger erscheint es, von der halben Höhe der Berge im Hintergrund be¬
trachtet, und läßt man von hier das Auge über die ganze Umgebung waw


dem die Reisebeschreibungen gewöhnlich von ihr sprechen. Von fern gesehen
erscheint sie dem, der sich ihr zur See nähert, als ein schmuzigrothes un¬
regelmäßiges Viereck, welches sich auf der rechten Seite den Berg hinanzieht,
und hier einige dunkle Striche hat, in denen man später Cyprcsftnhaine er¬
kennt. Nachdem der Ankömmling die flache Landzunge passirt hat, welche
das verfallene türkische Fort Sandschak Kalessi trägt, ändert sich das Bild,
ohne indeß sehr an Gliederung zu gewinnen; auch erscheint die Stadt nicht
so groß als sie mit ihren 140,000 Einwohnern wirklich ist. Man erblickt jetzt
vor sich hinter den Masten und Raaen der Segelschiffe und den Schornsteinen
der Dampfer, welche auf der innern Rhede ankern, einen Halbmond hellfar¬
biger, meist weiß oder rosenroth getünchter, großentheils mit grünen Solen
merläden versehener Häuser, die bis hart ans Ufer reichen, und über deren
Ziegeldächern sich hin und wieder Söllerthmmchen, da und dort gekrönte
Flaggenstangen von Consulaten, seltener die Wipfel von Bäumen erheben.
Gegen die Mitte dieses Stadttheiles hin, in dem wir das Griechen- und
Frankenviertel vor uns haben, tauchen zwei von jenen geschmacklosen weißen
Kirchthürmen auf, mit denen die Architekten des modernen Hellas beweisen,
daß wenigstens sie nichts vom alten geerbt haben, und etwas weiter im Hin¬
tergrunde ragt die Kuppel einer neuerbauten armenischen Kirche empor. Die
Häuser am Ufer sind ohne Ausnahme einstöckig. Bisweilen wird ihre Reihe
von einem hölzernen Schuppen oder Speicher, einer mit grünen Moosflocken
bedeckten Landungsbrücke, einem Bretergenist, in dem sich ein Kaffeehaus be¬
findet, unterbrochen. Auf der äußersten Rechten macht sich eine große roth
und weiß bemalte Kaserne bemerklich. Auf der äußersten Linken biegt die
Bai zu einer schmalen Seidenhunde ein, an deren Ende man ein Dorf mit
mehren Landhäusern erblickt. Hinter dem Griechenviertel mit seinen hellen
Farben steigen die Gassen des Türken- und Iudenquartiers mit ihren düster¬
gefärbten Holzhäusern den Berg hinan. Ueber den dunkelrothen Dächern er¬
heben sich, bald weiß, bald roth und weiß gestreift, die Minarets von Mo¬
scheen, hier und dort bringt ein Gärtchen mit grünen Wipfeln Abwechselung
in das Einerlei, hier und dort streben Haine pappelhoher Cypressen, moham¬
medanische Friedhöfe bezeichnend, aus dem Häusergewirr empor. Nachdem
die Stadt mit den äußersten Häusern dieses Quartiers etwa den dritten Theil
der Höhe des Pagos erklimmt hat, schließt sie mit zwei der größten jener
Cypressenhaine ab. Weiter hinauf ist der Berg vollkommen kahl und erst
sein Gipfel zeigt in den erwähnten Burgruinen wieder Spuren von Gebäuden-

Ich wiederhole: von der Rhede gesehen gibt Smyrna keinen Anlaß,
Begeisterung über seine besondere Schönheit auszubrechen. Anmuthiger und
großartiger erscheint es, von der halben Höhe der Berge im Hintergrund be¬
trachtet, und läßt man von hier das Auge über die ganze Umgebung waw


