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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Interesse am Gewinn, so wie die Nothwendigfeit, sich durch Requisition in
entfernten Gegenden zu erhalten, entwickelte den Parteigängerdienst zu großer
Vollkommenheit. Es gab nicht nur ganze Truppentheile, welche bei den Armeen
en Dienst der Streifcorps verrichteten, z. B. Holt bei der kaiserlichen, auch
einzelnen Compagnieführer wählten die gewandtesten Leute zu diesem ge¬
winnreichen Geschüft. Das "Parteimachen" -- der Auszug zu einer geheimen
Spedition -- mußte in ungerader Zahl geschehen, wenn es Glück bringen
^>te. Solche Parteien schlichen sich tief in das Land hinein, das Haus eines
wichen Mannes zu plündern, eine kleine Stadt zu überfallen, Waaren- oder
^eldtransporte aufzufangen, Vieh und Lebensmittel heranzuführen. Mit feind¬
lichen Streifcorps in der Nähe ward zuweilen ein Abkommen getroffen, was
gemeinsamen Bereich zu schonen sei. Jede Art von List ward bei solchen
Zügen geübt, man wußte den Knall des schweren Geschützes hervorzubringen,
'"dem man Handgewehre mit doppelter Ladung durch eine leere Tonne schoß,
'"an benutzte Schuhe mit verkehrten Sohlen, ließ den Pferden die Hufeisen
verkehrt anschlagen, den gestohlenen Kühen wurden Schuhe übergezogen, den
Schweinen im Futter ein Schwamm eingegeben, an welchem ein Bindfaden
^festigt war. Die Soldaten verkleideten sich in Bauern, in Frauen, und be¬
zahlten unter den Bürgern und Landleuten der Umgegend Spione, Boten,
^fen. mit Kundschasterzetteln, die in der Lagersprache "Feldtauben" hießen,
^in und her, sie trugen ihre Briefe als Kügelchen zusammengerollt im Ohr,
banden sie in das Haar zottiger Hunde, drückten sie in eine Erdscholle oder
"adler sie mit grüner Seide zwischen die Blätter eines Eichcnzweigs, um sie
'" der Noth ohne Verdacht wegzuwerfen.*) Die Zettel waren in Rothwelsch
"der Kauderwelsch geschrieben, mit fremden Lettern, wenn verlaufene Stuben-
^" bei der Compagnie waren, vielleicht gar französisch mit griechischen Buch-
^ben; man übte sich zu solchem Zweck in einfacher Geheimschrift, indem man
die Buchstaben der Wörter verstellte, oder verabredete, daß in jedem Worte
"Ur der mittlere Buchstabe gelten sollte, u. s. w.**) Leicht war der Uebergang
^"n solchem Parteigüngerdienst zum unehrenhaften Lungern des Marodeurs
"ut Freibeuters. In der ersten Hälfte des Krieges war ein neugeworbenes
Regiment des Grasen Marode***) durch angestrengte Märsche und schlechte Ver-
^gnug ^ heruntergekommen, daß es kaum seine Fahnenwache besetzen konnte.
^ löste sich auf dem Marsche fast ganz in Nachzügler auf, die an den Zän-
^r> und Hecken lagen, mit defecten Waffen und ohne Ordnung um die Armee
^umschlichen. Seit der Zeit wurden die Nachzügler, welche der Soldatenwitz
^her^Sausänger und Jmnicnschneider (Drohnen) genannt hatte, als "Marode-





') Philander v. Sittewaldt, Soldatenleben.
Moscherosch und Grimmelshausen a. v. O.
Simplicissimus I. 4. 13. -- Wenigstens ist das die gewöhnliche Erklärung des Worts

Interesse am Gewinn, so wie die Nothwendigfeit, sich durch Requisition in
entfernten Gegenden zu erhalten, entwickelte den Parteigängerdienst zu großer
Vollkommenheit. Es gab nicht nur ganze Truppentheile, welche bei den Armeen
en Dienst der Streifcorps verrichteten, z. B. Holt bei der kaiserlichen, auch
einzelnen Compagnieführer wählten die gewandtesten Leute zu diesem ge¬
winnreichen Geschüft. Das „Parteimachen" — der Auszug zu einer geheimen
Spedition — mußte in ungerader Zahl geschehen, wenn es Glück bringen
^>te. Solche Parteien schlichen sich tief in das Land hinein, das Haus eines
wichen Mannes zu plündern, eine kleine Stadt zu überfallen, Waaren- oder
^eldtransporte aufzufangen, Vieh und Lebensmittel heranzuführen. Mit feind¬
lichen Streifcorps in der Nähe ward zuweilen ein Abkommen getroffen, was
gemeinsamen Bereich zu schonen sei. Jede Art von List ward bei solchen
Zügen geübt, man wußte den Knall des schweren Geschützes hervorzubringen,
'"dem man Handgewehre mit doppelter Ladung durch eine leere Tonne schoß,
'"an benutzte Schuhe mit verkehrten Sohlen, ließ den Pferden die Hufeisen
verkehrt anschlagen, den gestohlenen Kühen wurden Schuhe übergezogen, den
Schweinen im Futter ein Schwamm eingegeben, an welchem ein Bindfaden
^festigt war. Die Soldaten verkleideten sich in Bauern, in Frauen, und be¬
zahlten unter den Bürgern und Landleuten der Umgegend Spione, Boten,
^fen. mit Kundschasterzetteln, die in der Lagersprache „Feldtauben" hießen,
^in und her, sie trugen ihre Briefe als Kügelchen zusammengerollt im Ohr,
banden sie in das Haar zottiger Hunde, drückten sie in eine Erdscholle oder
"adler sie mit grüner Seide zwischen die Blätter eines Eichcnzweigs, um sie
'" der Noth ohne Verdacht wegzuwerfen.*) Die Zettel waren in Rothwelsch
"der Kauderwelsch geschrieben, mit fremden Lettern, wenn verlaufene Stuben-
^» bei der Compagnie waren, vielleicht gar französisch mit griechischen Buch-
^ben; man übte sich zu solchem Zweck in einfacher Geheimschrift, indem man
die Buchstaben der Wörter verstellte, oder verabredete, daß in jedem Worte
"Ur der mittlere Buchstabe gelten sollte, u. s. w.**) Leicht war der Uebergang
^"n solchem Parteigüngerdienst zum unehrenhaften Lungern des Marodeurs
"ut Freibeuters. In der ersten Hälfte des Krieges war ein neugeworbenes
Regiment des Grasen Marode***) durch angestrengte Märsche und schlechte Ver-
^gnug ^ heruntergekommen, daß es kaum seine Fahnenwache besetzen konnte.
^ löste sich auf dem Marsche fast ganz in Nachzügler auf, die an den Zän-
^r> und Hecken lagen, mit defecten Waffen und ohne Ordnung um die Armee
^umschlichen. Seit der Zeit wurden die Nachzügler, welche der Soldatenwitz
^her^Sausänger und Jmnicnschneider (Drohnen) genannt hatte, als „Marode-





') Philander v. Sittewaldt, Soldatenleben.
Moscherosch und Grimmelshausen a. v. O.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/211>, abgerufen am 28.12.2024.