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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Die Schüsseln kreuzten wieder und unter manchem Seufzer wurden die
Gläser vollgeschenkt und wieder geleert.

"Welchen Eindruck, rief plötzlich ein hagerer Mönch von der anderen
Seite des Tisches herüber, muß es bei Ihnen gemacht haben, als der hei¬
lige Vater sagte: "Die Deutschen, meine geliebten Söhne." Hier brachte es
die Feinde der Kirche zum Rasen, in Deutschland muß es jedes Herz freudig
durchzuckt haben."

"Einen unermeßlichen Eindruck hat es hervorgebracht, sagte mein Freund,
man fragte sich allenthalben, ob das derselbe Mann sei, der acht oder neun
Jahre vorher die Fahnen der Crociati gesegnet."

"Pio Nouv, sagte der Prior, war eine Zeit lang auf einem gräßlichen Ab¬
wege. Da öffnete ihm Gott die Augen und er sah, an welchem Abgrund er sich
befand. Er ist nahe daran gewesen, sich und die Kirche ins Verderben zu ziehen."

Die Teller wurden gewechselt, ein neuer Gang von Speisen aufgetragen
eine längere Pause, die nur vom Lärm der Messer und Gabeln unterbrochen
wurde, trat ein. Endlich begann der Prior wieder: "Wohin es mit uns
noch kommen soll, weiß Gott allein! Ehedem betrachtete sich Sardinien als
die Vormauer gegen alle ketzerischen Principien, die sich von Frankreich und
der Schweiz aus über die Halbinsel verbreiten wollten. Darum öffnete Sar¬
dinien den Jesuiten wieder die Thore der Klöster. Auf dringende Verwendung
des Königs Carlo Felice sprach der Papst im Jahre 1838 den Grafen Um¬
berto von Savoyen und den Erzbischof von Canterbury, Bonifaz von Savoyen,
heilig. Man hätte glauben sollen, daß so etwas ewig zu Dank verpflichten,
müsse! Die Undankbaren haben alles vergessen. Noch unter dem vorvorigen
König mußten die Juden gelbe Abzeichen an ihren Kleidern tragen, hatten
ihre Ghettos und durften Nachts nicht ausgehen. Ein gerechtes Gesetz, wenn
es je eins gab, denn was kann ein Jude zu nächtlicher Zeit in den Gassen
der Christen wollen? Jetzt besitzen die Juden Paläste in Genua und Turin.
Ist das in einem christlichen Staate erlaubt? Seit 1849 vollends ist vor der
Flut der Bösen jeder Damm eingerissen. Die Censur ist abgeschafft, dieser
nothwendige Zügel und die täglichen Schandblätter drucken alle unbeglaubig-
ten Verleumdungen, die nur in alten Chronisten gegen die Päpste zu finden,
ungestraft nach. Das Gesetz Sicardi vollends, das uns so schwer betroffen" --

Bei diesem letzten Namen, der sie am schwersten zu treffen schien, erhoben
sich alle Stimmen zugleich im wilden Durcheinander, und Klagen, Verwün¬
schungen. Drohungen aller Art vermischten sich. Ein Lärm, in welchem man
nichts deutlich vernehmen konnte, dauerte minutenlang fort. Endlich hörte
man die schneidende Stimme des Franzosen, der sagte:

"Aber das ist nur ein erster Schritt -- es ist nur zu klar, was ihr Vor¬
haben ist: sie wollen die Säcularisation des Papstes" ---


Die Schüsseln kreuzten wieder und unter manchem Seufzer wurden die
Gläser vollgeschenkt und wieder geleert.

„Welchen Eindruck, rief plötzlich ein hagerer Mönch von der anderen
Seite des Tisches herüber, muß es bei Ihnen gemacht haben, als der hei¬
lige Vater sagte: „Die Deutschen, meine geliebten Söhne." Hier brachte es
die Feinde der Kirche zum Rasen, in Deutschland muß es jedes Herz freudig
durchzuckt haben."

„Einen unermeßlichen Eindruck hat es hervorgebracht, sagte mein Freund,
man fragte sich allenthalben, ob das derselbe Mann sei, der acht oder neun
Jahre vorher die Fahnen der Crociati gesegnet."

„Pio Nouv, sagte der Prior, war eine Zeit lang auf einem gräßlichen Ab¬
wege. Da öffnete ihm Gott die Augen und er sah, an welchem Abgrund er sich
befand. Er ist nahe daran gewesen, sich und die Kirche ins Verderben zu ziehen."

Die Teller wurden gewechselt, ein neuer Gang von Speisen aufgetragen
eine längere Pause, die nur vom Lärm der Messer und Gabeln unterbrochen
wurde, trat ein. Endlich begann der Prior wieder: „Wohin es mit uns
noch kommen soll, weiß Gott allein! Ehedem betrachtete sich Sardinien als
die Vormauer gegen alle ketzerischen Principien, die sich von Frankreich und
der Schweiz aus über die Halbinsel verbreiten wollten. Darum öffnete Sar¬
dinien den Jesuiten wieder die Thore der Klöster. Auf dringende Verwendung
des Königs Carlo Felice sprach der Papst im Jahre 1838 den Grafen Um¬
berto von Savoyen und den Erzbischof von Canterbury, Bonifaz von Savoyen,
heilig. Man hätte glauben sollen, daß so etwas ewig zu Dank verpflichten,
müsse! Die Undankbaren haben alles vergessen. Noch unter dem vorvorigen
König mußten die Juden gelbe Abzeichen an ihren Kleidern tragen, hatten
ihre Ghettos und durften Nachts nicht ausgehen. Ein gerechtes Gesetz, wenn
es je eins gab, denn was kann ein Jude zu nächtlicher Zeit in den Gassen
der Christen wollen? Jetzt besitzen die Juden Paläste in Genua und Turin.
Ist das in einem christlichen Staate erlaubt? Seit 1849 vollends ist vor der
Flut der Bösen jeder Damm eingerissen. Die Censur ist abgeschafft, dieser
nothwendige Zügel und die täglichen Schandblätter drucken alle unbeglaubig-
ten Verleumdungen, die nur in alten Chronisten gegen die Päpste zu finden,
ungestraft nach. Das Gesetz Sicardi vollends, das uns so schwer betroffen" —

Bei diesem letzten Namen, der sie am schwersten zu treffen schien, erhoben
sich alle Stimmen zugleich im wilden Durcheinander, und Klagen, Verwün¬
schungen. Drohungen aller Art vermischten sich. Ein Lärm, in welchem man
nichts deutlich vernehmen konnte, dauerte minutenlang fort. Endlich hörte
man die schneidende Stimme des Franzosen, der sagte:

„Aber das ist nur ein erster Schritt — es ist nur zu klar, was ihr Vor¬
haben ist: sie wollen die Säcularisation des Papstes" —-


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[0520] Die Schüsseln kreuzten wieder und unter manchem Seufzer wurden die Gläser vollgeschenkt und wieder geleert. „Welchen Eindruck, rief plötzlich ein hagerer Mönch von der anderen Seite des Tisches herüber, muß es bei Ihnen gemacht haben, als der hei¬ lige Vater sagte: „Die Deutschen, meine geliebten Söhne." Hier brachte es die Feinde der Kirche zum Rasen, in Deutschland muß es jedes Herz freudig durchzuckt haben." „Einen unermeßlichen Eindruck hat es hervorgebracht, sagte mein Freund, man fragte sich allenthalben, ob das derselbe Mann sei, der acht oder neun Jahre vorher die Fahnen der Crociati gesegnet." „Pio Nouv, sagte der Prior, war eine Zeit lang auf einem gräßlichen Ab¬ wege. Da öffnete ihm Gott die Augen und er sah, an welchem Abgrund er sich befand. Er ist nahe daran gewesen, sich und die Kirche ins Verderben zu ziehen." Die Teller wurden gewechselt, ein neuer Gang von Speisen aufgetragen eine längere Pause, die nur vom Lärm der Messer und Gabeln unterbrochen wurde, trat ein. Endlich begann der Prior wieder: „Wohin es mit uns noch kommen soll, weiß Gott allein! Ehedem betrachtete sich Sardinien als die Vormauer gegen alle ketzerischen Principien, die sich von Frankreich und der Schweiz aus über die Halbinsel verbreiten wollten. Darum öffnete Sar¬ dinien den Jesuiten wieder die Thore der Klöster. Auf dringende Verwendung des Königs Carlo Felice sprach der Papst im Jahre 1838 den Grafen Um¬ berto von Savoyen und den Erzbischof von Canterbury, Bonifaz von Savoyen, heilig. Man hätte glauben sollen, daß so etwas ewig zu Dank verpflichten, müsse! Die Undankbaren haben alles vergessen. Noch unter dem vorvorigen König mußten die Juden gelbe Abzeichen an ihren Kleidern tragen, hatten ihre Ghettos und durften Nachts nicht ausgehen. Ein gerechtes Gesetz, wenn es je eins gab, denn was kann ein Jude zu nächtlicher Zeit in den Gassen der Christen wollen? Jetzt besitzen die Juden Paläste in Genua und Turin. Ist das in einem christlichen Staate erlaubt? Seit 1849 vollends ist vor der Flut der Bösen jeder Damm eingerissen. Die Censur ist abgeschafft, dieser nothwendige Zügel und die täglichen Schandblätter drucken alle unbeglaubig- ten Verleumdungen, die nur in alten Chronisten gegen die Päpste zu finden, ungestraft nach. Das Gesetz Sicardi vollends, das uns so schwer betroffen" — Bei diesem letzten Namen, der sie am schwersten zu treffen schien, erhoben sich alle Stimmen zugleich im wilden Durcheinander, und Klagen, Verwün¬ schungen. Drohungen aller Art vermischten sich. Ein Lärm, in welchem man nichts deutlich vernehmen konnte, dauerte minutenlang fort. Endlich hörte man die schneidende Stimme des Franzosen, der sagte: „Aber das ist nur ein erster Schritt — es ist nur zu klar, was ihr Vor¬ haben ist: sie wollen die Säcularisation des Papstes" —-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/520>, abgerufen am 22.12.2024.