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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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aus dem ersten Anblick urtheilen konnte; denn ich habe ihn nur einmal ge¬
sprochen. Sie ist gesund und sehr aufgeweckt. Ich weiß nicht, ob die Gegen¬
wart des Mannes mich lassen wird, wie ich bin. Ich fühle in mir schon
einige Veränderung, die weiter gehn kann. Wielands Haus besuche ich jetzt
am fleißigsten, und ich glaube, es wird so bleiben. Laß diese Stelle unsere
Weiber nicht lesen." 19. Dec.: "Charlotten seh ich die Woche nur drei,
höchstens viermal, weil ich jetzt nie als die Abende ausgehe, und sonst alle
andere Menschen vernachlässigen müßte. Auch sind Kalbs fast über den andern
Tag bei Hof oder sonst herum. Ich höre, daß sie dir geschrieben hat."
8. Jan. 1 788. "Dabei bleibt es. daß ich Heirathe. Könntest du in meiner
Seele so lesen wie ich selbst, du würdest keine Minute darüber unentschieden
für. Alle meine Triebe zu Leben und Thätigkeit sind in mir abgenutzt; diesen
einzigen habe ich noch nicht versucht. Ich führe eine elende Existenz, elend
durch den innern Zustand meines Wesens. Ich muß ein Geschöpf um mich
haben, das mir gehört, das ich glücklich machen kann und muß. an dessen
Dasein mein eignes sich erfrischt. Du weißt nicht, wie verwüstet mein Ge¬
müth, wie verfinstert mein Kopf ist. durch inneres Abarbeiten meiner Empfin¬
dungen ... So bin ich fast die ganze Zeit meines Hierseins gewesen, so
kennt mich Charlotte seit langer Zeit . . . Ich bin bis jetzt ein isolirter frem¬
der Mensch in der Natur umhergeirrt und habe nichts als Eigenthum besessen.
Alle Wesen, an die ich mich fesselte, haben etwas gehabt, das ihnen theurer
war als ich. und damit kann sich mein Herz nicht behelfen. Ich sehne mich
nach einer bürgerlichen und häuslichen Existenz. Glaube nicht, daß ich ge¬
wählt habe." -- 18. Jan. "Ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück
gefühlt -- und nicht sowol. weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern
weil ich die Freuden mehr naschte als genoß, weil es mir an innerer gleicher
und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des Familienlebens,
die Uebung des Gefühls in vielen und ununterbrochenen, wenn auch nur
kleinen und schwachen geselligen Empfindungen gibt."

17. März 1788. "Frau von Kalb ist mit ihrem Mann jetzt von hier
abwesend (in Waltershausen, schon seit dem Februar), und wird erst zu Ende
dieses Monats wieder zurückkommen. Sie hat eine Zusammenkunft mit ihrem
Schwager, eines Processes wegen. Ihre Abwesenheit macht mich jetzt mnnch-
wal zum Einsiedler, weil ich in den Abendstunden, die fast allein meiner Er¬
holung erlaubt sind, nicht zu jedermann mag oder kann." "Die Wielandsche
Tochter ist so gut als versprochen." -- 31. März: "Charlotte erwarte ich
nächste Woche wieder zurück; ihr Mann kommt auch mit."

Schon am 6. März lesen wir: "Du thatest, als ob du wissest, ich habe
hier eine ernsthafte Geschichte, auf die ich euch nach und nach vorbereiten
sollte . . Mer bei dem. was ich dir geschrieben, hat mich nichts als kalte


aus dem ersten Anblick urtheilen konnte; denn ich habe ihn nur einmal ge¬
sprochen. Sie ist gesund und sehr aufgeweckt. Ich weiß nicht, ob die Gegen¬
wart des Mannes mich lassen wird, wie ich bin. Ich fühle in mir schon
einige Veränderung, die weiter gehn kann. Wielands Haus besuche ich jetzt
am fleißigsten, und ich glaube, es wird so bleiben. Laß diese Stelle unsere
Weiber nicht lesen." 19. Dec.: „Charlotten seh ich die Woche nur drei,
höchstens viermal, weil ich jetzt nie als die Abende ausgehe, und sonst alle
andere Menschen vernachlässigen müßte. Auch sind Kalbs fast über den andern
Tag bei Hof oder sonst herum. Ich höre, daß sie dir geschrieben hat."
8. Jan. 1 788. „Dabei bleibt es. daß ich Heirathe. Könntest du in meiner
Seele so lesen wie ich selbst, du würdest keine Minute darüber unentschieden
für. Alle meine Triebe zu Leben und Thätigkeit sind in mir abgenutzt; diesen
einzigen habe ich noch nicht versucht. Ich führe eine elende Existenz, elend
durch den innern Zustand meines Wesens. Ich muß ein Geschöpf um mich
haben, das mir gehört, das ich glücklich machen kann und muß. an dessen
Dasein mein eignes sich erfrischt. Du weißt nicht, wie verwüstet mein Ge¬
müth, wie verfinstert mein Kopf ist. durch inneres Abarbeiten meiner Empfin¬
dungen ... So bin ich fast die ganze Zeit meines Hierseins gewesen, so
kennt mich Charlotte seit langer Zeit . . . Ich bin bis jetzt ein isolirter frem¬
der Mensch in der Natur umhergeirrt und habe nichts als Eigenthum besessen.
Alle Wesen, an die ich mich fesselte, haben etwas gehabt, das ihnen theurer
war als ich. und damit kann sich mein Herz nicht behelfen. Ich sehne mich
nach einer bürgerlichen und häuslichen Existenz. Glaube nicht, daß ich ge¬
wählt habe." — 18. Jan. „Ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück
gefühlt — und nicht sowol. weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern
weil ich die Freuden mehr naschte als genoß, weil es mir an innerer gleicher
und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des Familienlebens,
die Uebung des Gefühls in vielen und ununterbrochenen, wenn auch nur
kleinen und schwachen geselligen Empfindungen gibt."

