Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichsam gezwungen, so mußten sie durch die bereits gewonnenen positiven
Resultate der Philosophie vollends veranlaßt werden, sich in die Form und
Haltung der Zeitphilosophie zu schicken. Schon der Phythagoreismus und
noch bei weitem mehr der durch Sokrates Weisheit und des Anaxagoras
Speculation vorbereitete Platonismus war Religions-, war Sittenlehre im
höchsten Sinne des Worts. Die erhabensten Ideen der Vernunft, die Idee
Gottes, eines vollkommen ewigen und unvergänglichen, weisen und heiligen
Gottes, die Idee des die rohe Materie ordnenden und bildenden Geistes, die
Idee der Unsterblichkeit als Vergeltung und Vollendung, die Idee der Ver¬
wandtschaft des Menschen mit Gott durch das aus ihm stammende Sitten¬
gesetz und der Annäherung an ihn durch Heiligkeit und Frömmigkeit fanden
Eingang in die griechische Welt durch den Platonismus. Hoch erhaben über
den Glauben des Volks war die sokratische Moral, war die Platonische Theo¬
logie. Nachdem der mehr negirende Epikureismus und "der geduldige, lamm¬
fromme Stoicismus wieder zurückgetreten waren, erschienen Männer wie Plu-
tarch, Maximus Tyrius und Apulejus, die den Unglauben ihrer Zeit zu be¬
kämpfen und an seiner Statt neue philosophische Ideen zu begründen und zu
entwickeln versuchten. Weniger bezweckten dieselben eine Restauration als eine
Reformation der bestehenden Religionsbegriffe. Sie waren Feinde der an-
thropomorphischcn Vorstellungen von den Göttern; sie dachten sich ihre Gott¬
heit unsinnlich, unsündig und unvergänglich, glaubten an die Unsterblichkeit
und an die sittliche Bestimmung des Menschen. Der Aberglaube schien ihnen
ein noch größeres Uebel als der Unglaube.

Noch enger wurde die Verwandtschaft zwischen den christlichen und den
philosophischen Lehrsätzen durch das Auftreten des Neuplatonismus. Es ist
in der That schwer zu bestimmen, ob dieser dem Christenthum, oder das Chri¬
stenthum ihm mehr zu verdanken hat. Der Neuplatonismus war eine Art
der Philosophie, die bereits an der äußersten Grenze derselben angelangt war.
Sie begünstigte bereits den Glauben an höhere Offenbarungen. Nach ihr
enthielt die Philosophie ihre Principe von der Vernunft, die Vernunft aber
durch Erleuchtung von oben. Ich sollte denken, die Verfechter des Christen¬
thums, das ausgesprochenerweift nach keiner besondern Sprache, keiner eigen¬
thümlichen Volkssitte trachtete und der Landessitte selbst in der Wahl
der Kleidung folgen wollte, wurde so schon von selbst auf die Tracht
der Philosophen, deren Charakteristicum eben Bart und Mantel war, hinge¬
wiesen, ganz abgesehen davon, daß grade die geistvollsten und gediegensten
Vorkämpfer desselben, die Apologeten des zweiten Jahrhunderts nicht nur in
der griechischen Philosophie, wie wir wissen, gebildet waren, sondern sogar
meistens ihre Schulen der Reihe nach durchgemacht und ihren Uebergang zum


gleichsam gezwungen, so mußten sie durch die bereits gewonnenen positiven
Resultate der Philosophie vollends veranlaßt werden, sich in die Form und
Haltung der Zeitphilosophie zu schicken. Schon der Phythagoreismus und
noch bei weitem mehr der durch Sokrates Weisheit und des Anaxagoras
Speculation vorbereitete Platonismus war Religions-, war Sittenlehre im
höchsten Sinne des Worts. Die erhabensten Ideen der Vernunft, die Idee
Gottes, eines vollkommen ewigen und unvergänglichen, weisen und heiligen
Gottes, die Idee des die rohe Materie ordnenden und bildenden Geistes, die
Idee der Unsterblichkeit als Vergeltung und Vollendung, die Idee der Ver¬
wandtschaft des Menschen mit Gott durch das aus ihm stammende Sitten¬
gesetz und der Annäherung an ihn durch Heiligkeit und Frömmigkeit fanden
Eingang in die griechische Welt durch den Platonismus. Hoch erhaben über
den Glauben des Volks war die sokratische Moral, war die Platonische Theo¬
logie. Nachdem der mehr negirende Epikureismus und "der geduldige, lamm¬
fromme Stoicismus wieder zurückgetreten waren, erschienen Männer wie Plu-
tarch, Maximus Tyrius und Apulejus, die den Unglauben ihrer Zeit zu be¬
kämpfen und an seiner Statt neue philosophische Ideen zu begründen und zu
entwickeln versuchten. Weniger bezweckten dieselben eine Restauration als eine
Reformation der bestehenden Religionsbegriffe. Sie waren Feinde der an-
thropomorphischcn Vorstellungen von den Göttern; sie dachten sich ihre Gott¬
heit unsinnlich, unsündig und unvergänglich, glaubten an die Unsterblichkeit
und an die sittliche Bestimmung des Menschen. Der Aberglaube schien ihnen
ein noch größeres Uebel als der Unglaube.

Noch enger wurde die Verwandtschaft zwischen den christlichen und den
philosophischen Lehrsätzen durch das Auftreten des Neuplatonismus. Es ist
in der That schwer zu bestimmen, ob dieser dem Christenthum, oder das Chri¬
stenthum ihm mehr zu verdanken hat. Der Neuplatonismus war eine Art
der Philosophie, die bereits an der äußersten Grenze derselben angelangt war.
Sie begünstigte bereits den Glauben an höhere Offenbarungen. Nach ihr
enthielt die Philosophie ihre Principe von der Vernunft, die Vernunft aber
durch Erleuchtung von oben. Ich sollte denken, die Verfechter des Christen¬
thums, das ausgesprochenerweift nach keiner besondern Sprache, keiner eigen¬
thümlichen Volkssitte trachtete und der Landessitte selbst in der Wahl
der Kleidung folgen wollte, wurde so schon von selbst auf die Tracht
der Philosophen, deren Charakteristicum eben Bart und Mantel war, hinge¬
wiesen, ganz abgesehen davon, daß grade die geistvollsten und gediegensten
Vorkämpfer desselben, die Apologeten des zweiten Jahrhunderts nicht nur in
der griechischen Philosophie, wie wir wissen, gebildet waren, sondern sogar
meistens ihre Schulen der Reihe nach durchgemacht und ihren Uebergang zum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107473"/>
          <p xml:id="ID_1271" prev="#ID_1270"> gleichsam gezwungen, so mußten sie durch die bereits gewonnenen positiven<lb/>
Resultate der Philosophie vollends veranlaßt werden, sich in die Form und<lb/>
Haltung der Zeitphilosophie zu schicken. Schon der Phythagoreismus und<lb/>
noch bei weitem mehr der durch Sokrates Weisheit und des Anaxagoras<lb/>
Speculation vorbereitete Platonismus war Religions-, war Sittenlehre im<lb/>
höchsten Sinne des Worts. Die erhabensten Ideen der Vernunft, die Idee<lb/>
Gottes, eines vollkommen ewigen und unvergänglichen, weisen und heiligen<lb/>
Gottes, die Idee des die rohe Materie ordnenden und bildenden Geistes, die<lb/>
Idee der Unsterblichkeit als Vergeltung und Vollendung, die Idee der Ver¬<lb/>
wandtschaft des Menschen mit Gott durch das aus ihm stammende Sitten¬<lb/>
gesetz und der Annäherung an ihn durch Heiligkeit und Frömmigkeit fanden<lb/>
Eingang in die griechische Welt durch den Platonismus. Hoch erhaben über<lb/>
den Glauben des Volks war die sokratische Moral, war die Platonische Theo¬<lb/>
logie. Nachdem der mehr negirende Epikureismus und "der geduldige, lamm¬<lb/>
fromme Stoicismus wieder zurückgetreten waren, erschienen Männer wie Plu-<lb/>
tarch, Maximus Tyrius und Apulejus, die den Unglauben ihrer Zeit zu be¬<lb/>
kämpfen und an seiner Statt neue philosophische Ideen zu begründen und zu<lb/>
entwickeln versuchten. Weniger bezweckten dieselben eine Restauration als eine<lb/>
Reformation der bestehenden Religionsbegriffe. Sie waren Feinde der an-<lb/>
thropomorphischcn Vorstellungen von den Göttern; sie dachten sich ihre Gott¬<lb/>
heit unsinnlich, unsündig und unvergänglich, glaubten an die Unsterblichkeit<lb/>
und an die sittliche Bestimmung des Menschen. Der Aberglaube schien ihnen<lb/>
ein noch größeres Uebel als der Unglaube.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272" next="#ID_1273"> Noch enger wurde die Verwandtschaft zwischen den christlichen und den<lb/>
philosophischen Lehrsätzen durch das Auftreten des Neuplatonismus. Es ist<lb/>
in der That schwer zu bestimmen, ob dieser dem Christenthum, oder das Chri¬<lb/>
stenthum ihm mehr zu verdanken hat. Der Neuplatonismus war eine Art<lb/>
der Philosophie, die bereits an der äußersten Grenze derselben angelangt war.<lb/>
Sie begünstigte bereits den Glauben an höhere Offenbarungen. Nach ihr<lb/>
enthielt die Philosophie ihre Principe von der Vernunft, die Vernunft aber<lb/>
durch Erleuchtung von oben. Ich sollte denken, die Verfechter des Christen¬<lb/>
thums, das ausgesprochenerweift nach keiner besondern Sprache, keiner eigen¬<lb/>
thümlichen Volkssitte trachtete und der Landessitte selbst in der Wahl<lb/>
der Kleidung folgen wollte, wurde so schon von selbst auf die Tracht<lb/>
der Philosophen, deren Charakteristicum eben Bart und Mantel war, hinge¬<lb/>
wiesen, ganz abgesehen davon, daß grade die geistvollsten und gediegensten<lb/>
Vorkämpfer desselben, die Apologeten des zweiten Jahrhunderts nicht nur in<lb/>
der griechischen Philosophie, wie wir wissen, gebildet waren, sondern sogar<lb/>
meistens ihre Schulen der Reihe nach durchgemacht und ihren Uebergang zum</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] gleichsam gezwungen, so mußten sie durch die bereits gewonnenen positiven Resultate der Philosophie vollends veranlaßt werden, sich in die Form und Haltung der Zeitphilosophie zu schicken. Schon der Phythagoreismus und noch bei weitem mehr der durch Sokrates Weisheit und des Anaxagoras Speculation vorbereitete Platonismus war Religions-, war Sittenlehre im höchsten Sinne des Worts. Die erhabensten Ideen der Vernunft, die Idee Gottes, eines vollkommen ewigen und unvergänglichen, weisen und heiligen Gottes, die Idee des die rohe Materie ordnenden und bildenden Geistes, die Idee der Unsterblichkeit als Vergeltung und Vollendung, die Idee der Ver¬ wandtschaft des Menschen mit Gott durch das aus ihm stammende Sitten¬ gesetz und der Annäherung an ihn durch Heiligkeit und Frömmigkeit fanden Eingang in die griechische Welt durch den Platonismus. Hoch erhaben über den Glauben des Volks war die sokratische Moral, war die Platonische Theo¬ logie. Nachdem der mehr negirende Epikureismus und "der geduldige, lamm¬ fromme Stoicismus wieder zurückgetreten waren, erschienen Männer wie Plu- tarch, Maximus Tyrius und Apulejus, die den Unglauben ihrer Zeit zu be¬ kämpfen und an seiner Statt neue philosophische Ideen zu begründen und zu entwickeln versuchten. Weniger bezweckten dieselben eine Restauration als eine Reformation der bestehenden Religionsbegriffe. Sie waren Feinde der an- thropomorphischcn Vorstellungen von den Göttern; sie dachten sich ihre Gott¬ heit unsinnlich, unsündig und unvergänglich, glaubten an die Unsterblichkeit und an die sittliche Bestimmung des Menschen. Der Aberglaube schien ihnen ein noch größeres Uebel als der Unglaube. Noch enger wurde die Verwandtschaft zwischen den christlichen und den philosophischen Lehrsätzen durch das Auftreten des Neuplatonismus. Es ist in der That schwer zu bestimmen, ob dieser dem Christenthum, oder das Chri¬ stenthum ihm mehr zu verdanken hat. Der Neuplatonismus war eine Art der Philosophie, die bereits an der äußersten Grenze derselben angelangt war. Sie begünstigte bereits den Glauben an höhere Offenbarungen. Nach ihr enthielt die Philosophie ihre Principe von der Vernunft, die Vernunft aber durch Erleuchtung von oben. Ich sollte denken, die Verfechter des Christen¬ thums, das ausgesprochenerweift nach keiner besondern Sprache, keiner eigen¬ thümlichen Volkssitte trachtete und der Landessitte selbst in der Wahl der Kleidung folgen wollte, wurde so schon von selbst auf die Tracht der Philosophen, deren Charakteristicum eben Bart und Mantel war, hinge¬ wiesen, ganz abgesehen davon, daß grade die geistvollsten und gediegensten Vorkämpfer desselben, die Apologeten des zweiten Jahrhunderts nicht nur in der griechischen Philosophie, wie wir wissen, gebildet waren, sondern sogar meistens ihre Schulen der Reihe nach durchgemacht und ihren Uebergang zum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/426>, abgerufen am 22.12.2024.