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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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^a. man erfuhr wol erst aus den Zeitungen, was vorgefallen, und nahm
eben nicht viel mehr Antheil daran, als sei Peking und nicht Florenz der
Schauplatz der Ereignisse. Aber bald kam eine unruhige Bewegung unter
die Menge auf der Straße. Einzelne, die aus der inneren Stadt kamen,
wurden umringt und mit Fragen bestürmt. Zahlreiche Gruppen bildeten sich
um heftig gesticulircnde Redner; neugierige Frauen und Mädchen steckten über¬
all den mit oft nicht allzuweißer Morgenhaube bedeckten Kopf aus den geöff¬
neten Fenstern. Fragen und Antworten, Ausrufe der Verwunderung, der
Freude, des Schreckens flogen herüber und hinüber. In diesem Augenblick
öffnete sich die Thür meines Zimmers, und noch im Hereintreten rief mir die
Gräfin P........i in ihrer hastigen Art ohne Morgengruß zu: "Wissen
Sie schon? er ist fort, geflohen! -- er hat sein Land sich selbst überlassen
-- nun sind wir ganz in den Händen der Schurken!" -- "Aber, um Gottes
willen, wer, wie, wann, wo?" Erst nach einer Anstrengung und einer
Menge von Expectorationen, die weder für den Großherzog, noch sür das
Wini8t,el'v äemoelÄtieo viel schmeichelhaftes enthielten, konnte ich erfahren,
so viel das Gerücht bis dahin verbreitet hatte. Der Ministerpräsident Mon-
tanelli. der bei dem Großherzog in Siena gewesen, war in der Nacht plötz¬
lich zurückgekehrt mit der Nachricht, der Großherzog habe am Tage zuvor
Siena mit seiner Familie flüchtig verlassen -- in welcher Richtung? wisse
man nicht.

Draußen mehrte sich indessen die Unruhe, das Hin- und Hereilen, die
mit halbunterdrückter Stimme hastig geführten Unterredungen, die dichten
Gruppen gespannter Horcher um einzelne Erzähler. Auch mir theilte sich all-
mälig jene fieberhafte Aufregung mit, Sie bei einer großen, tief eingreifenden
Neuigkeit auch für die nicht unmittelbar Betheiligten gleichsam epidemisch in
der Lust zu liegen scheint und die jeder kennt, der die Jahre 1847 -- 49 in
Italien durchlebt hat. Ich eilte aus unserem entlegenen Quartier, wo gleich¬
sam nur das Echo und die fernsten und leisesten Wellenschlage der politischen
Bewegung hinzubringen pflegten, dem volkreichen Mittelpunkt der Stadt zu.
Fortwährend ertönte der Generalmarsch durch die Straßen -- die National¬
garde, durch den anstrengenden Dienst und die häusig zwecklose Plackerei er¬
müdet, sammelte sich langsam und spärlich in ihren Quartieren. An der
nächsten Straßenecke fand ich ein gedrucktes Placat des Volksclubs (circolo
äst xoxolo), das Manifest der Radicalen. die, wie es schien, auf den eintre¬
tenden Fall wohlvorbereitet gewesen waren.

Dichte Volkshaufen umlagerten diese Maueranschläge; die Zunächststehen¬
den lasen sie mit lauter Stimme, die andern horchten, nicht wenig verwun¬
dert über ihre eigenen Beschlüsse; nirgend erhob sich eine Stimme der Mi߬
billigung oder des Beifalls. Das Manifest des Volksclubs lud die Bürger


^a. man erfuhr wol erst aus den Zeitungen, was vorgefallen, und nahm
eben nicht viel mehr Antheil daran, als sei Peking und nicht Florenz der
Schauplatz der Ereignisse. Aber bald kam eine unruhige Bewegung unter
die Menge auf der Straße. Einzelne, die aus der inneren Stadt kamen,
wurden umringt und mit Fragen bestürmt. Zahlreiche Gruppen bildeten sich
um heftig gesticulircnde Redner; neugierige Frauen und Mädchen steckten über¬
all den mit oft nicht allzuweißer Morgenhaube bedeckten Kopf aus den geöff¬
neten Fenstern. Fragen und Antworten, Ausrufe der Verwunderung, der
Freude, des Schreckens flogen herüber und hinüber. In diesem Augenblick
öffnete sich die Thür meines Zimmers, und noch im Hereintreten rief mir die
Gräfin P........i in ihrer hastigen Art ohne Morgengruß zu: „Wissen
Sie schon? er ist fort, geflohen! — er hat sein Land sich selbst überlassen
— nun sind wir ganz in den Händen der Schurken!" — „Aber, um Gottes
willen, wer, wie, wann, wo?" Erst nach einer Anstrengung und einer
Menge von Expectorationen, die weder für den Großherzog, noch sür das
Wini8t,el'v äemoelÄtieo viel schmeichelhaftes enthielten, konnte ich erfahren,
so viel das Gerücht bis dahin verbreitet hatte. Der Ministerpräsident Mon-
tanelli. der bei dem Großherzog in Siena gewesen, war in der Nacht plötz¬
lich zurückgekehrt mit der Nachricht, der Großherzog habe am Tage zuvor
Siena mit seiner Familie flüchtig verlassen — in welcher Richtung? wisse
man nicht.