17. März 1788. „Frau von Kalb ist mit ihrem Mann jetzt von hier
abwesend (in Waltershausen, schon seit dem Februar), und wird erst zu Ende
dieses Monats wieder zurückkommen. Sie hat eine Zusammenkunft mit ihrem
Schwager, eines Processes wegen. Ihre Abwesenheit macht mich jetzt mnnch-
wal zum Einsiedler, weil ich in den Abendstunden, die fast allein meiner Er¬
holung erlaubt sind, nicht zu jedermann mag oder kann." „Die Wielandsche
Tochter ist so gut als versprochen." — 31. März: „Charlotte erwarte ich
nächste Woche wieder zurück; ihr Mann kommt auch mit."

Schon am 6. März lesen wir: „Du thatest, als ob du wissest, ich habe
hier eine ernsthafte Geschichte, auf die ich euch nach und nach vorbereiten
sollte . . Mer bei dem. was ich dir geschrieben, hat mich nichts als kalte


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[0337] aus dem ersten Anblick urtheilen konnte; denn ich habe ihn nur einmal ge¬ sprochen. Sie ist gesund und sehr aufgeweckt. Ich weiß nicht, ob die Gegen¬ wart des Mannes mich lassen wird, wie ich bin. Ich fühle in mir schon einige Veränderung, die weiter gehn kann. Wielands Haus besuche ich jetzt am fleißigsten, und ich glaube, es wird so bleiben. Laß diese Stelle unsere Weiber nicht lesen." 19. Dec.: „Charlotten seh ich die Woche nur drei, höchstens viermal, weil ich jetzt nie als die Abende ausgehe, und sonst alle andere Menschen vernachlässigen müßte. Auch sind Kalbs fast über den andern Tag bei Hof oder sonst herum. Ich höre, daß sie dir geschrieben hat." 8. Jan. 1 788. „Dabei bleibt es. daß ich Heirathe. Könntest du in meiner Seele so lesen wie ich selbst, du würdest keine Minute darüber unentschieden für. Alle meine Triebe zu Leben und Thätigkeit sind in mir abgenutzt; diesen einzigen habe ich noch nicht versucht. Ich führe eine elende Existenz, elend durch den innern Zustand meines Wesens. Ich muß ein Geschöpf um mich haben, das mir gehört, das ich glücklich machen kann und muß. an dessen Dasein mein eignes sich erfrischt. Du weißt nicht, wie verwüstet mein Ge¬ müth, wie verfinstert mein Kopf ist. durch inneres Abarbeiten meiner Empfin¬ dungen ... So bin ich fast die ganze Zeit meines Hierseins gewesen, so kennt mich Charlotte seit langer Zeit . . . Ich bin bis jetzt ein isolirter frem¬ der Mensch in der Natur umhergeirrt und habe nichts als Eigenthum besessen. Alle Wesen, an die ich mich fesselte, haben etwas gehabt, das ihnen theurer war als ich. und damit kann sich mein Herz nicht behelfen. Ich sehne mich nach einer bürgerlichen und häuslichen Existenz. Glaube nicht, daß ich ge¬ wählt habe." — 18. Jan. „Ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück gefühlt — und nicht sowol. weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern weil ich die Freuden mehr naschte als genoß, weil es mir an innerer gleicher und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des Familienlebens, die Uebung des Gefühls in vielen und ununterbrochenen, wenn auch nur kleinen und schwachen geselligen Empfindungen gibt." 17. März 1788. „Frau von Kalb ist mit ihrem Mann jetzt von hier abwesend (in Waltershausen, schon seit dem Februar), und wird erst zu Ende dieses Monats wieder zurückkommen. Sie hat eine Zusammenkunft mit ihrem Schwager, eines Processes wegen. Ihre Abwesenheit macht mich jetzt mnnch- wal zum Einsiedler, weil ich in den Abendstunden, die fast allein meiner Er¬ holung erlaubt sind, nicht zu jedermann mag oder kann." „Die Wielandsche Tochter ist so gut als versprochen." — 31. März: „Charlotte erwarte ich nächste Woche wieder zurück; ihr Mann kommt auch mit." Schon am 6. März lesen wir: „Du thatest, als ob du wissest, ich habe hier eine ernsthafte Geschichte, auf die ich euch nach und nach vorbereiten sollte . . Mer bei dem. was ich dir geschrieben, hat mich nichts als kalte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/337>, abgerufen am 22.12.2024.