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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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erweckt das innere Leben und stellt dasselbe wieder her, die Kunst ist die
Darstellung des inneren Lebens und hier zeigt sich die innere Verwandtschaft
von Wissenschaft^), von Religion und Kunst. (Rafaels Disputa. Düs-
seld. 1859. S. 4.)

Die Vnder drückten diesen Gedanken einfacher und ehrlicher, wie wir
meinen, so aus. Justinus Martyr sagt: "Alle, die der Vernunft gemäß ge¬
lebt haben, sind Christen, auch wenn sie für Atheisten galten, wie unter den
Hellenen Sokrates und Heraklit und die ihnen Ebenbürtigen." Minuccius
Felix variirt dieses Thema nur, wenn er behauptet: "entweder müßten die
Christen Philosophen oder die Philosophen Christen gewesen sein." Athena-
goras weist in seiner am Ende des zweiten Jahrhunderts abgefaßten Schutzschrift
besonders darauf hin: daß griechische Weltweise längst vor den Christen auf
christliche Weise von Gott und den göttlichen Dingen gelehrt hätten. Clemens
von Alexandrien in den Stromata stellt die christliche Lehre als "die erhabenste
und vollkommenste Philosophie" dar. Justinus Martyr argumentire folgender¬
maßen: "der in Christus erschienene Logos, die in ihm offenbar gewordene
Gotteskraft, habe auch im den Weisen der griechischen Welt, in einem So¬
krates namentlich, gewaltet." Melito, Bischof von Sardes, bezeichnet in
einem uns durch Eusebius erhaltenen Fragment das Christenthum gradezu
als "die neue Philosophie". Am allerweitesten ging in dieser Hinsicht aber
die gnostisch-kirchliche Sekte der Karpokratinianer. Sie stellte die Bilder des
Plato, Aristoteles und des Pythagoras in ihren Versammlungsörtern neben
dem des Heilandes selbst auf. Der Kampf der Apologeten gegen die Philo¬
sophie beschränkt sich, wo derselbe überhaupt stattgefunden hat, auf eine Zusam¬
menstellung widersprechender Lehrsätze und das Resultat ist: man brauche noch
zuverlässigere Führer, nämlich die miteinander übereinstimmenden vom gött¬
lichen Geist erleuchteten Propheten und Apostel.

Umgekehrt ist aber auch von feindlicher Seite, wie von den im Kampf
neutral Gebliebenen, das Christenthum nur als eine neue Philosophie ange¬
sehen und behandelt worden. Der Spötter Lucian, der trotz seiner Gering¬
schätzung der antiken Religionsvorstellung nichts weniger als ein Freund des
Christenthums war, sieht in dem Stifter dieser neuen Mysterien nur einen
gekreuzigten Sophisten, und aus Origenes wissen wir, daß Celsus. einer der
Apologeten des Heidenthums, den Christen den Vorwurf machte: "Alles Wahre
und Gute, das ihr besitzt, ist längst unser Eigenthum; das alles haben die
griechischen Philosophen, namentlich Plato, besser und würdiger gelehrt, nur
nicht in dem drohenden und befehlenden Tone eurer heiligen Bücher." Wir
sehen also Einigkeit in diesem Punkte bei Freund und Feind; was die Einen
suchen und erstreben, das bürden die Andern ihnen freiwillig auf. Als eine
Volksphilosophie, wenn der Ausdruck erlaubt ist. stellt auch Tatian das Chri-


erweckt das innere Leben und stellt dasselbe wieder her, die Kunst ist die
Darstellung des inneren Lebens und hier zeigt sich die innere Verwandtschaft
von Wissenschaft^), von Religion und Kunst. (Rafaels Disputa. Düs-
seld. 1859. S. 4.)

Die Vnder drückten diesen Gedanken einfacher und ehrlicher, wie wir
meinen, so aus. Justinus Martyr sagt: „Alle, die der Vernunft gemäß ge¬
lebt haben, sind Christen, auch wenn sie für Atheisten galten, wie unter den
Hellenen Sokrates und Heraklit und die ihnen Ebenbürtigen." Minuccius
Felix variirt dieses Thema nur, wenn er behauptet: „entweder müßten die
Christen Philosophen oder die Philosophen Christen gewesen sein." Athena-
goras weist in seiner am Ende des zweiten Jahrhunderts abgefaßten Schutzschrift
besonders darauf hin: daß griechische Weltweise längst vor den Christen auf
christliche Weise von Gott und den göttlichen Dingen gelehrt hätten. Clemens
von Alexandrien in den Stromata stellt die christliche Lehre als „die erhabenste
und vollkommenste Philosophie" dar. Justinus Martyr argumentire folgender¬
maßen: „der in Christus erschienene Logos, die in ihm offenbar gewordene
Gotteskraft, habe auch im den Weisen der griechischen Welt, in einem So¬
krates namentlich, gewaltet." Melito, Bischof von Sardes, bezeichnet in
einem uns durch Eusebius erhaltenen Fragment das Christenthum gradezu
als „die neue Philosophie". Am allerweitesten ging in dieser Hinsicht aber
die gnostisch-kirchliche Sekte der Karpokratinianer. Sie stellte die Bilder des
Plato, Aristoteles und des Pythagoras in ihren Versammlungsörtern neben
dem des Heilandes selbst auf. Der Kampf der Apologeten gegen die Philo¬
sophie beschränkt sich, wo derselbe überhaupt stattgefunden hat, auf eine Zusam¬
menstellung widersprechender Lehrsätze und das Resultat ist: man brauche noch
zuverlässigere Führer, nämlich die miteinander übereinstimmenden vom gött¬
lichen Geist erleuchteten Propheten und Apostel.

