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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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theilen. Uebrigens bemerkt der Verfasser in der Vorrede, daß er die Floren¬
tiner jetzt etwas besser zu beurtheilen gelernt hat.

Vor meinem Schreibtisch sitzend, erzählt er, starrte ich nachdenklich auf das
noch druckfeuchte Morgenblatt der Alba, das in dem gewohnten fulminanten
Stil seiner Mitarbeiter und jener Tage zum hundertsten Mal die allgemeine
Bewaffnung des toscanischen Volkes, und von dem gehegten und gepflegten
Kinde ihrer Wünsche, der (ÜOLtiwento itÄlilma., als sicheres Resultat die
Emancipation und staatliche Einheit Italiens erwartete.

Ueberdrüssig des Lesens von Thorheiten, deren trostlose Leere der bom¬
bastische Schwulst und die abgeschmackte Uebertreibung in Stil und Ausdruck
weder auszufüllen, noch zu verbergen vermochten, öffnete ich das Fenster,
durch welches der frische Hauch eines heitern, sonnigen Fcbruarmorgens her¬
einströmte. An der weißen Wand mir gegenüber nickten die Schatten der
Oleanderbüsche, welche auf der Terrasse über meinem Zimmer im Morgen¬
winde schwankten. Draußen auf der Straße herrschte das gewöhnliche geschäf¬
tige Treiben der Morgenstunden. Der nor^o (Blumenverkäufer) mir seinem
flachen, ausgeschweiften Korbe voll vielfarbiger Nelken, Heliotrop, Jasmin,
Maiblumen und gefüllten Veilchen, deren Blüten die Gunst südlicher Son¬
nenwärme schon mitten im Winter erschlossen hatte, brachte seine Waare auf
den bunten Markt der Binnenstadt. Das abgetriebene Pferd des daroeoiajo
(Karrenführers) zog mühsam die gewaltige Last der Weinfässer, deren dunkel¬
farbigen Inhalt der reiche Segen des vergangenen Herbstes auch dem gering¬
sten Tagelöhner zugänglich machte. Schlanke Landdirnen, denen der wagen-
radförmige Hut auf das sonnverbrannte, aber feine und hübsche Gesicht
herunternickte, brachten ihr Strohgeflecht zur Stadt, wo es ihnen die Großhänd¬
ler für ein Geringes abkaufen, um, nachdem es zierlich in Modeform gebracht,
den überseeischen und transalpinischen Zugvögeln den dreifachen Preis dafür
abzufordern. Auch der Bettler vom Lande schritt gemächlich vorüber im mäch¬
tigweiten Flanellmantel, dessen zacken- und spitzenartige Lappen malerisch im
Winde flatterten; den Knotenstock in der Hand, in den groben und wetterzer¬
rissenen, aber ausdrucksvollen und sprechenden Zügen das Vorgefühl einer
reichen Ernte. Denn Polizei gab es ja nicht, schon lange nicht mehr.

Ein plötzlicher Trommelwirbel schreckte mich aus diesen trüben Betrach¬
tungen, die mich meinen Umgebungen für einen Augenblick entzogen hatten.
Ich horchte genauer: es war der Generalmarsch der Nationalgarde. Also
wieder ein außerordentliches Ereigniß! Aber man war der außerordentlichen
Ereignisse seit Jahren so gewöhnt geworden, das plötzliche Zusammenrufen
der Bürgerwehr war etwas so Gewöhnliches, oft unter den unbedeutendsten
Veranlassungen, daß es höchstens die sprichwörtliche Neugier der Florentiner
wachrief, ohne ihre Verdauung zu stören oder ihren Appetit zu beeinträchtigen.


theilen. Uebrigens bemerkt der Verfasser in der Vorrede, daß er die Floren¬
tiner jetzt etwas besser zu beurtheilen gelernt hat.

Vor meinem Schreibtisch sitzend, erzählt er, starrte ich nachdenklich auf das
noch druckfeuchte Morgenblatt der Alba, das in dem gewohnten fulminanten
Stil seiner Mitarbeiter und jener Tage zum hundertsten Mal die allgemeine
Bewaffnung des toscanischen Volkes, und von dem gehegten und gepflegten
Kinde ihrer Wünsche, der (ÜOLtiwento itÄlilma., als sicheres Resultat die
Emancipation und staatliche Einheit Italiens erwartete.