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107806"/>
            <p xml:id="ID_691" prev="#ID_690"> dem die Reisebeschreibungen gewöhnlich von ihr sprechen. Von fern gesehen<lb/>
erscheint sie dem, der sich ihr zur See nähert, als ein schmuzigrothes un¬<lb/>
regelmäßiges Viereck, welches sich auf der rechten Seite den Berg hinanzieht,<lb/>
und hier einige dunkle Striche hat, in denen man später Cyprcsftnhaine er¬<lb/>
kennt. Nachdem der Ankömmling die flache Landzunge passirt hat, welche<lb/>
das verfallene türkische Fort Sandschak Kalessi trägt, ändert sich das Bild,<lb/>
ohne indeß sehr an Gliederung zu gewinnen; auch erscheint die Stadt nicht<lb/>
so groß als sie mit ihren 140,000 Einwohnern wirklich ist. Man erblickt jetzt<lb/>
vor sich hinter den Masten und Raaen der Segelschiffe und den Schornsteinen<lb/>
der Dampfer, welche auf der innern Rhede ankern, einen Halbmond hellfar¬<lb/>
biger, meist weiß oder rosenroth getünchter, großentheils mit grünen Solen<lb/>
merläden versehener Häuser, die bis hart ans Ufer reichen, und über deren<lb/>
Ziegeldächern sich hin und wieder Söllerthmmchen, da und dort gekrönte<lb/>
Flaggenstangen von Consulaten, seltener die Wipfel von Bäumen erheben.<lb/>
Gegen die Mitte dieses Stadttheiles hin, in dem wir das Griechen- und<lb/>
Frankenviertel vor uns haben, tauchen zwei von jenen geschmacklosen weißen<lb/>
Kirchthürmen auf, mit denen die Architekten des modernen Hellas beweisen,<lb/>
daß wenigstens sie nichts vom alten geerbt haben, und etwas weiter im Hin¬<lb/>
tergrunde ragt die Kuppel einer neuerbauten armenischen Kirche empor. Die<lb/>
Häuser am Ufer sind ohne Ausnahme einstöckig. Bisweilen wird ihre Reihe<lb/>
von einem hölzernen Schuppen oder Speicher, einer mit grünen Moosflocken<lb/>
bedeckten Landungsbrücke, einem Bretergenist, in dem sich ein Kaffeehaus be¬<lb/>
findet, unterbrochen. Auf der äußersten Rechten macht sich eine große roth<lb/>
und weiß bemalte Kaserne bemerklich. Auf der äußersten Linken biegt die<lb/>
Bai zu einer schmalen Seidenhunde ein, an deren Ende man ein Dorf mit<lb/>
mehren Landhäusern erblickt. Hinter dem Griechenviertel mit seinen hellen<lb/>
Farben steigen die Gassen des Türken- und Iudenquartiers mit ihren düster¬<lb/>
gefärbten Holzhäusern den Berg hinan. Ueber den dunkelrothen Dächern er¬<lb/>
heben sich, bald weiß, bald roth und weiß gestreift, die Minarets von Mo¬<lb/>
scheen, hier und dort bringt ein Gärtchen mit grünen Wipfeln Abwechselung<lb/>
in das Einerlei, hier und dort streben Haine pappelhoher Cypressen, moham¬<lb/>
medanische Friedhöfe bezeichnend, aus dem Häusergewirr empor. Nachdem<lb/>
die Stadt mit den äußersten Häusern dieses Quartiers etwa den dritten Theil<lb/>
der Höhe des Pagos erklimmt hat, schließt sie mit zwei der größten jener<lb/>
Cypressenhaine ab. Weiter hinauf ist der Berg vollkommen kahl und erst<lb/>
sein Gipfel zeigt in den erwähnten Burgruinen wieder Spuren von Gebäuden-</p><lb/>
            <p xml:id="ID_692" next="#ID_693"> Ich wiederhole: von der Rhede gesehen gibt Smyrna keinen Anlaß,<lb/>
Begeisterung über seine besondere Schönheit auszubrechen.  Anmuthiger und<lb/>
großartiger erscheint es, von der halben Höhe der Berge im Hintergrund be¬<lb/>
trachtet, und läßt man von hier das Auge über die ganze Umgebung waw</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] dem die Reisebeschreibungen gewöhnlich von ihr sprechen. Von fern gesehen erscheint sie dem, der sich ihr zur See nähert, als ein schmuzigrothes un¬ regelmäßiges Viereck, welches sich auf der rechten Seite den Berg hinanzieht, und hier einige dunkle Striche hat, in denen man später Cyprcsftnhaine er¬ kennt. Nachdem der Ankömmling die flache Landzunge passirt hat, welche das verfallene türkische Fort Sandschak Kalessi trägt, ändert sich das Bild, ohne indeß sehr an Gliederung zu gewinnen; auch erscheint die Stadt nicht so groß als sie mit ihren 140,000 Einwohnern wirklich ist. Man erblickt jetzt vor sich hinter den Masten und Raaen der Segelschiffe und den Schornsteinen der Dampfer, welche auf der innern Rhede ankern, einen Halbmond hellfar¬ biger, meist weiß oder rosenroth getünchter, großentheils mit grünen Solen merläden versehener Häuser, die bis hart ans Ufer reichen, und über deren Ziegeldächern sich hin und wieder Söllerthmmchen, da und dort gekrönte Flaggenstangen von Consulaten, seltener die Wipfel von Bäumen erheben. Gegen die Mitte dieses Stadttheiles hin, in dem wir das Griechen- und Frankenviertel vor uns haben, tauchen zwei von jenen geschmacklosen weißen Kirchthürmen auf, mit denen die Architekten des modernen Hellas beweisen, daß wenigstens sie nichts vom alten geerbt haben, und etwas weiter im Hin¬ tergrunde ragt die Kuppel einer neuerbauten armenischen Kirche empor. Die Häuser am Ufer sind ohne Ausnahme einstöckig. Bisweilen wird ihre Reihe von einem hölzernen Schuppen oder Speicher, einer mit grünen Moosflocken bedeckten Landungsbrücke, einem Bretergenist, in dem sich ein Kaffeehaus be¬ findet, unterbrochen. Auf der äußersten Rechten macht sich eine große roth und weiß bemalte Kaserne bemerklich. Auf der äußersten Linken biegt die Bai zu einer schmalen Seidenhunde ein, an deren Ende man ein Dorf mit mehren Landhäusern erblickt. Hinter dem Griechenviertel mit seinen hellen Farben steigen die Gassen des Türken- und Iudenquartiers mit ihren düster¬ gefärbten Holzhäusern den Berg hinan. Ueber den dunkelrothen Dächern er¬ heben sich, bald weiß, bald roth und weiß gestreift, die Minarets von Mo¬ scheen, hier und dort bringt ein Gärtchen mit grünen Wipfeln Abwechselung in das Einerlei, hier und dort streben Haine pappelhoher Cypressen, moham¬ medanische Friedhöfe bezeichnend, aus dem Häusergewirr empor. Nachdem die Stadt mit den äußersten Häusern dieses Quartiers etwa den dritten Theil der Höhe des Pagos erklimmt hat, schließt sie mit zwei der größten jener Cypressenhaine ab. Weiter hinauf ist der Berg vollkommen kahl und erst sein Gipfel zeigt in den erwähnten Burgruinen wieder Spuren von Gebäuden- Ich wiederhole: von der Rhede gesehen gibt Smyrna keinen Anlaß, Begeisterung über seine besondere Schönheit auszubrechen. Anmuthiger und großartiger erscheint es, von der halben Höhe der Berge im Hintergrund be¬ trachtet, und läßt man von hier das Auge über die ganze Umgebung waw

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/220>, abgerufen am 25.08.2024.