Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.ten Höhe übersieht, als isolirt. "So hat die christliche Religion an der Inzwischen gehören diese Ideen Schiller nicht eigenthümlich an; er hat Wenn man in neuster Zeit von den Systemen der spätern deutschen 58*
ten Höhe übersieht, als isolirt. „So hat die christliche Religion an der Inzwischen gehören diese Ideen Schiller nicht eigenthümlich an; er hat Wenn man in neuster Zeit von den Systemen der spätern deutschen 58*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107516"/> <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416"> ten Höhe übersieht, als isolirt. „So hat die christliche Religion an der<lb/> gegenwärtigen Gestalt der Welt einen so vielfältigen Antheil, daß ihre Er¬<lb/> scheinung das wichtigste Factum für die Weltgeschichte wird; aber weder in<lb/> der Zeit, wo sie sich zeigte, noch bei dem Volk, bei dem sie aufkam, liegt aus<lb/> Mangel der Quellen ein befriedigender Erklärungsgrund ihrer Erscheinung." —<lb/> „So würde denn unsere Weltgeschichte nie etwas Anderes als ein Aggregat<lb/> von Bruchstücken werden, und nie den Namen einer Wissenschaft verdienen.<lb/> Jetzt also kommt ihr der philosophische Verstand zu Hilfe, und indem er diese<lb/> Bruchstücke durch künstliche Bindungsglieder verkettet, erhebt er das Aggregat<lb/> zum System, zu einem vernunftmäßigen, zusammenhängenden Ganzen." „Eine<lb/> Erscheinung nach der andern fängt an sich dem blinden Ungefähr zu ent¬<lb/> zieh» und sich einem übereinstimmenden Ganzen, das freilich nur in seiner<lb/> Vorstellung vorhanden ist, als ein passendes Glied anzureihen. Bald fällt<lb/> es ihm schwer, sich zu überreden, daß diese Folge von Erscheinungen, die in<lb/> seiner Vorstellung so viel Regelmäßigkeit und Absicht annahm, diese Eigen¬<lb/> schaften in der Wirklichkeit verleugne; er nimmt also diese Harmonien aus<lb/> sich selbst heraus und verpflanzt sie außer sich in die Ordnung der Dinge,<lb/> d. h. er bringt einen vernünftigen Zweck in den Gang der Welt und ein<lb/> teleologisches Princip in die Weltgeschichte." Freilich soll er dann noch die<lb/> Probe machen, aber in zweifelhaften Fällen „siegt diejenige Meinung, welche<lb/> dem Verstand die höhere Befriedigung und dem Herzen die größere Glück¬<lb/> seligkeit anzubieten hat." — So ist denn lange vor Hegel so unumwunden<lb/> als möglich das Princip einer philosophischen Construction der Weltgeschichte<lb/> ausgesprochen. Freilich construiren die spätern MetaPhysiker nach Kategorien,<lb/> während der Dichter zugibt, daß er sich nach Einfällen oder Eingebungen die<lb/> Dinge ausmalt; allein, wenn hier ein Unterschied stattfindet, so möchte er zu<lb/> Gunsten des letzteren se^in.</p><lb/> <p xml:id="ID_1418"> Inzwischen gehören diese Ideen Schiller nicht eigenthümlich an; er hat<lb/> sie aus Kant genommen, den er in einigen Hauptstellen wörtlich ausgeschrie¬<lb/> ben, in dem leitenden Ideengang dagegen mißverstanden hat. Wie es bei¬<lb/> läufig zuging, daß Kant, der sonst über jede Abweichung von seinem System<lb/> sich sehr verdrießlich aussprach, Schillers wenigstens in der Abhandlung über<lb/> Anmuth und Würde äußerst rühmlich erwähnte, wird an einem andern Ort<lb/> zu untersuchen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1419" next="#ID_1420"> Wenn man in neuster Zeit von den Systemen der spätern deutschen<lb/> Philosophie sich mehr und mehr abwendet und zu dem alten Kant wieder<lb/> zurückkehrt, so liegt der eigentliche Grund dieser Umkehr, den man freilich,<lb/> da Kant mehr gelobt als gelesen wird, mehr dunkel empfindet als erkennt,<lb/> darin, daß Kant ein eminent wissenschaftlicher Kopf war, Fichte, Schelling<lb/> und Hegel dagegen höchst unwissenschaftliche Naturen. Fichte und Hegel</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 58*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
ten Höhe übersieht, als isolirt. „So hat die christliche Religion an der
gegenwärtigen Gestalt der Welt einen so vielfältigen Antheil, daß ihre Er¬
scheinung das wichtigste Factum für die Weltgeschichte wird; aber weder in
der Zeit, wo sie sich zeigte, noch bei dem Volk, bei dem sie aufkam, liegt aus
Mangel der Quellen ein befriedigender Erklärungsgrund ihrer Erscheinung." —
„So würde denn unsere Weltgeschichte nie etwas Anderes als ein Aggregat
von Bruchstücken werden, und nie den Namen einer Wissenschaft verdienen.
