Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.Bewahre der Himmel, daß ich ihr etwas merken lassen sollte.*) Sie erhält ') Schiller sagte später, im stillen Gefühl seines Unrechts, der alten Freundin viel gute
Worte; daß er aber im Grund bei jener Meinung blieb, zeigt folgender Brief an Goethe, 12. Mai 1802: "Der Kalb habe ich den Alarkos lesen lasse", aus Neugier, wie c^n solches Product aus einen solchen Sinn wirken würde. Aber es sind närrische Dinge dabei zum Vor¬ schein gekommen, und ich werde mich hüten, eine solche Probe zu wiederholen . . , Sie meint, sür den Verfasser der Lucinde, an der sie ein großes Wohlgefallen zu haben schien, sei dieser Alarkos ein sehr religiöses Product. Die passtonirtcste Natur in dem Stück, die Infantin fand sie abscheulich und unmoralisch, grade gegen meine Erwartung; aber es scheint, daß die gleichnamigen Pole sich überall abstoßen müssen." Die Jiisantin ist es. die den Mord der Gräfin Alarkos veranlaßt, weil sie den Grafen liebt! Bewahre der Himmel, daß ich ihr etwas merken lassen sollte.*) Sie erhält ') Schiller sagte später, im stillen Gefühl seines Unrechts, der alten Freundin viel gute
Worte; daß er aber im Grund bei jener Meinung blieb, zeigt folgender Brief an Goethe, 12. Mai 1802: „Der Kalb habe ich den Alarkos lesen lasse», aus Neugier, wie c^n solches Product aus einen solchen Sinn wirken würde. Aber es sind närrische Dinge dabei zum Vor¬ schein gekommen, und ich werde mich hüten, eine solche Probe zu wiederholen . . , Sie meint, sür den Verfasser der Lucinde, an der sie ein großes Wohlgefallen zu haben schien, sei dieser Alarkos ein sehr religiöses Product. Die passtonirtcste Natur in dem Stück, die Infantin fand sie abscheulich und unmoralisch, grade gegen meine Erwartung; aber es scheint, daß die gleichnamigen Pole sich überall abstoßen müssen." Die Jiisantin ist es. die den Mord der Gräfin Alarkos veranlaßt, weil sie den Grafen liebt! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107389"/> <p xml:id="ID_1012" prev="#ID_1011"> Bewahre der Himmel, daß ich ihr etwas merken lassen sollte.*) Sie erhält<lb/> jetzt von mir keine Antwort auf ihre Briefe mehr. Wie kann ich ihr schreiben?"<lb/> — 12. Febr. — „Wahrscheinlich war es eine Wirkung meines letzten Briefes, was<lb/> Charlotten bei eurer letzten Zusammenkunft mit ihr ein so sonderbares Betragen<lb/> gegeben hat. Ich begreift nicht, mit welcher Stirn sie mir schreiben konnte, daß<lb/> ich „die giftigen Zungen nicht die Wahrheit solle geredet haben lassen." Daß sie<lb/> sich in unser Betragen gegeneinander gemischt hat. ist doch ziemlich entschieden,<lb/> sie hat also wirklich gegen sich selbst gesprochen. Sie empfahl mir bei meiner<lb/> Antwort Genauigkeit in der Aufschrift des Briefs, weil sie fürchtete, daß er<lb/> in ihrer Schwester Hände kommen könnte. Das gab mir Gelegenheit, ihr zu<lb/> sagen, daß die Borsicht nicht überflüssig sei, denn mir wäre es wirklich begeg¬<lb/> net, daß von den Briefen, die ich nach Weimar geschrieben, einige durch fremde<lb/> Hände gegangen. Sie drang in mich in ihren letzten Briefen, sie nur auf<lb/> einen Augenblick zu besuchen, weil sie mir etwas sehr Wichtiges zu sagen habe.<lb/> Da ich es neulich endlich ganz abschlug, so eröffnete sie mir in ihrem letzten<lb/> Brief die Sache, um derentwillen sie so nöthig fand, mich zu sprechen. Das<lb/> war nun offenbar nicht die Wahrheit, denn ihr Anliegen ist durch einen Bries<lb/> fast noch leichter abzuthun gewesen. Sie war nie wahr gegen mich, als etwa<lb/> in einer leidenschaftlichen Stunde, mit Klugheit und List wollte sie mich umstricken.<lb/> Sie ist jetzt nicht edel und nicht einmal höflich genug, um mir Achtung ein¬<lb/> zuflößen. Da ich ihr neulich schrieb, ich zweifle, ob sie jetzt die Stimmung<lb/> schon gefunden hätte, worin unsre Zusammenkunft für uns beide erfreulich<lb/> sein könne, und daß ick) dieses aus einigen Vorfällen schlösse, so antwortet<lb/> sie mir nun: Ich irre mich sehr, wenn ich ihr jetziges Betragen mit jener<lb/> Tollheit, mit jenem ungeschickten Traum, der lange schon nicht mehr in ihrer<lb/> Erinnerung sei, in Zusammenhang brächte, und dergleichen mehr. Darauf<lb/> schrieb ich ihr: Die Versicherung, die sie mir gebe, daß das Vergangene in ihrer<lb/> Erinnerung ausgelöscht sei, erlaube mir endlich freimüthig über das Glück<lb/> mit ihr zu sprechen, das meine nahe Verbindung mir gewähre; ich sprach nun<lb/> mit vollem Herzen von unsrer Zukunft, und dies hat sie nicht ertragen. H«t<lb/> sie es nicht durch die Platitüde verdient, womit sie ihre eigne Empfindung</p><lb/> <note xml:id="FID_31" place="foot"> ') Schiller sagte später, im stillen Gefühl seines Unrechts, der alten Freundin viel gute<lb/> Worte; daß er aber im Grund bei jener Meinung blieb, zeigt folgender Brief an Goethe,<lb/> 12. Mai 1802: „Der Kalb habe ich den Alarkos lesen lasse», aus Neugier, wie c^n solches<lb/> Product aus einen solchen Sinn wirken würde. Aber es sind närrische Dinge dabei zum Vor¬<lb/> schein gekommen, und ich werde mich hüten, eine solche Probe zu wiederholen . . , Sie meint,<lb/> sür den Verfasser der Lucinde, an der sie ein großes Wohlgefallen zu haben schien, sei dieser<lb/> Alarkos ein sehr religiöses Product. Die passtonirtcste Natur in dem Stück, die Infantin<lb/> fand sie abscheulich und unmoralisch, grade gegen meine Erwartung; aber es scheint, daß<lb/> die gleichnamigen Pole sich überall abstoßen müssen." Die Jiisantin ist es. die<lb/> den Mord der Gräfin Alarkos veranlaßt, weil sie den Grafen liebt!</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0342]
Bewahre der Himmel, daß ich ihr etwas merken lassen sollte.*) Sie erhält
jetzt von mir keine Antwort auf ihre Briefe mehr. Wie kann ich ihr schreiben?"
