Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.dem Gesagten erwarten läßt, der Ausdruck der Sorge um das tägliche Brod. So viel Mutterwitz die Erzgebirger aber auch von Natur besitzen, und so Wenn man. meint der Verfasser, einen Erzgebirger der obern Gegenden dem Gesagten erwarten läßt, der Ausdruck der Sorge um das tägliche Brod. So viel Mutterwitz die Erzgebirger aber auch von Natur besitzen, und so Wenn man. meint der Verfasser, einen Erzgebirger der obern Gegenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107702"/> <p xml:id="ID_354" prev="#ID_353"> dem Gesagten erwarten läßt, der Ausdruck der Sorge um das tägliche Brod.<lb/> Mit diesem aber paart sich bei der Mehrzahl ein Zug anmuthiger Offenheit<lb/> und Naivetät. Dies ist bei den meisten Gebirgsbewohnern der Fall, bei we¬<lb/> nigen aber ist das Antlitz in dem Maße wie bei dem Erzgebirger der Spiegel<lb/> der Seele. Und wie man leicht in sie hineinblickt, so klar und frei schauen<lb/> sie wiederum hinaus in die Welt. Daß sie auch von den Theilen der Welt,<lb/> die jenseit des Horizonts ihres Kirchthurms liegen, mehr Kunde haben, als<lb/> die Bewohner manches andern Gebirgs, merkt man leicht daran, daß sie selt¬<lb/> ner possnlich neugierige Fragen thun und weniger über das Fremde staunen.<lb/> Viele haben als Hausirer ein gutes Stück Deutschlands durchwandert, und<lb/> selbst die an den Webstuhl oder Klöppelsack oder sonst an die Stube Gebun¬<lb/> denen werden durch den wechselnden Stand der Geschäfte, die nicht blos von<lb/> heimischen Einflüssen abhängen, genöthigt, über die Heimnth hinauszudenken.</p><lb/> <p xml:id="ID_355"> So viel Mutterwitz die Erzgebirger aber auch von Natur besitzen, und so<lb/> sehr die künstlichen ökonomischen Verhältnisse, von denen die Mehrzahl der¬<lb/> selben abhängt, das Nachdenken herausfordern und üben, so zeigen sie doch<lb/> nicht den regen Bildungstrieb, den man nach jener Begabung und diesen Ver¬<lb/> hältnissen von ihnen, erwarten sollte. Die saumselige Benutzung mancher zur<lb/> Fortbildung gebotenen Gelegenheiten zeigt deutlich, daß viele selbst den ma¬<lb/> teriellen Vortheil, den höheres Wissen gewährt, nicht erkennen. Die Posa-<lb/> mentirschule zu Annaberg hat gesetzlichen Zwang nöthig, um die Lehrlinge<lb/> des Handwerks zu Schülern zu gewinnen. Die Sonntagsschulen finden bei<lb/> weitem nicht die Theilnahme, die ihnen gebührt. Eine für die Schnitzer des<lb/> westlichen Erzgebirges mit großer Liberalität errichtete Fortbildungsanstalt<lb/> mußte geschlossen werden, da man sie nicht benutzte. Die Bergschulen werden<lb/> fleißiger besucht, und dasselbe gilt von den Klöppelschulen, selbst da, wo der<lb/> Unterricht nicht unentgeltlich ertheilt wird. Von den Arbeitern selbst gestiftete<lb/> und unterhaltene Bildungsvereine, wie sie in den Manusacturdistrictcn Eng'<lb/> lands in Menge blühen, sind nirgend anzutreffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_356" next="#ID_357"> Wenn man. meint der Verfasser, einen Erzgebirger der obern Gegenden<lb/> fragte, was er für das Hauptcharakterzeichen seiner Landsleute hielte, so würde<lb/> er antworten: was das Leben auf unsern Bergen, in unsern Thälern aus'<lb/> zeichnet und uns so lieb sein läßt, das ist seine Gemüthlichkeit. Und es 'se<lb/> wahr, fährt unser Charakerzeichner fort, diese Eigenschaft des deutschen Charak¬<lb/> ters scheint auf dem Erzgebirg zu gipfeln. Der Erzgebirger ist in noch gro"<lb/> ßerem Maße als der Thüringer und Harzer gesellig. Namentlich die Classen'<lb/> welche man im engern Sinn als das Volk bezeichnet, besitzen diese Eigenschaft<lb/> in hohem Grade. Sehr leicht findet man auf seinen Wanderungen Leute,<lb/> die sich einem zutraulich nähern und liebenswürdigerweise das Beste zur Unter-<lb/> Haltung beitragen. Der zugeknöpfte norddeutsche wird dies als Redseligkeit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
dem Gesagten erwarten läßt, der Ausdruck der Sorge um das tägliche Brod.