Ueberdrüssig des Lesens von Thorheiten, deren trostlose Leere der bom¬
bastische Schwulst und die abgeschmackte Uebertreibung in Stil und Ausdruck
weder auszufüllen, noch zu verbergen vermochten, öffnete ich das Fenster,
durch welches der frische Hauch eines heitern, sonnigen Fcbruarmorgens her¬
einströmte. An der weißen Wand mir gegenüber nickten die Schatten der
Oleanderbüsche, welche auf der Terrasse über meinem Zimmer im Morgen¬
winde schwankten. Draußen auf der Straße herrschte das gewöhnliche geschäf¬
tige Treiben der Morgenstunden. Der nor^o (Blumenverkäufer) mir seinem
flachen, ausgeschweiften Korbe voll vielfarbiger Nelken, Heliotrop, Jasmin,
Maiblumen und gefüllten Veilchen, deren Blüten die Gunst südlicher Son¬
nenwärme schon mitten im Winter erschlossen hatte, brachte seine Waare auf
den bunten Markt der Binnenstadt. Das abgetriebene Pferd des daroeoiajo
(Karrenführers) zog mühsam die gewaltige Last der Weinfässer, deren dunkel¬
farbigen Inhalt der reiche Segen des vergangenen Herbstes auch dem gering¬
sten Tagelöhner zugänglich machte. Schlanke Landdirnen, denen der wagen-
radförmige Hut auf das sonnverbrannte, aber feine und hübsche Gesicht
herunternickte, brachten ihr Strohgeflecht zur Stadt, wo es ihnen die Großhänd¬
ler für ein Geringes abkaufen, um, nachdem es zierlich in Modeform gebracht,
den überseeischen und transalpinischen Zugvögeln den dreifachen Preis dafür
abzufordern. Auch der Bettler vom Lande schritt gemächlich vorüber im mäch¬
tigweiten Flanellmantel, dessen zacken- und spitzenartige Lappen malerisch im
Winde flatterten; den Knotenstock in der Hand, in den groben und wetterzer¬
rissenen, aber ausdrucksvollen und sprechenden Zügen das Vorgefühl einer
reichen Ernte. Denn Polizei gab es ja nicht, schon lange nicht mehr.

Ein plötzlicher Trommelwirbel schreckte mich aus diesen trüben Betrach¬
tungen, die mich meinen Umgebungen für einen Augenblick entzogen hatten.
Ich horchte genauer: es war der Generalmarsch der Nationalgarde. Also
wieder ein außerordentliches Ereigniß! Aber man war der außerordentlichen
Ereignisse seit Jahren so gewöhnt geworden, das plötzliche Zusammenrufen
der Bürgerwehr war etwas so Gewöhnliches, oft unter den unbedeutendsten
Veranlassungen, daß es höchstens die sprichwörtliche Neugier der Florentiner
wachrief, ohne ihre Verdauung zu stören oder ihren Appetit zu beeinträchtigen.


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[0430] theilen. Uebrigens bemerkt der Verfasser in der Vorrede, daß er die Floren¬ tiner jetzt etwas besser zu beurtheilen gelernt hat. Vor meinem Schreibtisch sitzend, erzählt er, starrte ich nachdenklich auf das noch druckfeuchte Morgenblatt der Alba, das in dem gewohnten fulminanten Stil seiner Mitarbeiter und jener Tage zum hundertsten Mal die allgemeine Bewaffnung des toscanischen Volkes, und von dem gehegten und gepflegten Kinde ihrer Wünsche, der (ÜOLtiwento itÄlilma., als sicheres Resultat die Emancipation und staatliche Einheit Italiens erwartete. Ueberdrüssig des Lesens von Thorheiten, deren trostlose Leere der bom¬ bastische Schwulst und die abgeschmackte Uebertreibung in Stil und Ausdruck weder auszufüllen, noch zu verbergen vermochten, öffnete ich das Fenster, durch welches der frische Hauch eines heitern, sonnigen Fcbruarmorgens her¬ einströmte. An der weißen Wand mir gegenüber nickten die Schatten der Oleanderbüsche, welche auf der Terrasse über meinem Zimmer im Morgen¬ winde schwankten. Draußen auf der Straße herrschte das gewöhnliche geschäf¬ tige Treiben der Morgenstunden. Der nor^o (Blumenverkäufer) mir seinem flachen, ausgeschweiften Korbe voll vielfarbiger Nelken, Heliotrop, Jasmin, Maiblumen und gefüllten Veilchen, deren Blüten die Gunst südlicher Son¬ nenwärme schon mitten im Winter erschlossen hatte, brachte seine Waare auf den bunten Markt der Binnenstadt. Das abgetriebene Pferd des daroeoiajo (Karrenführers) zog mühsam die gewaltige Last der Weinfässer, deren dunkel¬ farbigen Inhalt der reiche Segen des vergangenen Herbstes auch dem gering¬ sten Tagelöhner zugänglich machte. Schlanke Landdirnen, denen der wagen- radförmige Hut auf das sonnverbrannte, aber feine und hübsche Gesicht herunternickte, brachten ihr Strohgeflecht zur Stadt, wo es ihnen die Großhänd¬ ler für ein Geringes abkaufen, um, nachdem es zierlich in Modeform gebracht, den überseeischen und transalpinischen Zugvögeln den dreifachen Preis dafür abzufordern. Auch der Bettler vom Lande schritt gemächlich vorüber im mäch¬ tigweiten Flanellmantel, dessen zacken- und spitzenartige Lappen malerisch im Winde flatterten; den Knotenstock in der Hand, in den groben und wetterzer¬ rissenen, aber ausdrucksvollen und sprechenden Zügen das Vorgefühl einer reichen Ernte. Denn Polizei gab es ja nicht, schon lange nicht mehr. Ein plötzlicher Trommelwirbel schreckte mich aus diesen trüben Betrach¬ tungen, die mich meinen Umgebungen für einen Augenblick entzogen hatten. Ich horchte genauer: es war der Generalmarsch der Nationalgarde. Also wieder ein außerordentliches Ereigniß! Aber man war der außerordentlichen Ereignisse seit Jahren so gewöhnt geworden, das plötzliche Zusammenrufen der Bürgerwehr war etwas so Gewöhnliches, oft unter den unbedeutendsten Veranlassungen, daß es höchstens die sprichwörtliche Neugier der Florentiner wachrief, ohne ihre Verdauung zu stören oder ihren Appetit zu beeinträchtigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/430>, abgerufen am 22.12.2024.