Umgekehrt ist aber auch von feindlicher Seite, wie von den im Kampf
neutral Gebliebenen, das Christenthum nur als eine neue Philosophie ange¬
sehen und behandelt worden. Der Spötter Lucian, der trotz seiner Gering¬
schätzung der antiken Religionsvorstellung nichts weniger als ein Freund des
Christenthums war, sieht in dem Stifter dieser neuen Mysterien nur einen
gekreuzigten Sophisten, und aus Origenes wissen wir, daß Celsus. einer der
Apologeten des Heidenthums, den Christen den Vorwurf machte: „Alles Wahre
und Gute, das ihr besitzt, ist längst unser Eigenthum; das alles haben die
griechischen Philosophen, namentlich Plato, besser und würdiger gelehrt, nur
nicht in dem drohenden und befehlenden Tone eurer heiligen Bücher." Wir
sehen also Einigkeit in diesem Punkte bei Freund und Feind; was die Einen
suchen und erstreben, das bürden die Andern ihnen freiwillig auf. Als eine
Volksphilosophie, wenn der Ausdruck erlaubt ist. stellt auch Tatian das Chri-


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[0424] erweckt das innere Leben und stellt dasselbe wieder her, die Kunst ist die Darstellung des inneren Lebens und hier zeigt sich die innere Verwandtschaft von Wissenschaft^), von Religion und Kunst. (Rafaels Disputa. Düs- seld. 1859. S. 4.) Die Vnder drückten diesen Gedanken einfacher und ehrlicher, wie wir meinen, so aus. Justinus Martyr sagt: „Alle, die der Vernunft gemäß ge¬ lebt haben, sind Christen, auch wenn sie für Atheisten galten, wie unter den Hellenen Sokrates und Heraklit und die ihnen Ebenbürtigen." Minuccius Felix variirt dieses Thema nur, wenn er behauptet: „entweder müßten die Christen Philosophen oder die Philosophen Christen gewesen sein." Athena- goras weist in seiner am Ende des zweiten Jahrhunderts abgefaßten Schutzschrift besonders darauf hin: daß griechische Weltweise längst vor den Christen auf christliche Weise von Gott und den göttlichen Dingen gelehrt hätten. Clemens von Alexandrien in den Stromata stellt die christliche Lehre als „die erhabenste und vollkommenste Philosophie" dar. Justinus Martyr argumentire folgender¬ maßen: „der in Christus erschienene Logos, die in ihm offenbar gewordene Gotteskraft, habe auch im den Weisen der griechischen Welt, in einem So¬ krates namentlich, gewaltet." Melito, Bischof von Sardes, bezeichnet in einem uns durch Eusebius erhaltenen Fragment das Christenthum gradezu als „die neue Philosophie". Am allerweitesten ging in dieser Hinsicht aber die gnostisch-kirchliche Sekte der Karpokratinianer. Sie stellte die Bilder des Plato, Aristoteles und des Pythagoras in ihren Versammlungsörtern neben dem des Heilandes selbst auf. Der Kampf der Apologeten gegen die Philo¬ sophie beschränkt sich, wo derselbe überhaupt stattgefunden hat, auf eine Zusam¬ menstellung widersprechender Lehrsätze und das Resultat ist: man brauche noch zuverlässigere Führer, nämlich die miteinander übereinstimmenden vom gött¬ lichen Geist erleuchteten Propheten und Apostel. Umgekehrt ist aber auch von feindlicher Seite, wie von den im Kampf neutral Gebliebenen, das Christenthum nur als eine neue Philosophie ange¬ sehen und behandelt worden. Der Spötter Lucian, der trotz seiner Gering¬ schätzung der antiken Religionsvorstellung nichts weniger als ein Freund des Christenthums war, sieht in dem Stifter dieser neuen Mysterien nur einen gekreuzigten Sophisten, und aus Origenes wissen wir, daß Celsus. einer der Apologeten des Heidenthums, den Christen den Vorwurf machte: „Alles Wahre und Gute, das ihr besitzt, ist längst unser Eigenthum; das alles haben die griechischen Philosophen, namentlich Plato, besser und würdiger gelehrt, nur nicht in dem drohenden und befehlenden Tone eurer heiligen Bücher." Wir sehen also Einigkeit in diesem Punkte bei Freund und Feind; was die Einen suchen und erstreben, das bürden die Andern ihnen freiwillig auf. Als eine Volksphilosophie, wenn der Ausdruck erlaubt ist. stellt auch Tatian das Chri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/424>, abgerufen am 22.12.2024.