— 12. Febr. — „Wahrscheinlich war es eine Wirkung meines letzten Briefes, was
Charlotten bei eurer letzten Zusammenkunft mit ihr ein so sonderbares Betragen
gegeben hat. Ich begreift nicht, mit welcher Stirn sie mir schreiben konnte, daß
ich „die giftigen Zungen nicht die Wahrheit solle geredet haben lassen." Daß sie
sich in unser Betragen gegeneinander gemischt hat. ist doch ziemlich entschieden,
sie hat also wirklich gegen sich selbst gesprochen. Sie empfahl mir bei meiner
Antwort Genauigkeit in der Aufschrift des Briefs, weil sie fürchtete, daß er
in ihrer Schwester Hände kommen könnte. Das gab mir Gelegenheit, ihr zu
sagen, daß die Borsicht nicht überflüssig sei, denn mir wäre es wirklich begeg¬
net, daß von den Briefen, die ich nach Weimar geschrieben, einige durch fremde
Hände gegangen. Sie drang in mich in ihren letzten Briefen, sie nur auf
einen Augenblick zu besuchen, weil sie mir etwas sehr Wichtiges zu sagen habe.
Da ich es neulich endlich ganz abschlug, so eröffnete sie mir in ihrem letzten
Brief die Sache, um derentwillen sie so nöthig fand, mich zu sprechen. Das
war nun offenbar nicht die Wahrheit, denn ihr Anliegen ist durch einen Bries
fast noch leichter abzuthun gewesen. Sie war nie wahr gegen mich, als etwa
in einer leidenschaftlichen Stunde, mit Klugheit und List wollte sie mich umstricken.
Sie ist jetzt nicht edel und nicht einmal höflich genug, um mir Achtung ein¬
zuflößen. Da ich ihr neulich schrieb, ich zweifle, ob sie jetzt die Stimmung
schon gefunden hätte, worin unsre Zusammenkunft für uns beide erfreulich
sein könne, und daß ick) dieses aus einigen Vorfällen schlösse, so antwortet
sie mir nun: Ich irre mich sehr, wenn ich ihr jetziges Betragen mit jener
Tollheit, mit jenem ungeschickten Traum, der lange schon nicht mehr in ihrer
Erinnerung sei, in Zusammenhang brächte, und dergleichen mehr. Darauf
schrieb ich ihr: Die Versicherung, die sie mir gebe, daß das Vergangene in ihrer
Erinnerung ausgelöscht sei, erlaube mir endlich freimüthig über das Glück
mit ihr zu sprechen, das meine nahe Verbindung mir gewähre; ich sprach nun
mit vollem Herzen von unsrer Zukunft, und dies hat sie nicht ertragen. H«t
sie es nicht durch die Platitüde verdient, womit sie ihre eigne Empfindung
') Schiller sagte später, im stillen Gefühl seines Unrechts, der alten Freundin viel gute
Worte; daß er aber im Grund bei jener Meinung blieb, zeigt folgender Brief an Goethe,
12. Mai 1802: „Der Kalb habe ich den Alarkos lesen lasse», aus Neugier, wie c^n solches
Product aus einen solchen Sinn wirken würde. Aber es sind närrische Dinge dabei zum Vor¬
schein gekommen, und ich werde mich hüten, eine solche Probe zu wiederholen . . , Sie meint,
sür den Verfasser der Lucinde, an der sie ein großes Wohlgefallen zu haben schien, sei dieser
Alarkos ein sehr religiöses Product. Die passtonirtcste Natur in dem Stück, die Infantin
fand sie abscheulich und unmoralisch, grade gegen meine Erwartung; aber es scheint, daß
die gleichnamigen Pole sich überall abstoßen müssen." Die Jiisantin ist es. die
den Mord der Gräfin Alarkos veranlaßt, weil sie den Grafen liebt!
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