Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.seiner Hand ruhten die leitenden Fäden der demokratischen Bewegung, durch Das Volk hatte sich von dem Platze verlaufen: die Stunde des Mittag¬ Aus der schönen Trinitabrücke, deren schlanke, weitgespannte Bogen sich so seiner Hand ruhten die leitenden Fäden der demokratischen Bewegung, durch Das Volk hatte sich von dem Platze verlaufen: die Stunde des Mittag¬ Aus der schönen Trinitabrücke, deren schlanke, weitgespannte Bogen sich so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107480"/> <p xml:id="ID_1293" prev="#ID_1292"> seiner Hand ruhten die leitenden Fäden der demokratischen Bewegung, durch<lb/> welche alle toscanischen Ministerien seit zwei Jahren unaufhaltsam vorwärts<lb/> getrieben und endlich eines nach dem andern übermannt und zu Boden ge¬<lb/> worfen waren. Selbst seine Feinde, die Moderirten, waren gegen ihr Wissen<lb/> und Wollen Werkzeuge seiner Politik geworden. — Gedachte er an den<lb/> Jahrestag, wo er auf des damals allmächtigen Ridolsi Befehl in Ketten<lb/> nach Portoferrajo geschleppt ward? Damals hatte er. seine gefesselten Hände<lb/> emporhebend, dem umstehenden Volke zugerufen: „Seht. Toscaner, das ist<lb/> das Geschmeide, damit euer liebevoller Landesvater seine Kinder schmückt!"<lb/> — Seitdem war er in schwindelnden Wechsel fast aus der Tiefe des Kerkers<lb/> an seines Fürsten Seite gestiegen, dort selbst Ridolsis Platz einzunehmen.<lb/> Seine Feinde lagen vor ihm im Staube. Alle Parteien blickten auf ihn,<lb/> sei es als auf die Bürgschaft ihres Sieges, auf den stolzen Träger einer<lb/> stolzen Zukunft, oder als aus den letzten Rettungsanker für das im Sturme<lb/> wankende Schiff des Staates. Jetzt war der Fürst geflohen, das letzte Hemm-<lb/> niß seiner Allmacht entfernt: die Präsidentschaft, ja die Dictatur der neuen<lb/> hetrurischen Republik konnte ihm nicht entgehen. Aber auf dem Gipfel des<lb/> Glücks sah er den Abgrund geöffnet: die Ahnung eines unvermeidlichen<lb/> Sturzes trat vor ihn. — Die weitern Reden können wir unsern Lesern ersparen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1294"> Das Volk hatte sich von dem Platze verlaufen: die Stunde des Mittag¬<lb/> essens vergißt der Florentiner nicht, wie wol der Pariser, über den politischen<lb/> Aufregungen des Tages. Die Straßen, die ich durchstreifte, waren ruhig, die<lb/> Läden geöffnet; die Geschäfte gingen ihren Gang. Nur hier und da hatte<lb/> ein furchtsamer Kaufmann sein Gewölbe geschlossen. In den entfernteren<lb/> Stadttheilen wußte man noch nichts von den Vorgängen des Tages. Wem<lb/> es erzählt ward, der unterbrach deshalb nicht die gewohnte Beschäftigung.<lb/> Die Zeit hatte an Ungeheures gewöhnt. Hier und da schüttelte wol ein<lb/> Einzelner bedenklich den Kopf über die Folgen; nirgend aber zeigte sich ein<lb/> wahres, tiefes Verständniß der Bedeutung des Tages, nirgend ein Bedauern<lb/> über den Verlust des Großherzogs als Persönlichkeit; nur selten ein Bedenken<lb/> über den Verlust des Monarchen. Die Liebe sitzt bei diesem Volke nicht tiefer<lb/> als der Haß. Bei den Entschiedener hatte es der Fürst längst durch seine<lb/> Schwäche und charakterlose Nachgiebigkeit verdorben, die Art und Weise seiner<lb/> Entfernung fand überall den schärfsten Tadel.</p><lb/> <p xml:id="ID_1295" next="#ID_1296"> Aus der schönen Trinitabrücke, deren schlanke, weitgespannte Bogen sich so<lb/> leicht und zierlich über den Strom schwingen, begegnete ich einem vertrauten Floren¬<lb/> tiner. Er eilte auf mich zu und fiel mir voller Entzücken um den Hals. „Dies ist<lb/> der schönste Tag meines Lebens!" rief er. „So hat doch endlich das Volk<lb/> gezeigt, was es vermag. Nicht wahr, wir Florentiner sind doch nicht so<lb/> ganz entartet? Jetzt wirst du sehen, welche neue Aera für uns beginnt; du</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0433]