Mit diesem aber paart sich bei der Mehrzahl ein Zug anmuthiger Offenheit
und Naivetät. Dies ist bei den meisten Gebirgsbewohnern der Fall, bei we¬
nigen aber ist das Antlitz in dem Maße wie bei dem Erzgebirger der Spiegel
der Seele. Und wie man leicht in sie hineinblickt, so klar und frei schauen
sie wiederum hinaus in die Welt. Daß sie auch von den Theilen der Welt,
die jenseit des Horizonts ihres Kirchthurms liegen, mehr Kunde haben, als
die Bewohner manches andern Gebirgs, merkt man leicht daran, daß sie selt¬
ner possnlich neugierige Fragen thun und weniger über das Fremde staunen.
Viele haben als Hausirer ein gutes Stück Deutschlands durchwandert, und
selbst die an den Webstuhl oder Klöppelsack oder sonst an die Stube Gebun¬
denen werden durch den wechselnden Stand der Geschäfte, die nicht blos von
heimischen Einflüssen abhängen, genöthigt, über die Heimnth hinauszudenken.
So viel Mutterwitz die Erzgebirger aber auch von Natur besitzen, und so
sehr die künstlichen ökonomischen Verhältnisse, von denen die Mehrzahl der¬
selben abhängt, das Nachdenken herausfordern und üben, so zeigen sie doch
nicht den regen Bildungstrieb, den man nach jener Begabung und diesen Ver¬
hältnissen von ihnen, erwarten sollte. Die saumselige Benutzung mancher zur
Fortbildung gebotenen Gelegenheiten zeigt deutlich, daß viele selbst den ma¬
teriellen Vortheil, den höheres Wissen gewährt, nicht erkennen. Die Posa-
mentirschule zu Annaberg hat gesetzlichen Zwang nöthig, um die Lehrlinge
des Handwerks zu Schülern zu gewinnen. Die Sonntagsschulen finden bei
weitem nicht die Theilnahme, die ihnen gebührt. Eine für die Schnitzer des
westlichen Erzgebirges mit großer Liberalität errichtete Fortbildungsanstalt
mußte geschlossen werden, da man sie nicht benutzte. Die Bergschulen werden
fleißiger besucht, und dasselbe gilt von den Klöppelschulen, selbst da, wo der
Unterricht nicht unentgeltlich ertheilt wird. Von den Arbeitern selbst gestiftete
und unterhaltene Bildungsvereine, wie sie in den Manusacturdistrictcn Eng'
lands in Menge blühen, sind nirgend anzutreffen.
Wenn man. meint der Verfasser, einen Erzgebirger der obern Gegenden
fragte, was er für das Hauptcharakterzeichen seiner Landsleute hielte, so würde
er antworten: was das Leben auf unsern Bergen, in unsern Thälern aus'
zeichnet und uns so lieb sein läßt, das ist seine Gemüthlichkeit. Und es 'se
wahr, fährt unser Charakerzeichner fort, diese Eigenschaft des deutschen Charak¬
ters scheint auf dem Erzgebirg zu gipfeln. Der Erzgebirger ist in noch gro"
ßerem Maße als der Thüringer und Harzer gesellig. Namentlich die Classen'
welche man im engern Sinn als das Volk bezeichnet, besitzen diese Eigenschaft
in hohem Grade. Sehr leicht findet man auf seinen Wanderungen Leute,
die sich einem zutraulich nähern und liebenswürdigerweise das Beste zur Unter-
Haltung beitragen. Der zugeknöpfte norddeutsche wird dies als Redseligkeit
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