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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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miliano übersetzen, der mich nach Smyrna bringen sollte. Die See war noch
immer sehr bewegt, und die vor uns nach Konstantinopel abgehende Kalkutta
gab uns durch ihren Kampf mit den Wogen einen Vorgeschmack dessen, was
uns erwartete. Um die Eilande neben unserm Wege lagerte dicker grauer
Nebel, in dem kaum ihre Umrisse zu erkennen waren, und die schwarzblauen
Wellen erhoben ihre weißen Schaumkronen zu so drohender Höhe, daß selbst
der eine Schiffslieutenant zweifelte, ob wir die Abfahrt wagen könnten. Der
andere meinte wenigstens, dann wurden wir einen Nothhafen suchen müssen. Der
Capitän aber kehrte sich, als seine Zeit gekommen, nicht an Wind und Nebel;
unerschrocken fuhr er, selbst ans Steuerrad tretend, in die dunstverhüllte Straße
hinein, die Tinos von Mykonos trennt, und obwol das Nasen des Orkans,
als wir den Hafen verlassen, furchtbarer war, als ichs je auf dem atlan¬
tischen Meer erlebt, obwol die Seiten des Schiffes von den Schweifen der
Wogen wiederholt Schläge bekamen, von denen man hätte glauben sollen,
sie müßten ihm Rippen und Rückgrat brechen, sahen wir uns am Morgen
ohne Schaden gelitten zu haben auf der Rhede von Chios, deren Umgebung
"ut ihren schöngeformten Bergen, ihren buntfarbigen zerstreut liegenden Ort¬
schaften und ihren in verschiedene Schattirungen von Grün gekleideten Hainen
von Oliven-, Orangen- und Feigenbäumen, Cypressen und Platanen, Mastix¬
uno Mandelsträuchern sich um so anmuthiger ausnahm, als der Nebel der
Nacht dem heitersten Himmel gewichen war.

Nach kurzem Aufenthalt fuhren wir weiter, gegen acht Uhr öffnete sich
vor uns die Bai von Smyrna, und bald nach Mittag warf der Massimi-
lwno vor der Königin von Anatolien selbst Anker. Die Bai mit den sie um¬
gebenden Höhenzügen gehört zu den prachtvollsten Küstenbildcrn der Levante.
Die Berge, namentlich die zur Rechten, wo die spitzen Fratelli sich dunkel¬
bewaldet und voll wilder Schluchten mehr als dreitausend Fuß über die See
Theben, so wie die im Hintergrunde, wo die kahlen Seiten des schroffen Si-
pylos uns sonnebcschienen entgcgenleuchten und der breithingelagerte Pagos,
das Haupt mit einer Burgruine gekrönt, als König dieser stolzen Gipfel auf
Uns herniederschaut, machen einen überwältigenden Eindruck. Zahlreiche Sei¬
tenbuchten bringen Gliederung und Abwechselung in das Panorama. Grüne
^trandcbenen, auf denen Dörfer und einzelne Häuser mit weißen Wänden
und rothen Dächern aus frischen Wiesen und Gebüschen von grauen Oel-
bäumen, weißlich glitzernden Silberpappeln, schwarzen Cypressen und grünen
^langenbäumen hervorblicken, bilden einen anmuthreichen Saum um die bald
dunkelblau, bald weinroth und an den seichten Stellen apfelgrün schimmernde
Aäche der Meerflut, die, als wir sie durchfurchten, ruhig wie der Spiegel
^nes Landsecs sich um uns ausbreitete.

Weniger rechtfertigt der Anblick der Stadt selbst den Enthusiasmus, mit


miliano übersetzen, der mich nach Smyrna bringen sollte. Die See war noch
immer sehr bewegt, und die vor uns nach Konstantinopel abgehende Kalkutta
gab uns durch ihren Kampf mit den Wogen einen Vorgeschmack dessen, was
uns erwartete. Um die Eilande neben unserm Wege lagerte dicker grauer
Nebel, in dem kaum ihre Umrisse zu erkennen waren, und die schwarzblauen
Wellen erhoben ihre weißen Schaumkronen zu so drohender Höhe, daß selbst
der eine Schiffslieutenant zweifelte, ob wir die Abfahrt wagen könnten. Der
andere meinte wenigstens, dann wurden wir einen Nothhafen suchen müssen. Der
Capitän aber kehrte sich, als seine Zeit gekommen, nicht an Wind und Nebel;
unerschrocken fuhr er, selbst ans Steuerrad tretend, in die dunstverhüllte Straße
hinein, die Tinos von Mykonos trennt, und obwol das Nasen des Orkans,
als wir den Hafen verlassen, furchtbarer war, als ichs je auf dem atlan¬
tischen Meer erlebt, obwol die Seiten des Schiffes von den Schweifen der
Wogen wiederholt Schläge bekamen, von denen man hätte glauben sollen,
sie müßten ihm Rippen und Rückgrat brechen, sahen wir uns am Morgen
ohne Schaden gelitten zu haben auf der Rhede von Chios, deren Umgebung
»ut ihren schöngeformten Bergen, ihren buntfarbigen zerstreut liegenden Ort¬
schaften und ihren in verschiedene Schattirungen von Grün gekleideten Hainen
von Oliven-, Orangen- und Feigenbäumen, Cypressen und Platanen, Mastix¬
uno Mandelsträuchern sich um so anmuthiger ausnahm, als der Nebel der
Nacht dem heitersten Himmel gewichen war.

