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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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ftenthum dar, wenn er den Gegnern vorhält: "bei uns lernen nicht nur die
Reichen (wie in den griechischen Philosophenschulen nämlich), sondern auch
die Armen Weisheit und genießen umsonst der heilsamen Lehre." Erst der
Letzte und zugleich Unbedeutendste der Apologeten, Theophilus, obwol er noch
viel und mancherlei von den griechischen Dichtern und Weltweisen zu sagen
hat, verräth bereits eine gewisse Abneigung gegen sie; doch erst Hermias,
von dem es überhaupt unsicher sein soll, ob er noch dieser Zeit angehört, hat
sich das Thema: "alle Philosophie ist unsicher" zum Gegenstand einer beson¬
deren Schrift gewählt, die im Uebrigen nicht weniger Witz und Laune als
Kenntniß von der Geschichte dieser Wissenschaft verrathen soll.

Woher, fragen wir erst jetzt weiter, diese offene, von beiden Seiten aner¬
kannte Zusammenstellung des Christenthums und der Philosophie im zweiten
Jahrhundert nach dem Auftreten des ersteren? Was ist der Grund dieser Erschei¬
nung und was kann die Väter bewogen haben, das Christenthum und sich
selbst in das Gewand der Philosophie zu kleiden? In letzterer Beziehung
will ich nur auf die Verwandtschaft in der Darstellung und der Schreibweise
im Vorbeigehen hingewiesen haben. Dahin gehört beispielsweise die dia¬
logische Form, in welche Minuccius Felix nach dem Muster der Schriften Ci¬
ceros seinen Octavius und Justinus nach dem Platos sein Gespräch mit
dem Juden Tryphon eingekleidet hat oder die drei Schriften des Clemens von
Alexandrien, der Protrepticus. der Pädagogos und die Stromata, in welchen
ihr Verfasser, die Weise der Pythagoräer und Mystagogen seiner Zeit nach¬
ahmend, seine Leser stufenweise zum Ziel führt, um durch die erste sie zu
reinigen , durch die zweite sie einzuweihen, durch die dritte ihnen den Zugang
zu allen Geheimnissen zu eröffnen. Dieser gegenseitige Anschluß ist meiner
Meinung nach gleichsam eine Erbverbrüderung. Der gemeinsame Kampf ge¬
gen das verkommende Heidenthum hat auf dem Schlachtfeld des Geistes die
Streiter zusammengeführt. Die Philosophie ist der Johannes gewesen, wel¬
cher dem Christenthum den Weg geebnet und gebahnt hat.

Gleichviel ob sie mit den Waffen des Witzes und des Spottes, ob sie
mit dialektischer Verstandesschärfe, ob sie schonend ob schonungslos die alten
Götter und ihre Mythen zu Boden schlug. Der heidnische Pöbel hat da¬
mals wie heut der christliche jeden angegeifert, der um des Alters willen nicht
an das Alte glaubte, der den Wahn vom Glauben, den Gott vom Götzen zu
scheiden sich unterfing. Verbannung, Tod, Verbrennung ihrer Schriften, das
war der Lohn der Philosophen der alten Welt und ihre Ehrennamen, Gottes¬
leugner, Atheisten, Religionsverächter, sind von ihnen nur auf die christlichen
Apologeten übertragen worden, welche sich ungescheut ihrer Argumente im
Kampf gegen das Heidenthum bedienten. Hatte so schon die bloße Negation
des Vorhandenen die Christen zu einem Bund mit den Weisen der alten Welt


ftenthum dar, wenn er den Gegnern vorhält: „bei uns lernen nicht nur die
Reichen (wie in den griechischen Philosophenschulen nämlich), sondern auch
die Armen Weisheit und genießen umsonst der heilsamen Lehre." Erst der
Letzte und zugleich Unbedeutendste der Apologeten, Theophilus, obwol er noch
viel und mancherlei von den griechischen Dichtern und Weltweisen zu sagen
hat, verräth bereits eine gewisse Abneigung gegen sie; doch erst Hermias,
von dem es überhaupt unsicher sein soll, ob er noch dieser Zeit angehört, hat
sich das Thema: „alle Philosophie ist unsicher" zum Gegenstand einer beson¬
deren Schrift gewählt, die im Uebrigen nicht weniger Witz und Laune als
Kenntniß von der Geschichte dieser Wissenschaft verrathen soll.

Woher, fragen wir erst jetzt weiter, diese offene, von beiden Seiten aner¬
kannte Zusammenstellung des Christenthums und der Philosophie im zweiten
Jahrhundert nach dem Auftreten des ersteren? Was ist der Grund dieser Erschei¬
nung und was kann die Väter bewogen haben, das Christenthum und sich
selbst in das Gewand der Philosophie zu kleiden? In letzterer Beziehung
will ich nur auf die Verwandtschaft in der Darstellung und der Schreibweise
im Vorbeigehen hingewiesen haben. Dahin gehört beispielsweise die dia¬
logische Form, in welche Minuccius Felix nach dem Muster der Schriften Ci¬
ceros seinen Octavius und Justinus nach dem Platos sein Gespräch mit
dem Juden Tryphon eingekleidet hat oder die drei Schriften des Clemens von
Alexandrien, der Protrepticus. der Pädagogos und die Stromata, in welchen
ihr Verfasser, die Weise der Pythagoräer und Mystagogen seiner Zeit nach¬
ahmend, seine Leser stufenweise zum Ziel führt, um durch die erste sie zu
reinigen , durch die zweite sie einzuweihen, durch die dritte ihnen den Zugang
zu allen Geheimnissen zu eröffnen. Dieser gegenseitige Anschluß ist meiner
Meinung nach gleichsam eine Erbverbrüderung. Der gemeinsame Kampf ge¬
gen das verkommende Heidenthum hat auf dem Schlachtfeld des Geistes die
Streiter zusammengeführt. Die Philosophie ist der Johannes gewesen, wel¬
cher dem Christenthum den Weg geebnet und gebahnt hat.

Gleichviel ob sie mit den Waffen des Witzes und des Spottes, ob sie
mit dialektischer Verstandesschärfe, ob sie schonend ob schonungslos die alten
Götter und ihre Mythen zu Boden schlug. Der heidnische Pöbel hat da¬
mals wie heut der christliche jeden angegeifert, der um des Alters willen nicht
an das Alte glaubte, der den Wahn vom Glauben, den Gott vom Götzen zu
scheiden sich unterfing. Verbannung, Tod, Verbrennung ihrer Schriften, das
war der Lohn der Philosophen der alten Welt und ihre Ehrennamen, Gottes¬
leugner, Atheisten, Religionsverächter, sind von ihnen nur auf die christlichen
Apologeten übertragen worden, welche sich ungescheut ihrer Argumente im
Kampf gegen das Heidenthum bedienten. Hatte so schon die bloße Negation
des Vorhandenen die Christen zu einem Bund mit den Weisen der alten Welt


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[0425] ftenthum dar, wenn er den Gegnern vorhält: „bei uns lernen nicht nur die Reichen (wie in den griechischen Philosophenschulen nämlich), sondern auch die Armen Weisheit und genießen umsonst der heilsamen Lehre." Erst der Letzte und zugleich Unbedeutendste der Apologeten, Theophilus, obwol er noch viel und mancherlei von den griechischen Dichtern und Weltweisen zu sagen hat, verräth bereits eine gewisse Abneigung gegen sie; doch erst Hermias, von dem es überhaupt unsicher sein soll, ob er noch dieser Zeit angehört, hat sich das Thema: „alle Philosophie ist unsicher" zum Gegenstand einer beson¬ deren Schrift gewählt, die im Uebrigen nicht weniger Witz und Laune als Kenntniß von der Geschichte dieser Wissenschaft verrathen soll. Woher, fragen wir erst jetzt weiter, diese offene, von beiden Seiten aner¬ kannte Zusammenstellung des Christenthums und der Philosophie im zweiten Jahrhundert nach dem Auftreten des ersteren? Was ist der Grund dieser Erschei¬ nung und was kann die Väter bewogen haben, das Christenthum und sich selbst in das Gewand der Philosophie zu kleiden? In letzterer Beziehung will ich nur auf die Verwandtschaft in der Darstellung und der Schreibweise im Vorbeigehen hingewiesen haben. Dahin gehört beispielsweise die dia¬ logische Form, in welche Minuccius Felix nach dem Muster der Schriften Ci¬ ceros seinen Octavius und Justinus nach dem Platos sein Gespräch mit dem Juden Tryphon eingekleidet hat oder die drei Schriften des Clemens von Alexandrien, der Protrepticus. der Pädagogos und die Stromata, in welchen ihr Verfasser, die Weise der Pythagoräer und Mystagogen seiner Zeit nach¬ ahmend, seine Leser stufenweise zum Ziel führt, um durch die erste sie zu reinigen , durch die zweite sie einzuweihen, durch die dritte ihnen den Zugang zu allen Geheimnissen zu eröffnen. Dieser gegenseitige Anschluß ist meiner Meinung nach gleichsam eine Erbverbrüderung. Der gemeinsame Kampf ge¬ gen das verkommende Heidenthum hat auf dem Schlachtfeld des Geistes die Streiter zusammengeführt. Die Philosophie ist der Johannes gewesen, wel¬ cher dem Christenthum den Weg geebnet und gebahnt hat. Gleichviel ob sie mit den Waffen des Witzes und des Spottes, ob sie mit dialektischer Verstandesschärfe, ob sie schonend ob schonungslos die alten Götter und ihre Mythen zu Boden schlug. Der heidnische Pöbel hat da¬ mals wie heut der christliche jeden angegeifert, der um des Alters willen nicht an das Alte glaubte, der den Wahn vom Glauben, den Gott vom Götzen zu scheiden sich unterfing. Verbannung, Tod, Verbrennung ihrer Schriften, das war der Lohn der Philosophen der alten Welt und ihre Ehrennamen, Gottes¬ leugner, Atheisten, Religionsverächter, sind von ihnen nur auf die christlichen Apologeten übertragen worden, welche sich ungescheut ihrer Argumente im Kampf gegen das Heidenthum bedienten. Hatte so schon die bloße Negation des Vorhandenen die Christen zu einem Bund mit den Weisen der alten Welt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/425>, abgerufen am 22.12.2024.