seiner Hand ruhten die leitenden Fäden der demokratischen Bewegung, durch
welche alle toscanischen Ministerien seit zwei Jahren unaufhaltsam vorwärts
getrieben und endlich eines nach dem andern übermannt und zu Boden ge¬
worfen waren. Selbst seine Feinde, die Moderirten, waren gegen ihr Wissen
und Wollen Werkzeuge seiner Politik geworden. — Gedachte er an den
Jahrestag, wo er auf des damals allmächtigen Ridolsi Befehl in Ketten
nach Portoferrajo geschleppt ward? Damals hatte er. seine gefesselten Hände
emporhebend, dem umstehenden Volke zugerufen: „Seht. Toscaner, das ist
das Geschmeide, damit euer liebevoller Landesvater seine Kinder schmückt!"
— Seitdem war er in schwindelnden Wechsel fast aus der Tiefe des Kerkers
an seines Fürsten Seite gestiegen, dort selbst Ridolsis Platz einzunehmen.
Seine Feinde lagen vor ihm im Staube. Alle Parteien blickten auf ihn,
sei es als auf die Bürgschaft ihres Sieges, auf den stolzen Träger einer
stolzen Zukunft, oder als aus den letzten Rettungsanker für das im Sturme
wankende Schiff des Staates. Jetzt war der Fürst geflohen, das letzte Hemm-
niß seiner Allmacht entfernt: die Präsidentschaft, ja die Dictatur der neuen
hetrurischen Republik konnte ihm nicht entgehen. Aber auf dem Gipfel des
Glücks sah er den Abgrund geöffnet: die Ahnung eines unvermeidlichen
Sturzes trat vor ihn. — Die weitern Reden können wir unsern Lesern ersparen.
Das Volk hatte sich von dem Platze verlaufen: die Stunde des Mittag¬
essens vergißt der Florentiner nicht, wie wol der Pariser, über den politischen
Aufregungen des Tages. Die Straßen, die ich durchstreifte, waren ruhig, die
Läden geöffnet; die Geschäfte gingen ihren Gang. Nur hier und da hatte
ein furchtsamer Kaufmann sein Gewölbe geschlossen. In den entfernteren
Stadttheilen wußte man noch nichts von den Vorgängen des Tages. Wem
es erzählt ward, der unterbrach deshalb nicht die gewohnte Beschäftigung.
Die Zeit hatte an Ungeheures gewöhnt. Hier und da schüttelte wol ein
Einzelner bedenklich den Kopf über die Folgen; nirgend aber zeigte sich ein
wahres, tiefes Verständniß der Bedeutung des Tages, nirgend ein Bedauern
über den Verlust des Großherzogs als Persönlichkeit; nur selten ein Bedenken
über den Verlust des Monarchen. Die Liebe sitzt bei diesem Volke nicht tiefer
als der Haß. Bei den Entschiedener hatte es der Fürst längst durch seine
Schwäche und charakterlose Nachgiebigkeit verdorben, die Art und Weise seiner
Entfernung fand überall den schärfsten Tadel.
Aus der schönen Trinitabrücke, deren schlanke, weitgespannte Bogen sich so
leicht und zierlich über den Strom schwingen, begegnete ich einem vertrauten Floren¬
tiner. Er eilte auf mich zu und fiel mir voller Entzücken um den Hals. „Dies ist
der schönste Tag meines Lebens!" rief er. „So hat doch endlich das Volk
gezeigt, was es vermag. Nicht wahr, wir Florentiner sind doch nicht so
ganz entartet? Jetzt wirst du sehen, welche neue Aera für uns beginnt; du
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