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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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bezeichnen, der Verfasser unsres Buch findet darin nur eine Aeußerung des
gemüthlichen Strebens, sich und andern das Leben angenehm zu machen.
N"es erfreulicher gibt sich dieses Bestreben durch die Höflichkeit und Gefällig¬
keit sunt, der man allenthalben begegnet. In jeder Hütte wird man artig
empfangen und über das, was man zu erfahren wünscht, nach bestem Wissen
belehrt. Fragt man auf der Straße einen Vorübergehenden nach der Entfer¬
nung eines Ortes, dem man zustrebt, so hört man häusig die Aeußerung:
das ist allerdings noch so und so weit, als wollte der Antwortende zugleich
sein Mttleid mit den geplagten Füßen des Wanderers ausdrücken. Nirgend
"halt man einen Bescheid, bei dem man durchhört, daß er ungern ertheilt
wird. Ein kurz angebundener oder gar ein grober Gesell ist hier seltner an¬
zutreffen, als in manchen südbaierischen oder norddeutschen Orten ein im säch¬
sischen Sinne artiger.

Eine andere Aeußerung obererzgebirgischer Gemüthlichkeit sieht der Ver¬
fasser in der Verträglichkeit, die es allein möglich macht, wenn hier ein einzi¬
ger Raum mehre Haushaltungen beherbergt. Ferner beweist der Erzgebirger
seine Gemüthlichkeit durch seine große Anhänglichkeit an die Heimath. Der
Schweizer, der Tiroler, der Norweger, der Thüringer fühlt in der Fremde auch
Heimweh, aber dennoch wandern von allen diesen Gebirgsbewohnern viele
"us, wenn das Leben daheim zu knapp wird. Auf dem Erzgebirge dagegen
denkt man trotz Hunger und Kummer nur äußerst selten an ein Verlassen der
Scholle, auf der man geboren ist. Nicht einmal von einer Uebersiedlung in
eine andere deutsche Gegend will das Volk etwas hören, ja selbst ins Unter-
land. d. h. in das ebne Sachsen, zu ziehen trügt man Scheu. Nur ungern
läßt sich ein Bergmann für die gutlohnende Arbeit in den zwickauer Kohlen¬
schachten anwerben, und selten hält er es lange daselbst aus, und zwar nicht
bins deshalb, weil in seinen Augen ein Kohlengräber geringer ist, als ein Erz-
Kl'über. Zu der Dienstbotenschar der großen Städte der Ebne stellt das Erz¬
gebirge das geringste Contingent. Man befindet sich trotz aller Noth einmal
wohler zu Hause, glaubt hier sein Leben besser genießen zu können. "Es geht
^Ut nit immer beim Besten, aber gemiedlich ists doch aufm Arzgebarg," ist
^'ne Rede, die man oft hören kann.

Und wirklich, die Erzgebirger leisten in der Kunst, des Harms zu vergessen,
bedeutendes. Sie sind deshalb nicht als ein Volk aufzufassen, das leichtsinnig
"ud sorglos in den Tag hineinlebt. Sie wissen im Gegentheil sehr wohl,
^ß.jede Mißernte, jede Handelskrise ihnen das bitterste Elend bringen muß.
Oberste wissen zugleich, daß man sich in dieser ernsten Welt auch gelegentlich,
^"d zwar so oft es angeht, ein Vergnügen machen muß, und da dies bei ihren
geringen Ansprüchen sehr oft angeht, so sind sie in der That ein recht lustiges
Glieder. Oberwiesenthal ist eines der armseligsten Oertchen der Welt; dennoch


bezeichnen, der Verfasser unsres Buch findet darin nur eine Aeußerung des
gemüthlichen Strebens, sich und andern das Leben angenehm zu machen.
N"es erfreulicher gibt sich dieses Bestreben durch die Höflichkeit und Gefällig¬
keit sunt, der man allenthalben begegnet. In jeder Hütte wird man artig
empfangen und über das, was man zu erfahren wünscht, nach bestem Wissen
belehrt. Fragt man auf der Straße einen Vorübergehenden nach der Entfer¬
nung eines Ortes, dem man zustrebt, so hört man häusig die Aeußerung:
das ist allerdings noch so und so weit, als wollte der Antwortende zugleich
sein Mttleid mit den geplagten Füßen des Wanderers ausdrücken. Nirgend
«halt man einen Bescheid, bei dem man durchhört, daß er ungern ertheilt
wird. Ein kurz angebundener oder gar ein grober Gesell ist hier seltner an¬
zutreffen, als in manchen südbaierischen oder norddeutschen Orten ein im säch¬
sischen Sinne artiger.

Eine andere Aeußerung obererzgebirgischer Gemüthlichkeit sieht der Ver¬
fasser in der Verträglichkeit, die es allein möglich macht, wenn hier ein einzi¬
ger Raum mehre Haushaltungen beherbergt. Ferner beweist der Erzgebirger
seine Gemüthlichkeit durch seine große Anhänglichkeit an die Heimath. Der
Schweizer, der Tiroler, der Norweger, der Thüringer fühlt in der Fremde auch
Heimweh, aber dennoch wandern von allen diesen Gebirgsbewohnern viele
"us, wenn das Leben daheim zu knapp wird. Auf dem Erzgebirge dagegen
denkt man trotz Hunger und Kummer nur äußerst selten an ein Verlassen der
Scholle, auf der man geboren ist. Nicht einmal von einer Uebersiedlung in
eine andere deutsche Gegend will das Volk etwas hören, ja selbst ins Unter-
land. d. h. in das ebne Sachsen, zu ziehen trügt man Scheu. Nur ungern
läßt sich ein Bergmann für die gutlohnende Arbeit in den zwickauer Kohlen¬
schachten anwerben, und selten hält er es lange daselbst aus, und zwar nicht
bins deshalb, weil in seinen Augen ein Kohlengräber geringer ist, als ein Erz-
Kl'über. Zu der Dienstbotenschar der großen Städte der Ebne stellt das Erz¬
gebirge das geringste Contingent. Man befindet sich trotz aller Noth einmal
wohler zu Hause, glaubt hier sein Leben besser genießen zu können. „Es geht
^Ut nit immer beim Besten, aber gemiedlich ists doch aufm Arzgebarg," ist
^'ne Rede, die man oft hören kann.

Und wirklich, die Erzgebirger leisten in der Kunst, des Harms zu vergessen,
bedeutendes. Sie sind deshalb nicht als ein Volk aufzufassen, das leichtsinnig
"ud sorglos in den Tag hineinlebt. Sie wissen im Gegentheil sehr wohl,
^ß.jede Mißernte, jede Handelskrise ihnen das bitterste Elend bringen muß.
Oberste wissen zugleich, daß man sich in dieser ernsten Welt auch gelegentlich,
^"d zwar so oft es angeht, ein Vergnügen machen muß, und da dies bei ihren
geringen Ansprüchen sehr oft angeht, so sind sie in der That ein recht lustiges
Glieder. Oberwiesenthal ist eines der armseligsten Oertchen der Welt; dennoch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/117>, abgerufen am 22.07.2024.