Jetzt also kommt ihr der philosophische Verstand zu Hilfe, und indem er diese
Bruchstücke durch künstliche Bindungsglieder verkettet, erhebt er das Aggregat
zum System, zu einem vernunftmäßigen, zusammenhängenden Ganzen." „Eine
Erscheinung nach der andern fängt an sich dem blinden Ungefähr zu ent¬
zieh» und sich einem übereinstimmenden Ganzen, das freilich nur in seiner
Vorstellung vorhanden ist, als ein passendes Glied anzureihen. Bald fällt
es ihm schwer, sich zu überreden, daß diese Folge von Erscheinungen, die in
seiner Vorstellung so viel Regelmäßigkeit und Absicht annahm, diese Eigen¬
schaften in der Wirklichkeit verleugne; er nimmt also diese Harmonien aus
sich selbst heraus und verpflanzt sie außer sich in die Ordnung der Dinge,
d. h. er bringt einen vernünftigen Zweck in den Gang der Welt und ein
teleologisches Princip in die Weltgeschichte." Freilich soll er dann noch die
Probe machen, aber in zweifelhaften Fällen „siegt diejenige Meinung, welche
dem Verstand die höhere Befriedigung und dem Herzen die größere Glück¬
seligkeit anzubieten hat." — So ist denn lange vor Hegel so unumwunden
als möglich das Princip einer philosophischen Construction der Weltgeschichte
ausgesprochen. Freilich construiren die spätern MetaPhysiker nach Kategorien,
während der Dichter zugibt, daß er sich nach Einfällen oder Eingebungen die
Dinge ausmalt; allein, wenn hier ein Unterschied stattfindet, so möchte er zu
Gunsten des letzteren se^in.
Inzwischen gehören diese Ideen Schiller nicht eigenthümlich an; er hat
sie aus Kant genommen, den er in einigen Hauptstellen wörtlich ausgeschrie¬
ben, in dem leitenden Ideengang dagegen mißverstanden hat. Wie es bei¬
läufig zuging, daß Kant, der sonst über jede Abweichung von seinem System
sich sehr verdrießlich aussprach, Schillers wenigstens in der Abhandlung über
Anmuth und Würde äußerst rühmlich erwähnte, wird an einem andern Ort
zu untersuchen sein.
Wenn man in neuster Zeit von den Systemen der spätern deutschen
Philosophie sich mehr und mehr abwendet und zu dem alten Kant wieder
zurückkehrt, so liegt der eigentliche Grund dieser Umkehr, den man freilich,
da Kant mehr gelobt als gelesen wird, mehr dunkel empfindet als erkennt,
darin, daß Kant ein eminent wissenschaftlicher Kopf war, Fichte, Schelling
und Hegel dagegen höchst unwissenschaftliche Naturen. Fichte und Hegel
58*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |