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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Colonisation der östlichen, von gefährlichen Barbaren bewohnten Grenze. Hin
und wieder hatte sich unter den deutschen Landesfürsten der richtige Jnstinct
ihrer Lage geregt, in Heinrich dem Löwen kam derselbe zu seinem bestimmte¬
sten Ausdruck. Mit seinem Sturz war das Landesfürstenthum überhaupt be¬
seitigt, und als nun die Ghibellinen sielen, konnte auch von einem mächtigen
Welfcnthum nicht mehr die Rede sein. Es war ein Glück für Deutschland,
daß bei dem Ausbruch dieser traurigen Anarchie die Nachbarn nicht mächtig
genug waren, sich die bereit liegende Beute anzueignen.

Durch Rudolph von Habsburg wurde nun ein leidlicher Zustand her¬
gestellt. Der nüchterne, vollkommen praktische Mann gab alle Illusionen des
römischen Kaiserthums auf, und benutzte seine Würde, indem er gleichzeitig
seine Pflichten gegen die Reichslande erfüllte, dazu, sich eine Hausmacht zu
gründen. Die Marken, in bestündiger Wehr gegen Ungarn und Slaven,
waren der Kern des deutschen Wehrthums; die östliche Mark der Habsburger
wurde trotz der sehr bedenklichen Rivalität mit den Luxemburgern der tüch¬
tigste unter den deutschen Territorialstaaten und das ganze Haus wetteiferte,
an diesem praktisch durchführbaren, Schritt für Schritt vorwärtsführendcn
Zweck zu arbeiten.

Auch in der allgemeinen Cultur wich der romantische Idealismus der
bürgerlichen Arbeit. Die Städte übernahmen die Führung der deutschen Be¬
wegung. Ein zum Zweck der Kreuzzüge gestifteter Ritterorden colomsirte mit
sehr praktischem Verstand die Ostseeküste, die Hansa beherrschte durch ihren
Handel und selbst durch ihre Waffengewalt den ganzen Norden und wenn man
das deutsche Leben dieser Periode nicht in der allgemeinen Neichsgeschichte,
sondern in der Geschichte der Städte sucht, so wird man eine bessere Mei¬
nung davon gewinnen. Das einzige Unglück war, daß diese durchweg wel¬
sischen Bestrebungen keinen einigenden Mittelpunkt fanden.

Vielleicht war ein Habsburger dazu berufen, aber Friedrich der Dritte,
der viel in Händen hatte, war ein kläglicher Pedant und sein Sohn, der so¬
genannte letzte Ritter, vereinigte mit viel Geist und Thatkraft jenen aben¬
teuerlichen Sinn, der an den Idealismus, aber nicht an die Energie des
Mittelalters erinnert. Seine Staaten wurden bedeutend vergrößert, aber sie
verloren ihren Mittelpunkt, indem er sein burgundisches Erbe und leider auch
wiederum Italien zu seinem politischen Motiv machte.

Da der Kaiser seine Aufgabe, die Gründung eines nationalen Staats
und die Losreißung desselben von Rom, nicht erfüllte, so nahm sich das Volk
derselben an. Diese nationale Richtung ist der eigentliche Kern der Refor¬
mation, und man thut ihr das größte Unrecht, wenn man denselben in ihren
theologischen Grübeleien sucht. Hier war jener Punkt der Einigung gesunden,
den das Welsenthum bisher vergebens gesucht hatte. Motive des Eigen-


Colonisation der östlichen, von gefährlichen Barbaren bewohnten Grenze. Hin
und wieder hatte sich unter den deutschen Landesfürsten der richtige Jnstinct
ihrer Lage geregt, in Heinrich dem Löwen kam derselbe zu seinem bestimmte¬
sten Ausdruck. Mit seinem Sturz war das Landesfürstenthum überhaupt be¬
seitigt, und als nun die Ghibellinen sielen, konnte auch von einem mächtigen
Welfcnthum nicht mehr die Rede sein. Es war ein Glück für Deutschland,
daß bei dem Ausbruch dieser traurigen Anarchie die Nachbarn nicht mächtig
genug waren, sich die bereit liegende Beute anzueignen.

Durch Rudolph von Habsburg wurde nun ein leidlicher Zustand her¬
gestellt. Der nüchterne, vollkommen praktische Mann gab alle Illusionen des
römischen Kaiserthums auf, und benutzte seine Würde, indem er gleichzeitig
seine Pflichten gegen die Reichslande erfüllte, dazu, sich eine Hausmacht zu
gründen. Die Marken, in bestündiger Wehr gegen Ungarn und Slaven,
waren der Kern des deutschen Wehrthums; die östliche Mark der Habsburger
wurde trotz der sehr bedenklichen Rivalität mit den Luxemburgern der tüch¬
tigste unter den deutschen Territorialstaaten und das ganze Haus wetteiferte,
an diesem praktisch durchführbaren, Schritt für Schritt vorwärtsführendcn
Zweck zu arbeiten.

