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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Ueberlegung geleitet, ohne positiven Gegenstand. Neuerdings ließ ich zwar
ein Wort gegen dich fallen, das dich auf irgend eine Vermuthung führen
konnte -- aber dieses schläft tief in meiner Seele, und Charlotte selbst, die
mich fein durchsieht und bewacht, hat noch gar nichts davon geahnt." -- Er
war hier einmal wirklich verschlossen.--Seit einigen Monaten war Lottchen
von Lengeseld in Weimar, wo sie sich um eine Hofdamenstelle bewarb;
kurz vor ihrer Abreise konnte er ihr schreiben: "Sie werden gehen, liebstes
Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Theil meiner Freuden mit
wegnehmen;" und bald nach ihrer Abreise (11. April): "Man sollte lieber
nie zusammengerathen -- oder nie mehr getrennt werden." "Wie wenig sollte
es mir kosten, den Bezirk, den Sie bewohnen, für meine Welt anzusehn!"

Um .den durchreisenden Huber bei Charlotte, die auf der Rückkehr mit
ihrem Mann eben in Gotha verweilte, vorzustellen, ritt er am 10. April von
Erfurt dahin: "Sie war just bei einem großen Diner unter zwölf unbekannten
steifen Gesichtern, wo sie nicht gleich loskommen konnte, und Huber durfte
nicht warten." Sie glaubte, ihn dadurch schwer gekränkt zu haben, um so
mehr, da sie ihn bald nach ihrer Ankunft in Weimar (25. April) einmal nicht
annehmen konnte, sie irrte sich: schon lange war mit der Familie Lengefcld
der gemeinsame Sommeraufenthalt verabredet, der seit dem 18. Mai in Volk-
stedt wirklich ins Werk gesetzt wurde. Seinem Körner verspricht er zwar, sich vor
jeder individuellen Neigung zu hüten, darum theile er seine Aufmerksamkeit
zwischen die beiden Schwestern; doch gesteht er (1. Oct.): "Es ist diesen
Sommer allerlei in meinem Wesen vorgegangen, was nicht übel ist; beson¬
ders merke ich mir mehr und mehr an, daß ich mich von kleinen Leidenschaften
erhebe." 20. Oct.: "An Frau von Kalb hab ich diesen Sommer gar wenig
geschrieben; es ist eine Verstimmung unter uns, worüber ich dir einmal münd¬
lich mehr sagen will. Ich widerrufe uicht, was ich von ihr geurtheilt habe:
sie ist ein geistvolles, edles Geschöpf -- ihr Einfluß auf mich aber ist nicht
wohlthätig gewesen." Die Billets an die Schwestern erklären das schon hin¬
länglich, doch war noch etwas Anderes vorgefallen.

Das Verhältniß zwischen den beiden Gatten war immer kälter und frem¬
der geworden. Nun mußte Herr von Kalb wieder nach Frankreich zurückkehren;
Charlotte blieb in Weimar zurück (Juli bis September in Meiningen). "Einige
Monate nach seiner Abreise." erzählt sie in ihren Memoiren, "erhielt ich ein
Schreiben von Friedrich, in welchem er mit scharfem Ausdruck mir dargestellt,
wie es ein falscher Schritt, dies Verhältniß nicht ganz zu lösen; mit einem
Schmerz sprach er sich darüber aus, den ich wol mit empfinden konnte: --
Noch in Jugend, ja in unvergänglicher Jugend des Geistes und des Gemüths,
bedürfen Sie nur der Trennung von allem Ertödtenden, daß sich Ihre Seele
wieder frei entfalten könne, sonst bleibt ewig Ihr Bewußtsein getrübt. Darf


Ueberlegung geleitet, ohne positiven Gegenstand. Neuerdings ließ ich zwar
ein Wort gegen dich fallen, das dich auf irgend eine Vermuthung führen
konnte — aber dieses schläft tief in meiner Seele, und Charlotte selbst, die
mich fein durchsieht und bewacht, hat noch gar nichts davon geahnt." — Er
war hier einmal wirklich verschlossen.—Seit einigen Monaten war Lottchen
von Lengeseld in Weimar, wo sie sich um eine Hofdamenstelle bewarb;
kurz vor ihrer Abreise konnte er ihr schreiben: „Sie werden gehen, liebstes
Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Theil meiner Freuden mit
wegnehmen;" und bald nach ihrer Abreise (11. April): „Man sollte lieber
nie zusammengerathen — oder nie mehr getrennt werden." „Wie wenig sollte
es mir kosten, den Bezirk, den Sie bewohnen, für meine Welt anzusehn!"