Draußen mehrte sich indessen die Unruhe, das Hin- und Hereilen, die
mit halbunterdrückter Stimme hastig geführten Unterredungen, die dichten
Gruppen gespannter Horcher um einzelne Erzähler. Auch mir theilte sich all-
mälig jene fieberhafte Aufregung mit, Sie bei einer großen, tief eingreifenden
Neuigkeit auch für die nicht unmittelbar Betheiligten gleichsam epidemisch in
der Lust zu liegen scheint und die jeder kennt, der die Jahre 1847 — 49 in
Italien durchlebt hat. Ich eilte aus unserem entlegenen Quartier, wo gleich¬
sam nur das Echo und die fernsten und leisesten Wellenschlage der politischen
Bewegung hinzubringen pflegten, dem volkreichen Mittelpunkt der Stadt zu.
Fortwährend ertönte der Generalmarsch durch die Straßen — die National¬
garde, durch den anstrengenden Dienst und die häusig zwecklose Plackerei er¬
müdet, sammelte sich langsam und spärlich in ihren Quartieren. An der
nächsten Straßenecke fand ich ein gedrucktes Placat des Volksclubs (circolo
äst xoxolo), das Manifest der Radicalen. die, wie es schien, auf den eintre¬
tenden Fall wohlvorbereitet gewesen waren.

Dichte Volkshaufen umlagerten diese Maueranschläge; die Zunächststehen¬
den lasen sie mit lauter Stimme, die andern horchten, nicht wenig verwun¬
dert über ihre eigenen Beschlüsse; nirgend erhob sich eine Stimme der Mi߬
billigung oder des Beifalls. Das Manifest des Volksclubs lud die Bürger


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[0431] ^a. man erfuhr wol erst aus den Zeitungen, was vorgefallen, und nahm eben nicht viel mehr Antheil daran, als sei Peking und nicht Florenz der Schauplatz der Ereignisse. Aber bald kam eine unruhige Bewegung unter die Menge auf der Straße. Einzelne, die aus der inneren Stadt kamen, wurden umringt und mit Fragen bestürmt. Zahlreiche Gruppen bildeten sich um heftig gesticulircnde Redner; neugierige Frauen und Mädchen steckten über¬ all den mit oft nicht allzuweißer Morgenhaube bedeckten Kopf aus den geöff¬ neten Fenstern. Fragen und Antworten, Ausrufe der Verwunderung, der Freude, des Schreckens flogen herüber und hinüber. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür meines Zimmers, und noch im Hereintreten rief mir die Gräfin P........i in ihrer hastigen Art ohne Morgengruß zu: „Wissen Sie schon? er ist fort, geflohen! — er hat sein Land sich selbst überlassen — nun sind wir ganz in den Händen der Schurken!" — „Aber, um Gottes willen, wer, wie, wann, wo?" Erst nach einer Anstrengung und einer Menge von Expectorationen, die weder für den Großherzog, noch sür das Wini8t,el'v äemoelÄtieo viel schmeichelhaftes enthielten, konnte ich erfahren, so viel das Gerücht bis dahin verbreitet hatte. Der Ministerpräsident Mon- tanelli. der bei dem Großherzog in Siena gewesen, war in der Nacht plötz¬ lich zurückgekehrt mit der Nachricht, der Großherzog habe am Tage zuvor Siena mit seiner Familie flüchtig verlassen — in welcher Richtung? wisse man nicht. Draußen mehrte sich indessen die Unruhe, das Hin- und Hereilen, die mit halbunterdrückter Stimme hastig geführten Unterredungen, die dichten Gruppen gespannter Horcher um einzelne Erzähler. Auch mir theilte sich all- mälig jene fieberhafte Aufregung mit, Sie bei einer großen, tief eingreifenden Neuigkeit auch für die nicht unmittelbar Betheiligten gleichsam epidemisch in der Lust zu liegen scheint und die jeder kennt, der die Jahre 1847 — 49 in Italien durchlebt hat. Ich eilte aus unserem entlegenen Quartier, wo gleich¬ sam nur das Echo und die fernsten und leisesten Wellenschlage der politischen Bewegung hinzubringen pflegten, dem volkreichen Mittelpunkt der Stadt zu. Fortwährend ertönte der Generalmarsch durch die Straßen — die National¬ garde, durch den anstrengenden Dienst und die häusig zwecklose Plackerei er¬ müdet, sammelte sich langsam und spärlich in ihren Quartieren. An der nächsten Straßenecke fand ich ein gedrucktes Placat des Volksclubs (circolo äst xoxolo), das Manifest der Radicalen. die, wie es schien, auf den eintre¬ tenden Fall wohlvorbereitet gewesen waren. Dichte Volkshaufen umlagerten diese Maueranschläge; die Zunächststehen¬ den lasen sie mit lauter Stimme, die andern horchten, nicht wenig verwun¬ dert über ihre eigenen Beschlüsse; nirgend erhob sich eine Stimme der Mi߬ billigung oder des Beifalls. Das Manifest des Volksclubs lud die Bürger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/431>, abgerufen am 22.12.2024.