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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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um elf Uhr zur Volksversammlung auf der ack xopolv, vormals pi-
g.^a ack Al-anäues,. Ich eilte dorthin durch die neue Via ä"z' Lat^aMvU, die
Lieblingspromenade der Florentiner. Sie war nicht gefüllter noch bewegter
als gewöhnlich. Auf dem Platze drängten sich einige hundert Menschen um
die prächtige I^vWia, äei unter deren hochgewölbten Hallen der Volks¬
club seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Eben hielt Niccolini eine donnernde
Rede, von der nur zuweilen die Schlagwörter: "feig im Stich gelassen", "sou-
veränes Volk", "vergebener Versuch, in Siena den Bürgerkrieg zu entzünden",
"Haß und Verachtung" und ähnliches, von Beifallsklatschen und Bravos
übertönt, bis zu mir drangen. Der übrige Theil des großen Platzes war
leer und ruhig; die Zündhölzchenverkäufer boten ihre Waare feil; die Blumen¬
mädchen, die Stiefelwichser warteten an den Ecken auf ihre Kunden, Herren
und Damen gingen auf und ab spazieren und blieben nur zuweilen neugierig
horchend stehen, wenn ein schallenderes Händeklatschen und lautere Bravos
verkündeten, daß ein besonders beliebtes Schlagwort gefallen sei; zahllose
Zuschauer blickten sorglosen und vergnügten Gesichts aus den Fenstern; kleine
Straßenjungen ritten auf den marmornen Löwen, die am Eingange der Log¬
gia stehen, oder kletterten an dem Fußgestell von Cellinis Perseus oder Gi-
ambolognas Sabinerraub umher; einige Sprecher, die niemand sah und de¬
ren Worte fast niemand verstand, schlugen die Volksdecrete vor, und etwa
dreihundert Gassenjungen und Männer aus der Hefe des Pöbels besiegelten die
gefaßten Beschlüsse, indem sie in ihre schmuzigen Hände klatschten und ihre
schmierigen Mützen und Hüte schwenkten. Und über all dem bunten Treiben
wölbte sich ein strahlendblauer Himmel, wehte eine frische, duftige Frühlings¬
luft. War das eine Revolution oder war es ein lustiges Gaukelspiel, ein
Carnevalsscherz für das vergnügungssüchtige Völkchen?

Der Ernst der Lage macht sich bald geltend; es wird eine provisorische
Regierung ernannt, bestehend aus Guerrazzi, Mazzoni und Montanelli. --
Guerrazzi stand auf der Bank, die als Rednerbühne oder Triumphwagen figu-
rirte, in der Mitte seiner Kollegen. Obgleich überragt von der langen und
schlanken Gestalt Montanellis, war er doch der allgemeine Augenpunkt. Ueber
die harten, wenig anziehenden Züge seines Antlitzes flog ein bitteres, sardo¬
nisches Lächeln, als er den Kreis von Lumpengesindel überschaute, der ihn
umgab. Wie Inseln aus dem Meere schimmerte hier und da der schwarze
Rock eines seiner Sendlinge oder eines enthusiastischen Republikaners aus der
Masse schmuziger Sammetjacken und zerfetzter Filzmäntcl. Feierte er einen
stillen Triumph, oder beklagte er eine Niederlage, die seinem scharfen Auge
unter der Hülle des kampflosen und wohlfeilen Sieges nicht entgehen konnte?
Daß es so weit gekommen, war mehr als jedes andern sein Werk; die übrigen
Männer der Revolution waren ihm gegenüber Namen und Zahlen.


um elf Uhr zur Volksversammlung auf der ack xopolv, vormals pi-
g.^a ack Al-anäues,. Ich eilte dorthin durch die neue Via ä«z' Lat^aMvU, die
Lieblingspromenade der Florentiner. Sie war nicht gefüllter noch bewegter
als gewöhnlich. Auf dem Platze drängten sich einige hundert Menschen um
die prächtige I^vWia, äei unter deren hochgewölbten Hallen der Volks¬
club seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Eben hielt Niccolini eine donnernde
Rede, von der nur zuweilen die Schlagwörter: „feig im Stich gelassen", „sou-
veränes Volk", „vergebener Versuch, in Siena den Bürgerkrieg zu entzünden",
„Haß und Verachtung" und ähnliches, von Beifallsklatschen und Bravos
übertönt, bis zu mir drangen. Der übrige Theil des großen Platzes war
leer und ruhig; die Zündhölzchenverkäufer boten ihre Waare feil; die Blumen¬
mädchen, die Stiefelwichser warteten an den Ecken auf ihre Kunden, Herren
und Damen gingen auf und ab spazieren und blieben nur zuweilen neugierig
horchend stehen, wenn ein schallenderes Händeklatschen und lautere Bravos
verkündeten, daß ein besonders beliebtes Schlagwort gefallen sei; zahllose
Zuschauer blickten sorglosen und vergnügten Gesichts aus den Fenstern; kleine
Straßenjungen ritten auf den marmornen Löwen, die am Eingange der Log¬
gia stehen, oder kletterten an dem Fußgestell von Cellinis Perseus oder Gi-
ambolognas Sabinerraub umher; einige Sprecher, die niemand sah und de¬
ren Worte fast niemand verstand, schlugen die Volksdecrete vor, und etwa
dreihundert Gassenjungen und Männer aus der Hefe des Pöbels besiegelten die
gefaßten Beschlüsse, indem sie in ihre schmuzigen Hände klatschten und ihre
schmierigen Mützen und Hüte schwenkten. Und über all dem bunten Treiben
wölbte sich ein strahlendblauer Himmel, wehte eine frische, duftige Frühlings¬
luft. War das eine Revolution oder war es ein lustiges Gaukelspiel, ein
Carnevalsscherz für das vergnügungssüchtige Völkchen?

