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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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den Soldaten ausgezahlt. Noch schlimmer waren die Unterbefehlshaber daran.
Nicht selten brach offene Meuterei aus, dann setzten die Empörer Oberst
und Hauptleute ab und wählten sich Führer aus ihrer Mitte. Dergleichen
geschah in Ungarn. Ja es ereignete sich noch während des Waffenstillstan¬
des, der dem westphälischen Frieden vorausging, daß in einem bairischen
Dragonerregiment ein Corpora! der Garnison von Hilperstein sich zum Obersten
des Regiments ernannte, und mit seinem Anhang die Offiziere wegjagte; das
Regiment wurde durch commandirte Völker umringt, der neue Oberst mit acht¬
zehn ansehnlichen Rebellen gerichtet, dem Regiment die Musketen genommen,
es mußte von neuem schwören und wurde als Reiterregiment neu formirt.*)
Gewöhnlicher Grund der Meuterei war Ausbleiben des Soldes. Dann.wur¬
den in der höchsten Noth Anleihen zu Wucherzinsen gemacht, um die Sol¬
daten zu befriedigen. Im Jahr 1620, dem geld- und kopflosen böhmischen
Sommer, meuterte das Regiment des Grafen Thurn. Der ehrliche alte Herr
beruhigte durch eine Abschlagzahlung, die er bei den Marketendern endlich,
und weinte darauf bitterlich über die üble Regierung und vieles Andre. Zu
derselben Zeit meuterte das Regiment des Grafen Mansfeld. Dieser begann
seine Zahlung, indem er aus dem Zelt trat und mit eigner Hand zwei Sol¬
daten niederhieb, viele schwer verwundete, worauf er sich zu Pferde feste,
unter die Meuterer sprengte, und wieder mehrere erschoß. Er allein mit drei
Hauptleuten brach den Trotz von 600 Mann, nachdem er 11 getödtet, 26
schwer verwundet hatte. Wenn sür militärischen Befehl noch leidlicher Gehorsam
gefunden wurde, während die Fahne flatterte, so kam doch aller Groll zu
lautem Ausbruch, so oft die Fahne abgerissen und das Regiment abgedankt
n^urbe. Dann verbarg sich der Profoß, der Hurenweibel und die Stecken-
^Nechte; Hauptmann, Lieutenant und die untern Befehlshaber mußten Schimpf-
^eden und Herausforderungen ertragen, und sich sagen lassen: "Ha, Kerl, du
bist mein Befehlshaber gewesen, jetzt bist du nicht ein Haar besser als ich,
^n Pfund deiner Haare gilt mir nicht mehr, als ein Pfund Baumwolle;
heraus, raufe dich mit mir!""") So hatten die Befehlshaber bei jeder Straf¬
handlung die spätere Rache des Missethäters und seiner Freunde zu fürchten,
lind wie mit den Offizieren, haderten die Entlassener auch untereinander, dann
fanden auf einem Platz wol an die hundert Parteien im Zweikampf, die
leichtfertigsten Mordthaten und Todtschläge wurden verübt, die sonst nicht er¬
hört waren, so lange die Christenheit steht. Denn es war Brauch, daß die
Streitenden, während die Fahne wehte, einander die Hände gaben und ge-
lobten, ihren Zwist am Ende der Dienstzeit auszufechten und bis dahin als
Brüder in Liebe miteinander zu leben. Bei solcher Abdankung rotteten sich




") Grimmelshcmsen, Springinsfeld.
WMHausen, Kriegskunst zu Fuß, S. 20.
17*

den Soldaten ausgezahlt. Noch schlimmer waren die Unterbefehlshaber daran.
Nicht selten brach offene Meuterei aus, dann setzten die Empörer Oberst
und Hauptleute ab und wählten sich Führer aus ihrer Mitte. Dergleichen
geschah in Ungarn. Ja es ereignete sich noch während des Waffenstillstan¬
des, der dem westphälischen Frieden vorausging, daß in einem bairischen
Dragonerregiment ein Corpora! der Garnison von Hilperstein sich zum Obersten
des Regiments ernannte, und mit seinem Anhang die Offiziere wegjagte; das
Regiment wurde durch commandirte Völker umringt, der neue Oberst mit acht¬
zehn ansehnlichen Rebellen gerichtet, dem Regiment die Musketen genommen,
es mußte von neuem schwören und wurde als Reiterregiment neu formirt.*)
Gewöhnlicher Grund der Meuterei war Ausbleiben des Soldes. Dann.wur¬
den in der höchsten Noth Anleihen zu Wucherzinsen gemacht, um die Sol¬
daten zu befriedigen. Im Jahr 1620, dem geld- und kopflosen böhmischen
Sommer, meuterte das Regiment des Grafen Thurn. Der ehrliche alte Herr
beruhigte durch eine Abschlagzahlung, die er bei den Marketendern endlich,
und weinte darauf bitterlich über die üble Regierung und vieles Andre. Zu
derselben Zeit meuterte das Regiment des Grafen Mansfeld. Dieser begann
seine Zahlung, indem er aus dem Zelt trat und mit eigner Hand zwei Sol¬
daten niederhieb, viele schwer verwundete, worauf er sich zu Pferde feste,
unter die Meuterer sprengte, und wieder mehrere erschoß. Er allein mit drei
Hauptleuten brach den Trotz von 600 Mann, nachdem er 11 getödtet, 26
schwer verwundet hatte. Wenn sür militärischen Befehl noch leidlicher Gehorsam
gefunden wurde, während die Fahne flatterte, so kam doch aller Groll zu
lautem Ausbruch, so oft die Fahne abgerissen und das Regiment abgedankt
n^urbe. Dann verbarg sich der Profoß, der Hurenweibel und die Stecken-
^Nechte; Hauptmann, Lieutenant und die untern Befehlshaber mußten Schimpf-
^eden und Herausforderungen ertragen, und sich sagen lassen: „Ha, Kerl, du
bist mein Befehlshaber gewesen, jetzt bist du nicht ein Haar besser als ich,
^n Pfund deiner Haare gilt mir nicht mehr, als ein Pfund Baumwolle;
heraus, raufe dich mit mir!""") So hatten die Befehlshaber bei jeder Straf¬
handlung die spätere Rache des Missethäters und seiner Freunde zu fürchten,
lind wie mit den Offizieren, haderten die Entlassener auch untereinander, dann
fanden auf einem Platz wol an die hundert Parteien im Zweikampf, die
leichtfertigsten Mordthaten und Todtschläge wurden verübt, die sonst nicht er¬
hört waren, so lange die Christenheit steht. Denn es war Brauch, daß die
Streitenden, während die Fahne wehte, einander die Hände gaben und ge-
lobten, ihren Zwist am Ende der Dienstzeit auszufechten und bis dahin als
Brüder in Liebe miteinander zu leben. Bei solcher Abdankung rotteten sich