Um .den durchreisenden Huber bei Charlotte, die auf der Rückkehr mit
ihrem Mann eben in Gotha verweilte, vorzustellen, ritt er am 10. April von
Erfurt dahin: „Sie war just bei einem großen Diner unter zwölf unbekannten
steifen Gesichtern, wo sie nicht gleich loskommen konnte, und Huber durfte
nicht warten." Sie glaubte, ihn dadurch schwer gekränkt zu haben, um so
mehr, da sie ihn bald nach ihrer Ankunft in Weimar (25. April) einmal nicht
annehmen konnte, sie irrte sich: schon lange war mit der Familie Lengefcld
der gemeinsame Sommeraufenthalt verabredet, der seit dem 18. Mai in Volk-
stedt wirklich ins Werk gesetzt wurde. Seinem Körner verspricht er zwar, sich vor
jeder individuellen Neigung zu hüten, darum theile er seine Aufmerksamkeit
zwischen die beiden Schwestern; doch gesteht er (1. Oct.): „Es ist diesen
Sommer allerlei in meinem Wesen vorgegangen, was nicht übel ist; beson¬
ders merke ich mir mehr und mehr an, daß ich mich von kleinen Leidenschaften
erhebe." 20. Oct.: „An Frau von Kalb hab ich diesen Sommer gar wenig
geschrieben; es ist eine Verstimmung unter uns, worüber ich dir einmal münd¬
lich mehr sagen will. Ich widerrufe uicht, was ich von ihr geurtheilt habe:
sie ist ein geistvolles, edles Geschöpf — ihr Einfluß auf mich aber ist nicht
wohlthätig gewesen." Die Billets an die Schwestern erklären das schon hin¬
länglich, doch war noch etwas Anderes vorgefallen.

Das Verhältniß zwischen den beiden Gatten war immer kälter und frem¬
der geworden. Nun mußte Herr von Kalb wieder nach Frankreich zurückkehren;
Charlotte blieb in Weimar zurück (Juli bis September in Meiningen). „Einige
Monate nach seiner Abreise." erzählt sie in ihren Memoiren, „erhielt ich ein
Schreiben von Friedrich, in welchem er mit scharfem Ausdruck mir dargestellt,
wie es ein falscher Schritt, dies Verhältniß nicht ganz zu lösen; mit einem
Schmerz sprach er sich darüber aus, den ich wol mit empfinden konnte: —
Noch in Jugend, ja in unvergänglicher Jugend des Geistes und des Gemüths,
bedürfen Sie nur der Trennung von allem Ertödtenden, daß sich Ihre Seele
wieder frei entfalten könne, sonst bleibt ewig Ihr Bewußtsein getrübt. Darf


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[0338] Ueberlegung geleitet, ohne positiven Gegenstand. Neuerdings ließ ich zwar ein Wort gegen dich fallen, das dich auf irgend eine Vermuthung führen konnte — aber dieses schläft tief in meiner Seele, und Charlotte selbst, die mich fein durchsieht und bewacht, hat noch gar nichts davon geahnt." — Er war hier einmal wirklich verschlossen.—Seit einigen Monaten war Lottchen von Lengeseld in Weimar, wo sie sich um eine Hofdamenstelle bewarb; kurz vor ihrer Abreise konnte er ihr schreiben: „Sie werden gehen, liebstes Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Theil meiner Freuden mit wegnehmen;" und bald nach ihrer Abreise (11. April): „Man sollte lieber nie zusammengerathen — oder nie mehr getrennt werden." „Wie wenig sollte es mir kosten, den Bezirk, den Sie bewohnen, für meine Welt anzusehn!" Um .den durchreisenden Huber bei Charlotte, die auf der Rückkehr mit ihrem Mann eben in Gotha verweilte, vorzustellen, ritt er am 10. April von Erfurt dahin: „Sie war just bei einem großen Diner unter zwölf unbekannten steifen Gesichtern, wo sie nicht gleich loskommen konnte, und Huber durfte nicht warten." Sie glaubte, ihn dadurch schwer gekränkt zu haben, um so mehr, da sie ihn bald nach ihrer Ankunft in Weimar (25. April) einmal nicht annehmen konnte, sie irrte sich: schon lange war mit der Familie Lengefcld der gemeinsame Sommeraufenthalt verabredet, der seit dem 18. Mai in Volk- stedt wirklich ins Werk gesetzt wurde. Seinem Körner verspricht er zwar, sich vor jeder individuellen Neigung zu hüten, darum theile er seine Aufmerksamkeit zwischen die beiden Schwestern; doch gesteht er (1. Oct.): „Es ist diesen Sommer allerlei in meinem Wesen vorgegangen, was nicht übel ist; beson¬ ders merke ich mir mehr und mehr an, daß ich mich von kleinen Leidenschaften erhebe." 20. Oct.: „An Frau von Kalb hab ich diesen Sommer gar wenig geschrieben; es ist eine Verstimmung unter uns, worüber ich dir einmal münd¬ lich mehr sagen will. Ich widerrufe uicht, was ich von ihr geurtheilt habe: sie ist ein geistvolles, edles Geschöpf — ihr Einfluß auf mich aber ist nicht wohlthätig gewesen." Die Billets an die Schwestern erklären das schon hin¬ länglich, doch war noch etwas Anderes vorgefallen. Das Verhältniß zwischen den beiden Gatten war immer kälter und frem¬ der geworden. Nun mußte Herr von Kalb wieder nach Frankreich zurückkehren; Charlotte blieb in Weimar zurück (Juli bis September in Meiningen). „Einige Monate nach seiner Abreise." erzählt sie in ihren Memoiren, „erhielt ich ein Schreiben von Friedrich, in welchem er mit scharfem Ausdruck mir dargestellt, wie es ein falscher Schritt, dies Verhältniß nicht ganz zu lösen; mit einem Schmerz sprach er sich darüber aus, den ich wol mit empfinden konnte: — Noch in Jugend, ja in unvergänglicher Jugend des Geistes und des Gemüths, bedürfen Sie nur der Trennung von allem Ertödtenden, daß sich Ihre Seele wieder frei entfalten könne, sonst bleibt ewig Ihr Bewußtsein getrübt. Darf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/338>, abgerufen am 22.12.2024.