Der Ernst der Lage macht sich bald geltend; es wird eine provisorische
Regierung ernannt, bestehend aus Guerrazzi, Mazzoni und Montanelli. —
Guerrazzi stand auf der Bank, die als Rednerbühne oder Triumphwagen figu-
rirte, in der Mitte seiner Kollegen. Obgleich überragt von der langen und
schlanken Gestalt Montanellis, war er doch der allgemeine Augenpunkt. Ueber
die harten, wenig anziehenden Züge seines Antlitzes flog ein bitteres, sardo¬
nisches Lächeln, als er den Kreis von Lumpengesindel überschaute, der ihn
umgab. Wie Inseln aus dem Meere schimmerte hier und da der schwarze
Rock eines seiner Sendlinge oder eines enthusiastischen Republikaners aus der
Masse schmuziger Sammetjacken und zerfetzter Filzmäntcl. Feierte er einen
stillen Triumph, oder beklagte er eine Niederlage, die seinem scharfen Auge
unter der Hülle des kampflosen und wohlfeilen Sieges nicht entgehen konnte?
Daß es so weit gekommen, war mehr als jedes andern sein Werk; die übrigen
Männer der Revolution waren ihm gegenüber Namen und Zahlen.


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[0432] um elf Uhr zur Volksversammlung auf der ack xopolv, vormals pi- g.^a ack Al-anäues,. Ich eilte dorthin durch die neue Via ä«z' Lat^aMvU, die Lieblingspromenade der Florentiner. Sie war nicht gefüllter noch bewegter als gewöhnlich. Auf dem Platze drängten sich einige hundert Menschen um die prächtige I^vWia, äei unter deren hochgewölbten Hallen der Volks¬ club seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Eben hielt Niccolini eine donnernde Rede, von der nur zuweilen die Schlagwörter: „feig im Stich gelassen", „sou- veränes Volk", „vergebener Versuch, in Siena den Bürgerkrieg zu entzünden", „Haß und Verachtung" und ähnliches, von Beifallsklatschen und Bravos übertönt, bis zu mir drangen. Der übrige Theil des großen Platzes war leer und ruhig; die Zündhölzchenverkäufer boten ihre Waare feil; die Blumen¬ mädchen, die Stiefelwichser warteten an den Ecken auf ihre Kunden, Herren und Damen gingen auf und ab spazieren und blieben nur zuweilen neugierig horchend stehen, wenn ein schallenderes Händeklatschen und lautere Bravos verkündeten, daß ein besonders beliebtes Schlagwort gefallen sei; zahllose Zuschauer blickten sorglosen und vergnügten Gesichts aus den Fenstern; kleine Straßenjungen ritten auf den marmornen Löwen, die am Eingange der Log¬ gia stehen, oder kletterten an dem Fußgestell von Cellinis Perseus oder Gi- ambolognas Sabinerraub umher; einige Sprecher, die niemand sah und de¬ ren Worte fast niemand verstand, schlugen die Volksdecrete vor, und etwa dreihundert Gassenjungen und Männer aus der Hefe des Pöbels besiegelten die gefaßten Beschlüsse, indem sie in ihre schmuzigen Hände klatschten und ihre schmierigen Mützen und Hüte schwenkten. Und über all dem bunten Treiben wölbte sich ein strahlendblauer Himmel, wehte eine frische, duftige Frühlings¬ luft. War das eine Revolution oder war es ein lustiges Gaukelspiel, ein Carnevalsscherz für das vergnügungssüchtige Völkchen? Der Ernst der Lage macht sich bald geltend; es wird eine provisorische Regierung ernannt, bestehend aus Guerrazzi, Mazzoni und Montanelli. — Guerrazzi stand auf der Bank, die als Rednerbühne oder Triumphwagen figu- rirte, in der Mitte seiner Kollegen. Obgleich überragt von der langen und schlanken Gestalt Montanellis, war er doch der allgemeine Augenpunkt. Ueber die harten, wenig anziehenden Züge seines Antlitzes flog ein bitteres, sardo¬ nisches Lächeln, als er den Kreis von Lumpengesindel überschaute, der ihn umgab. Wie Inseln aus dem Meere schimmerte hier und da der schwarze Rock eines seiner Sendlinge oder eines enthusiastischen Republikaners aus der Masse schmuziger Sammetjacken und zerfetzter Filzmäntcl. Feierte er einen stillen Triumph, oder beklagte er eine Niederlage, die seinem scharfen Auge unter der Hülle des kampflosen und wohlfeilen Sieges nicht entgehen konnte? Daß es so weit gekommen, war mehr als jedes andern sein Werk; die übrigen Männer der Revolution waren ihm gegenüber Namen und Zahlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/432>, abgerufen am 22.12.2024.