Auch in der allgemeinen Cultur wich der romantische Idealismus der
bürgerlichen Arbeit. Die Städte übernahmen die Führung der deutschen Be¬
wegung. Ein zum Zweck der Kreuzzüge gestifteter Ritterorden colomsirte mit
sehr praktischem Verstand die Ostseeküste, die Hansa beherrschte durch ihren
Handel und selbst durch ihre Waffengewalt den ganzen Norden und wenn man
das deutsche Leben dieser Periode nicht in der allgemeinen Neichsgeschichte,
sondern in der Geschichte der Städte sucht, so wird man eine bessere Mei¬
nung davon gewinnen. Das einzige Unglück war, daß diese durchweg wel¬
sischen Bestrebungen keinen einigenden Mittelpunkt fanden.

Vielleicht war ein Habsburger dazu berufen, aber Friedrich der Dritte,
der viel in Händen hatte, war ein kläglicher Pedant und sein Sohn, der so¬
genannte letzte Ritter, vereinigte mit viel Geist und Thatkraft jenen aben¬
teuerlichen Sinn, der an den Idealismus, aber nicht an die Energie des
Mittelalters erinnert. Seine Staaten wurden bedeutend vergrößert, aber sie
verloren ihren Mittelpunkt, indem er sein burgundisches Erbe und leider auch
wiederum Italien zu seinem politischen Motiv machte.

Da der Kaiser seine Aufgabe, die Gründung eines nationalen Staats
und die Losreißung desselben von Rom, nicht erfüllte, so nahm sich das Volk
derselben an. Diese nationale Richtung ist der eigentliche Kern der Refor¬
mation, und man thut ihr das größte Unrecht, wenn man denselben in ihren
theologischen Grübeleien sucht. Hier war jener Punkt der Einigung gesunden,
den das Welsenthum bisher vergebens gesucht hatte. Motive des Eigen-


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[0314] Colonisation der östlichen, von gefährlichen Barbaren bewohnten Grenze. Hin und wieder hatte sich unter den deutschen Landesfürsten der richtige Jnstinct ihrer Lage geregt, in Heinrich dem Löwen kam derselbe zu seinem bestimmte¬ sten Ausdruck. Mit seinem Sturz war das Landesfürstenthum überhaupt be¬ seitigt, und als nun die Ghibellinen sielen, konnte auch von einem mächtigen Welfcnthum nicht mehr die Rede sein. Es war ein Glück für Deutschland, daß bei dem Ausbruch dieser traurigen Anarchie die Nachbarn nicht mächtig genug waren, sich die bereit liegende Beute anzueignen. Durch Rudolph von Habsburg wurde nun ein leidlicher Zustand her¬ gestellt. Der nüchterne, vollkommen praktische Mann gab alle Illusionen des römischen Kaiserthums auf, und benutzte seine Würde, indem er gleichzeitig seine Pflichten gegen die Reichslande erfüllte, dazu, sich eine Hausmacht zu gründen. Die Marken, in bestündiger Wehr gegen Ungarn und Slaven, waren der Kern des deutschen Wehrthums; die östliche Mark der Habsburger wurde trotz der sehr bedenklichen Rivalität mit den Luxemburgern der tüch¬ tigste unter den deutschen Territorialstaaten und das ganze Haus wetteiferte, an diesem praktisch durchführbaren, Schritt für Schritt vorwärtsführendcn Zweck zu arbeiten. Auch in der allgemeinen Cultur wich der romantische Idealismus der bürgerlichen Arbeit. Die Städte übernahmen die Führung der deutschen Be¬ wegung. Ein zum Zweck der Kreuzzüge gestifteter Ritterorden colomsirte mit sehr praktischem Verstand die Ostseeküste, die Hansa beherrschte durch ihren Handel und selbst durch ihre Waffengewalt den ganzen Norden und wenn man das deutsche Leben dieser Periode nicht in der allgemeinen Neichsgeschichte, sondern in der Geschichte der Städte sucht, so wird man eine bessere Mei¬ nung davon gewinnen. Das einzige Unglück war, daß diese durchweg wel¬ sischen Bestrebungen keinen einigenden Mittelpunkt fanden. Vielleicht war ein Habsburger dazu berufen, aber Friedrich der Dritte, der viel in Händen hatte, war ein kläglicher Pedant und sein Sohn, der so¬ genannte letzte Ritter, vereinigte mit viel Geist und Thatkraft jenen aben¬ teuerlichen Sinn, der an den Idealismus, aber nicht an die Energie des Mittelalters erinnert. Seine Staaten wurden bedeutend vergrößert, aber sie verloren ihren Mittelpunkt, indem er sein burgundisches Erbe und leider auch wiederum Italien zu seinem politischen Motiv machte. Da der Kaiser seine Aufgabe, die Gründung eines nationalen Staats und die Losreißung desselben von Rom, nicht erfüllte, so nahm sich das Volk derselben an. Diese nationale Richtung ist der eigentliche Kern der Refor¬ mation, und man thut ihr das größte Unrecht, wenn man denselben in ihren theologischen Grübeleien sucht. Hier war jener Punkt der Einigung gesunden, den das Welsenthum bisher vergebens gesucht hatte. Motive des Eigen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/314>, abgerufen am 22.12.2024.