Nach kurzem Aufenthalt fuhren wir weiter, gegen acht Uhr öffnete sich
vor uns die Bai von Smyrna, und bald nach Mittag warf der Massimi-
lwno vor der Königin von Anatolien selbst Anker. Die Bai mit den sie um¬
gebenden Höhenzügen gehört zu den prachtvollsten Küstenbildcrn der Levante.
Die Berge, namentlich die zur Rechten, wo die spitzen Fratelli sich dunkel¬
bewaldet und voll wilder Schluchten mehr als dreitausend Fuß über die See
Theben, so wie die im Hintergrunde, wo die kahlen Seiten des schroffen Si-
pylos uns sonnebcschienen entgcgenleuchten und der breithingelagerte Pagos,
das Haupt mit einer Burgruine gekrönt, als König dieser stolzen Gipfel auf
Uns herniederschaut, machen einen überwältigenden Eindruck. Zahlreiche Sei¬
tenbuchten bringen Gliederung und Abwechselung in das Panorama. Grüne
^trandcbenen, auf denen Dörfer und einzelne Häuser mit weißen Wänden
und rothen Dächern aus frischen Wiesen und Gebüschen von grauen Oel-
bäumen, weißlich glitzernden Silberpappeln, schwarzen Cypressen und grünen
^langenbäumen hervorblicken, bilden einen anmuthreichen Saum um die bald
dunkelblau, bald weinroth und an den seichten Stellen apfelgrün schimmernde
Aäche der Meerflut, die, als wir sie durchfurchten, ruhig wie der Spiegel
^nes Landsecs sich um uns ausbreitete.

Weniger rechtfertigt der Anblick der Stadt selbst den Enthusiasmus, mit


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[0219] miliano übersetzen, der mich nach Smyrna bringen sollte. Die See war noch immer sehr bewegt, und die vor uns nach Konstantinopel abgehende Kalkutta gab uns durch ihren Kampf mit den Wogen einen Vorgeschmack dessen, was uns erwartete. Um die Eilande neben unserm Wege lagerte dicker grauer Nebel, in dem kaum ihre Umrisse zu erkennen waren, und die schwarzblauen Wellen erhoben ihre weißen Schaumkronen zu so drohender Höhe, daß selbst der eine Schiffslieutenant zweifelte, ob wir die Abfahrt wagen könnten. Der andere meinte wenigstens, dann wurden wir einen Nothhafen suchen müssen. Der Capitän aber kehrte sich, als seine Zeit gekommen, nicht an Wind und Nebel; unerschrocken fuhr er, selbst ans Steuerrad tretend, in die dunstverhüllte Straße hinein, die Tinos von Mykonos trennt, und obwol das Nasen des Orkans, als wir den Hafen verlassen, furchtbarer war, als ichs je auf dem atlan¬ tischen Meer erlebt, obwol die Seiten des Schiffes von den Schweifen der Wogen wiederholt Schläge bekamen, von denen man hätte glauben sollen, sie müßten ihm Rippen und Rückgrat brechen, sahen wir uns am Morgen ohne Schaden gelitten zu haben auf der Rhede von Chios, deren Umgebung »ut ihren schöngeformten Bergen, ihren buntfarbigen zerstreut liegenden Ort¬ schaften und ihren in verschiedene Schattirungen von Grün gekleideten Hainen von Oliven-, Orangen- und Feigenbäumen, Cypressen und Platanen, Mastix¬ uno Mandelsträuchern sich um so anmuthiger ausnahm, als der Nebel der Nacht dem heitersten Himmel gewichen war. Nach kurzem Aufenthalt fuhren wir weiter, gegen acht Uhr öffnete sich vor uns die Bai von Smyrna, und bald nach Mittag warf der Massimi- lwno vor der Königin von Anatolien selbst Anker. Die Bai mit den sie um¬ gebenden Höhenzügen gehört zu den prachtvollsten Küstenbildcrn der Levante. Die Berge, namentlich die zur Rechten, wo die spitzen Fratelli sich dunkel¬ bewaldet und voll wilder Schluchten mehr als dreitausend Fuß über die See Theben, so wie die im Hintergrunde, wo die kahlen Seiten des schroffen Si- pylos uns sonnebcschienen entgcgenleuchten und der breithingelagerte Pagos, das Haupt mit einer Burgruine gekrönt, als König dieser stolzen Gipfel auf Uns herniederschaut, machen einen überwältigenden Eindruck. Zahlreiche Sei¬ tenbuchten bringen Gliederung und Abwechselung in das Panorama. Grüne ^trandcbenen, auf denen Dörfer und einzelne Häuser mit weißen Wänden und rothen Dächern aus frischen Wiesen und Gebüschen von grauen Oel- bäumen, weißlich glitzernden Silberpappeln, schwarzen Cypressen und grünen ^langenbäumen hervorblicken, bilden einen anmuthreichen Saum um die bald dunkelblau, bald weinroth und an den seichten Stellen apfelgrün schimmernde Aäche der Meerflut, die, als wir sie durchfurchten, ruhig wie der Spiegel ^nes Landsecs sich um uns ausbreitete. Weniger rechtfertigt der Anblick der Stadt selbst den Enthusiasmus, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/219>, abgerufen am 22.07.2024.