") Grimmelshcmsen, Springinsfeld.
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[0145] den Soldaten ausgezahlt. Noch schlimmer waren die Unterbefehlshaber daran. Nicht selten brach offene Meuterei aus, dann setzten die Empörer Oberst und Hauptleute ab und wählten sich Führer aus ihrer Mitte. Dergleichen geschah in Ungarn. Ja es ereignete sich noch während des Waffenstillstan¬ des, der dem westphälischen Frieden vorausging, daß in einem bairischen Dragonerregiment ein Corpora! der Garnison von Hilperstein sich zum Obersten des Regiments ernannte, und mit seinem Anhang die Offiziere wegjagte; das Regiment wurde durch commandirte Völker umringt, der neue Oberst mit acht¬ zehn ansehnlichen Rebellen gerichtet, dem Regiment die Musketen genommen, es mußte von neuem schwören und wurde als Reiterregiment neu formirt.*) Gewöhnlicher Grund der Meuterei war Ausbleiben des Soldes. Dann.wur¬ den in der höchsten Noth Anleihen zu Wucherzinsen gemacht, um die Sol¬ daten zu befriedigen. Im Jahr 1620, dem geld- und kopflosen böhmischen Sommer, meuterte das Regiment des Grafen Thurn. Der ehrliche alte Herr beruhigte durch eine Abschlagzahlung, die er bei den Marketendern endlich, und weinte darauf bitterlich über die üble Regierung und vieles Andre. Zu derselben Zeit meuterte das Regiment des Grafen Mansfeld. Dieser begann seine Zahlung, indem er aus dem Zelt trat und mit eigner Hand zwei Sol¬ daten niederhieb, viele schwer verwundete, worauf er sich zu Pferde feste, unter die Meuterer sprengte, und wieder mehrere erschoß. Er allein mit drei Hauptleuten brach den Trotz von 600 Mann, nachdem er 11 getödtet, 26 schwer verwundet hatte. Wenn sür militärischen Befehl noch leidlicher Gehorsam gefunden wurde, während die Fahne flatterte, so kam doch aller Groll zu lautem Ausbruch, so oft die Fahne abgerissen und das Regiment abgedankt n^urbe. Dann verbarg sich der Profoß, der Hurenweibel und die Stecken- ^Nechte; Hauptmann, Lieutenant und die untern Befehlshaber mußten Schimpf- ^eden und Herausforderungen ertragen, und sich sagen lassen: „Ha, Kerl, du bist mein Befehlshaber gewesen, jetzt bist du nicht ein Haar besser als ich, ^n Pfund deiner Haare gilt mir nicht mehr, als ein Pfund Baumwolle; heraus, raufe dich mit mir!""") So hatten die Befehlshaber bei jeder Straf¬ handlung die spätere Rache des Missethäters und seiner Freunde zu fürchten, lind wie mit den Offizieren, haderten die Entlassener auch untereinander, dann fanden auf einem Platz wol an die hundert Parteien im Zweikampf, die leichtfertigsten Mordthaten und Todtschläge wurden verübt, die sonst nicht er¬ hört waren, so lange die Christenheit steht. Denn es war Brauch, daß die Streitenden, während die Fahne wehte, einander die Hände gaben und ge- lobten, ihren Zwist am Ende der Dienstzeit auszufechten und bis dahin als Brüder in Liebe miteinander zu leben. Bei solcher Abdankung rotteten sich ") Grimmelshcmsen, Springinsfeld. WMHausen, Kriegskunst zu Fuß, S. 20. 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/145>, abgerufen am 22.07.2024.